Politisches Tête à Tête auf der Baustelle
Angela Merkel bittet Emmanuel Macron symbolhaft in das unfertige Berliner Stadtschloss. Monatelang ruhten die Arbeiten an der EU-Reform. Jetzt soll alles ganz schnell gehen. Doch es gibt Widerstand
Berlin Musste es ausgerechnet eine Baustelle sein? Oder war es vielmehr genau die richtige Kulisse zum richtigen Zeitpunkt, um den derzeitigen Zustand des deutsch-französischen Verhältnisses zu illustrieren?
Nicht im wuchtigen Kanzleramt im Spreebogen, dem Zentrum der Macht, sondern auf der Baustelle des Berliner Stadtschlosses empfängt Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag bei strahlendem Sonnenschein den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Und so unfertig, wie sich das Schloss mit seinen rohen Betonwänden und den fehlenden Türen dem Gast aus dem Élysée-Palast präsentiert, so unfertig sind derzeit auch die Positionen zwischen Berlin und Paris in zentralen politischen Fragen. Wegen der langen Regierungsbildung in Deutschland herrschte praktisch ein halbes Jahr lang Funkstille, als lediglich geschäftsführend amtierende Kanzlerin hatte Merkel kein Verhandlungsmandat und konnte somit auf Macrons Vorschläge einer tief greifenden Reform der EU nicht reagieren. Nun aber wollen die beiden das Versäumte nachholen, den aus dem Takt geratenen deutsch-französischen Motor wieder zum Laufen bringen und den Umbau Europas angehen.
Bei ihrem Auftritt in der Schlossbaustelle demonstrieren sie Einigkeit im Ziel bei aller Unterschiedlichkeit in ihren Vorstellungen und der Herangehensweise. Während Macron bereits im September in einer großen Rede vor der Pariser Sorbonne seine Visionen über das Europa der Zukunft entwickelt hat, ist Merkel bisher eine konkrete Antwort schuldig geblieben – und lässt sich auch am Donnerstag nicht aus der Reserve locken. „Ich glaube, wir bringen zum Teil andere Aspekte ein, aber ich glaube, dass die Summe unserer Vorschläge zum Schluss zu einem guten Ergebnis kommen kann“, sagt sie vieldeutig. „Wir brauchen eine offene Debatte und Schluss die Fähigkeit zum Kompromiss.“Bereits auf dem nächsten EU-Gipfel Ende Juni sollen zentrale Entscheidungen getroffen werden, zuvor werde es eine deutsch-französische Regierungssitzung geben.
Emmanuel Macron seinerseits weiß um die deutschen Befindlichkeiten und kennt auch die Diskussionen in Merkels Union, wo die Widerstände gegen einen europäischen Haushalt, den Währungsfonds und den Bankenfonds besonders groß sind. Ohne diese Probleam me beim Namen zu nennen, drängt er zur Eile. Europa stehe an einer Wegscheide. „Wir leben in einem Moment des europäischen Abenteuers, das wirklich einzigartig ist“, sagt er. Die gemeinsame Souveränität Europas werde von außen durch Kriege und Handelskonflikte auf den Prüfstand gestellt, gleichzeitig gebe es im Innern Zweifel und starke nationalistische Visionen. Der gegenwärtige Moment sei daher „entscheidend für die Zukunft Europas“, von Deutschland und Frankreich werde eine „gemeinsame Antwort“erwartet.
Aber wie sieht diese Antwort aus? In Berlin weiß man das nicht so recht. Das Grundproblem bestehe unverändert fort, „dass die Bundesregierung noch immer keine eigene Idee für die Zukunft der Eurozone hat“, sagt der Frankreich-Experte Lucas Guttenberg vom Berliner Jacques Delors Institut gegenüber unserer Zeitung.
Unterstützung für die Reformvorschläge Macrons signalisiert der stellvertretende FDP-Fraktionschef Alexander Graf Lambsdorff gegenüber unserer Zeitung. „Wenn der Euro langfristig stabil sein soll, brauchen wir eine stärkere Wirtschafts-
FDP pocht auf die Rechte der nationalen Parlamente
und Währungsunion.“Die FDP begrüße daher die Überführung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM in einen Europäischen Währungsfonds, knüpfe das aber an Bedingungen: „Auch weiterhin müssen die nationalen Parlamente das letzte Wort haben und klar ist auch: Hilfen kann es nur gegen Reformen geben.“
Der Fraktionschef der Grünen, Anton Hofreiter, attackiert gegenüber unserer Zeitung die Strategie der Kanzlerin: „Merkels zuvor eilig aus dem Ärmel geschüttelte Vorschläge eines europäischen JumboRates stellen keine Antworten auf die substanziellen Herausforderungen dar, vor denen Europa steht. Es brauche dringend „ein verlässliches Eintreten Deutschlands für mehr Investitionen und eine Stärkung der Krisenabwehrfähigkeiten“, ansonsten stehe Europa bei der nächsten Krise ohne Gegenwehr da.