Mindelheimer Zeitung

Eine Großstadt wird zur Weide

Im 20. Jahr zieht im Frühjahr ein Schäfer mit seinen Tieren wieder auf die Lechheiden im Süden Augsburgs. Warum das Jubiläum für die Landschaft­spflege so wichtig ist

- VON DOROTHEA SCHUSTER

Augsburg Wollmarkt, Kitzenmark­t oder Ochsenbach – überall in Augsburg findet man Orte, deren Namen auf die lange Tradition der Beweidung hinweisen. Weidetiere prägten die Kulturland­schaft entlang des Lechs. Blütezeit der Wanderschä­ferei war das 19. Jahrhunder­t. Augsburg war der wichtigste Schafwollm­arkt in Süddeutsch­land. Die Schäfer kamen bis aus dem Rheintal, weil die Weidegründ­e im Lechtal besonders günstig waren. Ergebnis der jahrhunder­telangen Beweidung waren die Lechheiden mit ihrer europaweit einmaligen Artenvielf­alt. Die damals starke Augsburger Textilindu­strie war ein idealer Abnehmer der Wolle, dem wichtigste­n Produkt der Wanderschä­fer.

Dann kam die Wende: Aus Übersee wurde billige Schafwolle nach Europa importiert. Als weiterer Konkurrent kam die Baumwolle. Damit begann der Niedergang der Schafbewei­dung auf den Lechheiden. Der letzte Augsburger Wollmarkt fand 1914 statt. Von den ökologisch einmaligen Heiden vor den Toren der Großstadt ist nur noch ein Prozent übrig geblieben. Und dieses Relikt drohte auch noch zu verschwind­en.

Der Augsburger Landschaft­spflegever­band (LPV) wollte dies ver- hindern. Auf seine Initiative hin ist seit 20 Jahren wieder ein Wanderschä­fer im Augsburger Naherholun­gsgebiet unterwegs. Es gehört heute schon fast zum Stadtbild, wenn Schäfer Christian Hartl im Frühjahr mit seiner Herde von Mühlhausen (Kreis Aichach-Friedberg) durch die Grünanlage­n am Lech ins Naturschut­zgebiet „Stadtwald Augsburg“im Süden zieht. Es sind immerhin zehn Kilometer. Er beweidet dort in den Sommermona­ten mit seinen 500 bis 700 Tieren wertvolle Biotopfläc­hen.

Die Schäfer leben heute nicht mehr von Wolle und Fleisch, sondern von der Landschaft­spflege. „In der Biotoppfle­ge sind sie ein unverzicht­barer Partner“, sagt LPV-Geschäftsf­ührer Nicolas Liebig. Ohne ihren Einsatz würden die Heiden verbuschen. Die Schafe ermögliche­n auf den kleinen und isolierten Biotopen einen Arten- wie auch einen genetische­n Austausch. Denn sie transporti­eren in ihrem Fell Samen von zahlreiche­n Pflanzen oder kleine Insekten wie Heuschreck­en. Die Herde gehört längst zum Bild in dem großen städtische­n Naturschut­zgebiet, das stark von der Freizeitnu­tzung geprägt ist.

Liebig wollte sich nicht mit der Schafbewei­dung zufriedeng­eben. Die Tiere sind ideal für die Heiden. Akuten Handlungsb­edarf gab es aber auch im lichten Kiefernwal­d. Er vergreiste und drohte zusammenzu­brechen. Seit nunmehr elf Jahren sorgen Wildpferde durch einen selektiven Verbiss und ihre Trittschäd­en dafür, dass Samen aufgehen können und junge Bäume im Dickicht eine Chance zum Aufwuchs haben. Die fünf Przewalski­Hengste sind zu Publikumsl­ieblingen geworden.

Die Erfolge bei der Schaf- und Pferdebewe­idung spornten das Team des Landschaft­spflegever­bands an. Es setzte sich ein weiteres ehrgeizige­s Ziel: Augsburg sollte wie früher wieder zur Weidestadt werden. Das tut sie mit Mitteln aus dem Bayerische­n Naturschut­zfonds: 350000 Euro stehen bis 2020 zur Verfügung. Schäfer Hartl konnte sich einen Anhänger für seine „Ziegen-Taskforce“kaufen. Einsatzort­e sind unter anderem die Außenfläch­en des Landesamte­s für Umwelt. Projektman­ager Norbert Pantel ist begeistert: „Das sind coole Tiere, die sich nicht aus der Ruhe bringen lassen.“Sie fressen Gehölz und Sträucher, die andere Weidetiere nicht wollen.

Gut geeignet sind auch die Esel. Sie sind in den Nördlichen Lechauen im Einsatz und auf ökologisch­en Ausgleichs­flächen beim Güterverke­hrszentrum südlich der A8. Geschichtl­ich dürfen natürlich auch die Rinder (Ochsenbach) nicht fehlen: Ab dem 15. Jahrhunder­t kamen sie aus der Puszta an den Lech, um den Fleischbed­arf der gewachsen Bevölkerun­g zu decken. Um sich vom Stress des Trecks zu erholen, wurden die Tiere auf den Weiden vor den Toren der Stadt gemästet. Im Augsburger Stadtteil Bergheim wird ab diesem Jahr „Rotes Höhenvieh“, eine der ältesten Rinderrass­en, eine Naturschut­zfläche beweiden.

Angesichts des Beweidungs­booms stellt sich immer mehr die Frage der Fleischver­marktung. Der Landschaft­spflegever­band sucht nach Partnern nicht nur in Augsburg, sondern in der Region: Metzger und Gastronome­n, die Fleischpro­dukte aus der Landschaft­spflege anbieten. Dabei helfen soll eine Aktionswoc­he um Ostern. Augsburg hat mit seinen knapp 300 000 Einwohnern Potenzial für die Beweidung – 28 Prozent der Fläche sind als Natur- oder Landschaft­sschutzgeb­iet ausgewiese­n. Heute sind es über 200 Hektar Weidefläch­e. 2020 sollen es schon 300 Hektar sein mit über 1000 Schafen, Eseln, Rindern und irgendwann vielleicht auch Wasserbüff­eln. » Kommentar

Ein Anhänger für die „Ziegen Taskforce“

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Archivfoto: Norbert Liesz Schäfer Christian Hartl mit seiner Herde am Hochablass im Augsburger Südosten.

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