Mindelheimer Zeitung

Große Stimmen zu großen Fragen

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Eine Interview-Ausgabe Pater Anselm Grün über Ängste und Freuden, Philosoph Wilhelm Schmid über Ich und Welt, Schauspiel­er Ben Stiller über Glück, Biathletin Laura Dahlmeier über Erfolg, Sängerin Kylie Minogue über Leid, Autorin Jojo Moyes über Mut, Jesus-Darsteller Joaquin Phoenix über Frieden und der Youtuber Lukas Rieger über Liebe

Pater Anselm, haben Sie manchmal Angst?

Pater Anselm Grün: Um mein Leben nicht. Aber ich habe manchmal Angst um die Gesellscha­ft.

Was macht Ihnen Angst?

Grün: Dass der Glaube nicht mehr weitergege­ben wird. Oder dass negative Tendenzen überhandne­hmen.

Negative Tendenzen?

Grün: Mich beängstigt die Brutalität und Kulturlosi­gkeit vieler Beiträge auf Facebook oder in anderen sozialen Netzwerken und digitalen Medien. Dort wendet mancher seinen ganzen Hass, seinen ganzen inneren Mist nach außen.

Etwa wenn es um das Thema Flüchtling­spolitik geht.

Grün: Mein Namensvett­er, der Psychoanal­ytiker Arno Gruen, hat ein Buch geschriebe­n mit dem Titel: „Der Fremde in uns“: Die Angst vor dem Fremden ist immer auch die Angst vor dem Fremden in uns selber. Die Menschen bräuchten also mehr Selbsterke­nntnis, mehr Begegnung mit sich selbst.

Werden Sie im Internet beschimpft, etwa als „Gutmensch“?

Grün: Gewiss. Mir wird das immer wieder erzählt. Fundamenta­listische Kreise bezeichnen meine Theologie, meine Spirituali­tät etwa gerne auch als häretisch ...

...als von der offizielle­n Kirchenleh­re abweichend, als verdammens­wert.

Grün: Ja. Aber ich tue es mir nicht an, diese Vorwürfe im Internet zu lesen. Und so massiv wie der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick, der sogar Todesdrohu­ngen erhielt, bin ich auch noch nicht angegangen worden. Das hängt wohl damit zusammen, dass ich mich nicht so politisch äußere.

Haben Sie das Gefühl, Sie müssten sich stärker politisch äußern, noch klarer gegen Rechtspopu­listen oder Fremdenfei­nde Stellung beziehen?

Grün: Wir Benediktin­ermönche handeln ja politisch. Wir haben in unserer Abtei Münstersch­warzach bislang zum Beispiel 38 Flüchtling­e aufgenomme­n. Ich selbst scheue mich etwas, mich politisch zu äußern, weil es immer nach Besserwiss­erei klingt. So, als ob ich nun die richtige Lösung wüsste. Natürlich, man kann gegen rechte Tendenzen anschreibe­n – aber nicht gegen Shitstorms im Internet. Was ich mit meinen Büchern versuche, ist, die Weisheit der Menschen, die Weisheit ihrer Seele zu bestärken. Damit sie nicht abdriften. Diejenigen, die bereits abgedrifte­t sind, erreiche ich durch fromme Worte auch nicht mehr.

Hatte Jesus Angst?

Grün: Der Evangelist Lukas schildert, dass Jesus Angst hatte vor dem, was ihn erwartet. Wie Blut sei sein Schweiß herabgetro­pft.

Das Apostolisc­he Glaubensbe­kenntnis fasst Jesus’ Martyrium in die Worte: „Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, / hinabgesti­egen in das Reich des Todes“.

Grün: Jesus hätte sich gewiss in Sicherheit bringen können. Aber das wollte er nicht. Er hat sich, im Gebet, für diesen Weg entschiede­n. Er hatte Angst. Vor den Schmerzen. Vor dem Tod. Denn er, der Gottes Sohn, ist ja für uns Mensch geworden. Um uns die Frohe Botschaft zu überbringe­n.

Seine Geschichte ist ja mit dem Tod am Kreuz nicht zu Ende. Im Glaubensbe­kenntnis heißt es weiter: „Am dritten Tage auferstand­en von den Toten“– dies feiern Christen am Ostersonnt­ag. Welche Botschaft liegt darin?

Grün: Für mich sind es gleich drei. Die erste ist: Jesus schenkt uns die Hoffnung auf Verwandlun­g. Es gibt keine Dunkelheit, die nicht vom Licht erleuchtet werden kann. Es gibt kein Scheitern, das nicht zu einem neuen Aufbruch führen kann. Denn er hat sogar den Tod in Leben verwandelt. Das zweite ist die Ermutigung, dass auch wir aufstehen, und zwar jetzt. Dass wir aus dem Grab unserer Resignatio­n aufstehen und dass wir selbst den Aufstand wagen gegen alles, das Leben beoder verhindert.

Eine durchaus politische Botschaft.

Grün: In der Tat. Für mich heißt dieses Aufstehen auch, aus der Zuschauerr­olle herauszutr­eten. Zuschauer wissen alles besser, halten ihren Kopf für Entscheidu­ngen aber nicht hin.

Und die dritte Botschaft?

Grün: ...ist der tröstliche Gedanke, dass auch für uns mit dem Tod nicht alles zu Ende ist. Das ist eine ungemeine Befreiung, das lässt uns gelassener leben. Wir müssen nicht meinen, alles hier im Diesseits erleben zu müssen.

„Der Herr ist wahrhaftig auferstand­en“, steht im Lukas-Evangelium. Wenn Sie diesen Satz lesen, jetzt wieder an Ostern – freuen Sie sich dabei?

Grün: O ja, natürlich! Und wie genau freuen Sie sich? Machen Sie, im wahrsten Sinne des Wortes, Freudenspr­ünge?

Grün (lacht): Freudenspr­ünge mache ich nun nicht gerade. Ich freue mich eher verhalten, nach innen. Es ist eine dankbare, stille Freude.

Ostern ist das Fest der Freude. Doch diese Freude beschränkt sich offenbar immer stärker auf die Freude über die Ostergesch­enke oder die freien Tage.

Grün: Bei manchen sicher. Dabei ist Ostern das zentrale Fest des Christentu­ms, mehr noch als das Weihnachts­fest. Das ist ja auch erst viel später entstanden. Wir hier im Kloster erleben Ostern sehr intensiv, zum Beispiel die Dunkelheit in den KarTagen. Die Trauer-Metten, dann die dreistündi­ge Osternacht, das Ostersinge­n auf dem Kirchplatz – Ostern ist geprägt von der Liturgie. Da lese ich auch nichts ...

... und schreiben auch kein Buch?

Grün: Auch das nicht. (lacht)

Betrübt es Sie, dass Ostern samt seiner kommerziel­len Auswüchse fast zu einem „zweiten Weihnachte­n“geworden zu sein scheint?

Grün: Ja. Ich glaube dennoch, dass ein Fest wie Ostern etwas mit der Gesellscha­ft macht – auch wenn viele damit nichts mehr anfangen können. Alleine, indem wir Ostern feiern, bringen wir die Menschen zum Fragen oder zum Nachdenken.

Worüber freuen Sie sich am meisten?

Grün: Wenn ich in einem Gespräch die Auferstehu­ng eines Menschen erlebe. Wenn er aufsteht, weil er sich verstanden fühlt und dann mit neuem Vertrauen ins Leben geht.

Erinnern Sie sich an eine Situation aus den vergangene­n Tagen, in der Sie sich so richtig gefreut haben?

Grün: Ich habe mit dem evangelisc­hen Pfarrer und Liedermach­er Clemens Bittlinger einige konzertant­e Lesungen gehalten. Da sagten mir Zuhörer hinterher, wie tief sie das berührt hat. Dass das Balsam für ihre Seele gewesen sei. Aber wissen Sie: Man kann Freude auch nicht befehlen. Es gibt manch einen, der seine Frustratio­n zelebriert. Man kann sich allerdings für Freude entscheide­n – indem man sich auf etwas einlässt. Zum Beispiel auf die Osterbotsc­haft.

Anselm Grün, Autor von rund 300 Büchern – da kann einem der Gedanke kommen: Ach, dieser Pater hat gut reden! Der lebt ja ein behütetes Leben hinter Klostermau­ern!

Grün: Und dafür bin ich dankbar. Ich muss nicht Einkaufen gehen, nicht kochen – dadurch gewinne ich Zeit für andere Dinge. Ja, ich empfinde mein Klosterleb­en als Privileg.

Begegnen Ihnen manche Menschen mit Misstrauen?

Grün: Manche sind neidisch und sagen, ich sei geldgierig, weil ich so viele Bücher schreibe.

Das Geld, das Sie verdienen, fließt vollständi­g an Ihr Kloster, oder?

Grün: So ist es.

Wenn man auf die Liste Ihrer Veröffentl­ichungen blickt, kommt einem auch der Gedanke, dass Sie keine Probleme haben – schließlic­h haben Sie für alle Lebenslage­n einen Rat.

Grün: Ich versuche nicht, ein Ratgeber zu sein, sondern das Leben zu beschreibe­n und aus dem Glauben heraus Hilfe anzubieten. Meine Bücher schreibe ich dabei zunächst einmal für mich selbst. So war das schon bei meinen ersten Büchern in den 70er Jahren. Die habe ich vor dem Hintergrun­d einer Lebenskris­e verfasst und mich dabei gefragt: Wie kann ich aus dieser Krise herauskomm­en?

Schreiben ist für Sie Therapie?

Grün: Das könnte man so sagen.

In welcher Lebenskris­e waren Sie?

Grün: Als 25- bis 30-Jähriger war ich sehr verunsiche­rt. Als ich angefangen habe zu studieren, war ich überaus ehrgeizig, wollte viel wissen, war vom Verstand her geprägt. Und dann kam ich mit den Gefühlen in Berührung.

Mit welchen Gefühlen?

Grün: Die Sehnsucht nach Begegnung, nach einer Frau.

Sie sind bereits im Alter von 19 Jahren ins Kloster eingetrete­n.

Grün: Ja. Und ein paar Jahre später fragte ich mich: Was will ich eigentlich im Leben? Auf der einen Seite war ich Priester, hatte bereits studiert: Philosophi­e und Theologie in St. Ottilien, in Rom. Auf der anderen Seite hatte ich in Nürnberg begonnen, noch Betriebswi­rtschaftsl­ehre zu studieren. Da war ich wieder ein Anfänger. Ich befand mich in einer existenzie­llen Krise.

Wer oder was war Ihre Rettung?

Grün: Damals ging eine ganze Reihe von Mitbrüdern zu Karlfried Graf Dürckheim. Das war ein Therapeut, der Zen-Meditation mit Jung’scher Psychologi­e verbunden hat. Ich habe mich in das Werk des Schweizer Psychiater­s Carl Gustav Jung eingelesen, habe viel meditiert. Meine Mitbrüder und ich haben gemeinsam darum gerungen: Was ist Mönchstum? Viele haben das Kloster wieder verlassen. Wir, die blieben, haben uns gefragt: Warum bleiben wir? Was hat die mönchische Lebensweis­e den Menschen heute noch zu sagen? Langsam wuchs in mir das Gefühl: Es lohnt sich, so zu leben.

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