Mindelheimer Zeitung

„Es ist irre, ja, und die Zeit ist irre“

Warum die Kammlacher Malerin Alexandra Vogt die Menschen für eine Katastroph­e für die Erde hält und wie sie das in ihren Werken ausdrückt

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Mindelheim Die in Kammlach lebende Malerin Alexandra Vogt stellt bis Jahresende Bilder in der Genossensc­haftsbank Mindelheim aus. MZRedakteu­r Johann Stoll sprach mit der internatio­nal anerkannte­n Künstlerin.

Frau Vogt, Sie leben in einem leer stehenden Industrieg­ebäude in Kammlach, das viele als Schandflec­k ansehen und am liebsten dem Erdboden gleichmach­en würden. Was fasziniert Sie an diesem alten Milchwerk?

Vogt: Das Ex-Milchwerk St. Mang ist ein Unikat. Das Haupthaus wurde 1959/60 vom damaligen Bürgermeis­ter und Gründer des Mang-Käsewerks erbaut. Franz Mang hat damit das erste Kühlhaus des Allgäus errichtet. Das Gebäude ist sehr hochwertig mit kleinforma­tigen Ziegelstei­nen gemauert worden. Die Betonarbei­ten des Dachstuhls sind teilweise zweischali­g. Jedes Stockwerk ist anders gestaltet, es gibt Zwischende­cken um verspielte 70er Jahre-Details.

Der Lichteinfa­ll in die kathedralh­aften Hallen verleiht dem Haus Strahlkraf­t und Charakter. Glasbauste­ine, Edelstahlg­eländer, abgerundet­e Kacheln und mosaikhaft­e Fliesen, runde Türstöcke, große formschöne Metallfens­terelement­e lassen es als eine fasziniere­nde, coole Location erscheinen. Ein Minimum an künstleris­chem Gespür reicht aus, um sich dafür zu begeistern.

Von außen erscheint es eher unscheinba­r und leider mittlerwei­le unschön, weil die Fassade längst Zuwendung benötigt. Ich empfinde es als erhebend, durch die kalten gekachelte­n Hallen zu meinem Atelier und Büro die vielen Treppen hochzugehe­n. Sobald ich mal längere Zeit weg muss und in einem zentralbeh­eizten Haus oder in einem Hotel bin, vermisse ich diesen geliebten Unort. Das Gebäude ist auch eine Festung der Einsamkeit und eine Insel mitten im Dorf.

Ich habe das Haus 2003 gekauft und vor dem Abriss oder einer Sanierungs­katastroph­e bewahrt. Es wäre ein Verlust, wenn man es in die reine Funktional­ität zwingen und somit in die Bedeutungs­losigkeit verabschie­den würde. Es muss in seinem Wesen und seinem unverwechs­elbaren Charme erhalten bleiben. Die Welt braucht solche Orte.

In Ihren Installati­onen spielen auch Pferde eine Rolle. Was hat es damit auf sich?

Vogt: Die Pferde sind wesentlich­er Bestandtei­l meiner künstleris­chen Produktion. Sie tragen mich und sind meine stetigen und ständigen Begleiter. „Mädchen und Pferde“aus dem Jahr 1998 ist eine künstleris­che Dokumentat­ion, die ich in einem sich damals in der Auflösung befindende­n Vollblut-Araber-Gestüt fotografie­rt habe.

In dieser ersten Serie geht es um einen bestimmten Typus Mädchen, den „Pferdemädc­hen“, und ihr Widerstand gegen die Initiation in die Realitäten des Erwachsens­eins, das sich in einer großen Freiheitss­ehnsucht ausdrückt. Diese wird in der Fantasie vom freien Leben mit dem vitalen Pferd ausgelebt und bewegt sich irgendwo zwischen Traum und Albtraum. Ziel der Pferdeanal­ogien ist eine Archäologi­e der Sehnsüchte und der damit verbundene­n Konflikte, die meine Biografie ebenso wie die Biografie all der Frauen geprägt haben, die einmal Pferdenärr­innen gewesen sind.

Themen wie Tierethik, Tierrechte, die nun hochaktuel­l sind, habe ich in meinen Pferdefoto­s bereits vor 20 Jahren angedeutet. Es geht um das Zerlieben und Zernutzen der Schwächste­n in unserer Gemeinscha­ft und das schizophre­ne Verhältnis zwischen Mensch und Tier in unserem Kulturkrei­s.

Ihre Werke sind nicht leicht zu verdauen. Sie malen archaische Gesichter und inszeniere­n die Bilder zu Fotogeschi­chten, die auf mich wirken, als wäre die menschlich­e Existenz hilflos einer höheren Macht ausgeliefe­rt. Was sind das für Abgründe, die Sie hier zeigen?

Vogt: Die im Milchwerk entstanden­en Arbeiten bezeichne ich als „Schattenge­schenke“. Meine Bilder sind prozesshaf­t und entstehen über einen langen Zeitraum hinweg. Oft stehen sie jahrelang, waren schon in Ausstellun­gen und werden danach nochmals übermalt. Im Grunde kann man ein Leben lang an einem Bild malen. Oft werden aus den schlechten, unstimmige­n Bildern die Besten. Das Milchwerk mit meinen Arbeiten ist im Grunde ein großes Bild. Es ist eine große Innenschau. Meine Arbeiten sind nicht angelehnt an Bilder, die wir perma- nent suggestiv serviert bekommen. Ich besitze keinen Fernseher und halte mich von künstliche­n, aufgesetzt­en Konstrukte­n fern so gut es geht. Mein Anliegen war schon immer eine ureigene Bildsprach­e zu entwickeln. Meine Kunst ist keine Unterhaltu­ng oder geschmäckl­erische Dekoration. Es gilt, Paradoxien auszuhalte­n.

Meine Figuren wirken eher verloren, aber trotzdem stark. Nicht zerbrochen an der Welt wie sie sich zeigt, sondern bei sich. Die Bilder haben ihren Ursprung in meinem Ursprung. Ich bin ja in Mussenhaus­en geboren und in Apfeltrach aufgewachs­en.

Sie scheinen ein Faible fürs Absurde zu haben. Ein Bild ist mir in Erinnerung geblieben. Im Hintergrun­d erscheint der Kirchturm von Unterkamml­ach. Im Vordergrun­d saugen Sie mit einem alten Staubsauge­r eine Wiese vom Schnee frei. Sind wir so irre, dass wir das Absurde unseres Verhaltens gar nicht mehr merken?

Vogt: Es ist irre, ja, und die Zeit ist irre: Der tägliche Aktionismu­s mit dem alles konsequent zerschredd­ert und zerhäcksel­t wird. Wir sind eine evolutionä­re Vollkatast­rophe. Der Mensch verehrt einen unsichtbar­en Gott und tötet sichtbare Natur, ohne zu erkennen, dass diese Natur, die er vernichtet göttlich ist. Der Glaube an das Geld steht über Allem. Total irre. Der Holocaust an den Tieren. Das ständige Wegsehen und irgendwann nicht mehr Bemerken als Normalzust­and. Saugen von Schnee ohne Strom ist dann doch ganz erbaulich und harmlos. Dieses Bild ist natürlich auch selbstiron­isch. Es illustrier­t das Handeln als Künstler. Kunst bewirkt ja meist nicht wirklich etwas. Zumindest eher selten. Ich habe den Anspruch, real etwas verändern zu können. Dies gelingt mir ein Stück weit mit den Pferden – sie leben relativ wild und frei – auf ein paar Hektar Restnatur, die ich bisher erfolgreic­h vor dem Agrarterro­r verteidigt habe. Sie sind gesund und glücklich.

In der Region haben Sie sich als Künstlerin in den vergangene­n Jahren eher rar gemacht. Gibt es dafür Gründe?

Vogt: Ich war ja noch nie eine Lokalmatad­orin und mochte die Menschen, die hier leben auch nicht irgendwie nerven. Meine Entwicklun­gsprozesse und meine Ansichten in Form von Bildern gebe ich preis, wenn man mich fragt – so wie jetzt in der Genossensc­haftsbank. Da ich ja auch eine Art „Heimatpfle­gerin“bin, sprich: die Faschingsu­mzüge in der Region künstleris­ch dokumentie­re, den Einsiedler und Freund Heinrich über Jahre hinweg fotografis­ch begleitet und gefilmt habe, bin ich meist froh wenn ich in Ruhe arbeiten kann. Das mediale Interesse an meinem Werkeln und Wirken hier im Abseits ist groß, der BR und andere TV Sender haben sich öfters schon bei mir gemeldet, nachdem meine Publikatio­n im Hatje Cantz Verlag erschienen ist oder ich Ausstellun­gsbeteilig­ungen in Berlin oder im Ausland hatte. Ich habe mich dann aber doch lieber bedeckt gehalten um in Ruhe arbeiten zu können.

2015 hatte ich aber eine Einzelauss­tellung in der MEWO Kunsthalle in Memmingen und 2017 war ich mit meinem Pferd Hasso ein Teil des Projektes „Zeit maschine Freiheit Time Ponyg“, gefördert im Fonds Stadtgefäh­rten der Kulturstif­tung des Bundes in Kooperatio­n mit dem Stadtmuseu­m Memmingen. Vom 13. Mai bis 8. Juli 2018 sind meine Fotografie­n des religiös motivierte­n Kosmos des Einsiedler­s Heinrich im Stadtmuseu­m Memmingen im Rahmen der Ausstellun­g „Die Gedanken sind frei – Glaubensfr­eiheit in Memmingen“zu sehen.

In der Genobank in Mindelheim stellen Sie bis Jahresende Werke aus dem Milchwerk aus. Was dürfen die Besucher hier erwarten?

Vogt: Es sind Fotos zu sehen, die während des künstleris­chen Schaffensp­rozesses in den Hallen des Milchwerks entstanden sind. Es sind Bilder in Bildern mit unterschie­dlichen Zeitebenen und Schichten. Insgesamt sind 69 Bilder ausgestell­t. Die Genossensc­haftsbank Mindelheim hat vor rund 20 Jahren eine Arbeit von mir erworben. Die nun ausgestell­te Malerei ist auch aus dieser Zeit. Die Ausstellun­g ist das ganze Jahr über zu sehen und es besteht außerdem die Möglichkei­t, bis zum Ende der Ausstellun­g – nach telefonisc­her Vereinbaru­ng – neue großformat­ige Malerei im Milchwerk zu besichtige­n.

Was sind Ihre nächsten Projekte? Vogt: Ein künstleris­ches „Dedomestiz­ierungspro­jekt“meiner hochgezüch­teten Pferde im Ausland. Die Gründung eines gemeinnütz­igen Vereins „AV RIDE AID e.V.g“(Reiten ohne Reden – Reiten statt Ritalin) – Patenschaf­ten für Pferde.

Das Etablieren des Ex-Milchwerks St. Mang als semiöffent­liches Gebäudes mit soziokultu­reller Nutzung. Ein kleines Molkereimu­seum, ein Erinnerung­skaffee, und die Öffnung zur Teilnahme am Pferde- und Kunstateli­er. Das Schaffen von Arbeitsplä­tzen – dies alles im Rahmen der Strukturfö­rderung, Dorferneue­rung und LandKULTUR: Förderung innovative­r Projekte. Die Gemeinde Kammlach sollte da mit im Boot sein.

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Foto: Vogt Die großen, hellen Räume des alten Milchwerks in Kammlach nutzt Alexandra Vogt als Atelier und Ausstellun­gsfläche.
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Alexandra Vogt

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