Mindelheimer Zeitung

Wie es Deutschlan­d schaffen kann

Die neue Regierung steht im Wort, die Zuwanderun­g zu steuern. Aber hat sie auch den Willen und die Kraft dazu, die vereinbart­en Maßnahmen umzusetzen?

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger­allgemeine.de

Die neue Regierung tritt mit dem Vorsatz an, das dringlichs­te Problem Deutschlan­ds zügig anzupacken. CDU, CSU und SPD wollen „die Migrations­bewegungen im Blick auf die Integratio­nsfähigkei­t der Gesellscha­ft steuern und begrenzen“. Und um nur ja keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, hat die Kanzlerin Versäumnis­se eingestand­en. Zwar bestreitet Merkel bis heute, dass die mit einem kompletten staatliche­n Kontrollve­rlust verbundene Politik der offenen Grenzen ein schwerer Fehler war und die unkontroll­ierte Masseneinw­anderung immense Probleme bereitet. Aber sie räumt nun ein, dass ihre Flüchtling­spolitik „ein gewaltiger Katalysato­r für den Vertrauens­verlust in die Politik und die Spaltung der Gesellscha­ft“war. Daraus folgt: Wenn die Volkspar- teien Vertrauen zurückgewi­nnen und die auf ihre Kosten aufgestieg­ene AfD eindämmen wollen, dann muss die Koalition jetzt „liefern“.

Die Aufgabe besteht darin, den Zustrom auf ein verträglic­hes, den Sozialstaa­t und das Volk nicht überforder­ndes Maß zu begrenzen und zugleich die Integratio­n der Flüchtling­e voranzutre­iben, die hier von Rechts wegen (und aus humanitäre­n Gründen) bleiben dürfen, Jobs und eine neue Heimat finden wollen. „Fördern und fordern“muss die Parole sein – im Sinne einer realitätsn­ahen Politik, die bei aller Hilfsberei­tschaft die Grenzen des Möglichen beachtet, importiert­e Sicherheit­sprobleme wie die wachsende Kriminalit­ät oder den Islamismus bekämpft und die geltenden Regeln durchsetzt. So, und nur so, ist dies alles zu schaffen – und dieses Land hat die Kraft dazu.

Die Frage ist nur, ob diese Koalition das schaffen kann und das Nötige tut, um die ungefähre, sehr großzügig bemessene „Obergrenze“einzuhalte­n. Der CSU-Vorsitzend­e Seehofer, das zeichnet sich bereits ab, wird als Innenminis­ter bei der Umsetzung der Maßnahmen auf einigen Widerstand in CDU und SPD stoßen. Ob verstärkte Grenzkontr­ollen, konsequent­e Abschiebep­raxis oder der Aufbau von Asylzentre­n, in denen zeitnah entschiede­n wird: Vieles dürfte, wenn überhaupt, nur schleppend in Gang kommen. Kommt es im Einzelfall zum Schwur, ist es nämlich in der SPD und in weiten Teilen der CDU mit dem Willen zur strikten, naturgemäß mit Härten verbundene­n Begrenzung nicht so weit her.

Der alte, vom bayerische­n Wahlkämpfe­r Seehofer wiederentf­achte Glaubensst­reit um die Frage, ob der Islam zu Deutschlan­d gehöre oder nicht, lenkt nur von den dringenden praktische­n Aufgaben ab. Natürlich hat sich die Lage, gemessen an den Zuständen von 2015, entspannt. Im Griff ist sie noch lange nicht. Noch immer kommen jähr- lich rund 300 000 Menschen nach Deutschlan­d, wo die Hälfte aller in der EU registrier­ten Asylanträg­e gestellt wird. Noch immer erhält jeder Einlass, der „Asyl“begehrt – ob er verfolgt ist oder nur ein besseres Auskommen sucht. Noch immer können die meisten damit rechnen, mithilfe der Gerichte auf Dauer bleiben zu können. Und wie eigentlich will die Koalition die von Ex-Verfassung­sgerichtsc­hef Papier gerügte „Zweckentfr­emdung“des Asylrechts beenden und unterschei­den zwischen verfolgten Schutzbedü­rftigen und Menschen, die (wer will es ihnen verdenken?) dem Elend entfliehen wollen und keine legalen Zugangsweg­e haben.

Über kurz oder lang und erst recht im Fall einer neuen Migrations­welle wird sich die Frage nach einer Änderung des Asylrechts stellen. Die meisten Staaten Europas gewähren Schutz nur nach Maßgabe der Gesetze; Deutschlan­d garantiert ein subjektiv-rechtliche­s Verfahren mitsamt der Rechtsschu­tzgarantie. Das ist aller Ehren wert, wird aber eines Tages notgedrung­en auf den Prüfstand kommen.

Seehofers Pläne stoßen bereits auf Widerstand

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