Römische Mondlandschaften
Warum zehntausende pizzagroße Schlaglöcher das Stadtbild in der italienischen Hauptstadt prägen
Rom Man sollte meinen, Rom sei eine Stadt, die am besten mit erhobenem Blick zu erleben ist. Die Grandezza des Kolosseums! Der Petersdom! Das Kapitol! Rumms, schon tut es einen Schlag, der Rücken schmerzt, der Knöchel ist verknackst. In der italienischen Hauptstadt sollte man derzeit den Blick vor allem auf den Boden lenken, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden. Roms Straßen gleichen einer Mondlandschaft. Schuld daran sind die „buche“, pizzagroße Schlaglöcher. Sie gehören inzwischen zum Stadtbild.
Die Schlaglöcher sind in der Stadt seit Wochen Gesprächsthema Nummer eins und haben es jüngst sogar zu internationaler Berühmtheit gebracht. „Alle Straßen führen nach Rom“, schrieb die
„Aber wenn Sie ankommen, werden die fiesen Straßen und die kaputten Bürgersteige Ihre Reifen durchbohren, Ihre Achsen brechen, Ihre Bandscheiben malträtieren und, wie zuletzt, sogar Ihren SUV verschlucken.“Was wie ein mittelalterlicher Folter-Katalog klingt, ist römische Realität. Die Schlaglöcher der Ewigen Stadt gibt es in Miniatur- sowie im Maximalformat, im Zentrum ebenso wie in der Peripherie, und vor allem en masse. Von 50 000 Löchern im Asphalt ist die Rede. Und von „Emmentaler-Straßen“.
„Manche Straßen erinnern an die Rallye Dakar“, schrieb neulich die Lokalzeitung Wer nicht selbst in ein Schlagloch tritt oder von ihm bei der Durchfahrt durchgeschüttelt wird, der kann ihre verheerende Wirkung in den Lokalnachrichten nachverfolgen. 250 städtische Busse gaben seit Jah- resbeginn bereits den Geist auf, wegen Reifenschäden oder Abnutzung der Radaufhängungen. Vor kurzem stauten sich an die 50 Pkw an einer Ausfallstraße im Norden der Stadt, alle mit Reifenpanne. Sie waren bei Platzregen hintereinander durch dasselbe, 40 Zentimeter tiefe Schlagloch gefahren. Vor wenigen Wochen wurde im römischen Süden ein Geländewagen teilweise von einem überdimensionalen Erdloch verschluckt, auch das kommt vor. Dieser Vorfall unterscheidet sich von den tausenden kleinen Schlaglöchern im Asphalt, macht die Lage aber nicht besser. Dem römischen Institut für Umweltschutz und Forschung zufolge taten sich dieses Jahr bereits 43 derartige Erdlöcher auf.
Rom ist eine gefährliche Stadt. Das weiß auch James-Bond-Darsteller Daniel Craig. Er zog sich bei Dreharbeiten vor ein paar Jahren eine Kopfverletzung zu, weil er gegen das Dach eines Sportwagens gestoßen war. Der Grund: eines der unzähligen römischen Schlaglöcher. Diese sind schon seit Jahren ein Fall für die Stadtverwaltung. Auch dieser Tage schütten wieder eine Handvoll Straßenarbeiter nach dem Zufallsprinzip Asphalt in die oft noch mit Regenwasser gefüllten Löcher. Sogar eine „SchlaglochstopfMaschine“, die erhitzten Teer mit Hochdruck auf den Straßenbelag pustet, ist seit zwei Jahren im Einsatz. Bürgermeisterin Virginia Raggi von der Fünf-Sterne-Bewegung hat sich zuletzt mit einem „Marshall-Plan“gegen die Schlaglöcher versucht, zuvor gab es bereits einen „Schlagloch-Plan“. Knapp 80 Millionen Euro flossen so aus den Stadtkassen, aber die Römer fahren noch immer im Slalom durch ihre Stadt.
Überquellende Mülltonnen, schlecht erzogene Touristenhorden, das waren früher die Aufreger in der Stadt. Heute haben es die Römer mit einem Mix aus Klimawandel, Korruption und Missmanagement zu tun. Monsunartige Regenfälle häufen sich, vor Wochen schneite es zum ersten Mal seit sechs Jahren. Die Stadt hat für ihre 2,9 Millionen Einwohner ein völlig unzureichendes Nachverkehrssystem mit nur drei U-Bahn-Linien, die meisten Menschen benutzen deshalb das Auto, die Straßen sind überlastet. Ermittler fanden heraus, dass Baufirmen neuen Straßenbelag zu dünn auftrugen, um Material zu sparen und alsbald zur Ausbesserung beauftragt zu werden. Dazu wurden Sachverständige bestochen, das System lief jahrelang wie geschmiert.
Die Römer, die vor 2000 Jahren mit ihrem Straßenwesen ein Weltreich errichteten, flüchten sich heute in schwarzen Humor. Im Internet kursieren zahlreiche Fotomontagen als Parodien auf den Wahnsinn. Die Schlaglöcher werden dort etwa mit den Kratern auf Mars und Mond verglichen. Auf einer anderen steht Bürgermeisterin Raggi bis zum Mund im Wasser einer „buca“und versichert: „Alles o.k. Ich berühre den Boden noch.“