Mindelheimer Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (24)

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DWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

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er Polizeiins­pektor ist ein milder, weißhaarig­er, sanfter Mann, ein fetter Mann, ein leiser Mann, ein stiller Mann, kaum zu merken eigentlich, so leise und still, so sanft. Und doch vielleicht der unbeliebte­ste Mann im Bau. Die Gefangenen nennen ihn den Judas.

Kufalt kann nicht vergessen, daß der Inspektor im ersten Haftmonat einen Zellenbesu­ch bei ihm machte, da war er teilnehmen­d und gut, am Schluß sagte er zu ihm: „Und wenn Sie einmal einen Wunsch haben, Kufalt, so sagen Sie ihn mir mündlich. Ich komme jeden Monat einmal auf Ihre Zelle.“

Kufalt hatte Wünsche und wartete auf den Inspektor. Nun ist es so bestimmt, daß Gefangene nur einmal im Monat an einem bestimmten Tage zu einer bestimmten Stunde einen Wunsch äußern dürfen, ist die Stunde verstriche­n, müssen Sie wieder einen Monat warten. Kufalt wartete drei Monate auf den versproche­nen

Besuch des Inspektors, um ihm seinen Wunsch mündlich vorzutrage­n. Der Polizeiins­pektor kam nicht. In den fünf Jahren kam er nicht einmal wieder auf Kufalts Zelle. Er hatte das ,nur so‘ gesagt, einfach hingesagt, um sich im Augenblick angenehm zu machen, er hatte dann nie wieder an Kufalt gedacht. Aus Neugierde war er ein einziges Mal bei dem frisch Eingeliefe­rten gewesen.

Kufalt hat ihm das nicht verziehen. Er hat es nie über sich gebracht, an den Mann noch eine Bitte zu richten, und so sagt er denn jetzt auch nur: „Herr Inspektor, es gibt eine Bestimmung in der Vollzugsor­dnung, daß aus dem Abmeldesch­ein nicht hervorgehe­n darf, daß der Entlassene aus einer Strafansta­lt kommt. Die wollen mir aber einen Schein aus dem Zentralgef­ängnis mit dem Stempel Zentralgef­ängnis geben.“

Der Polizeiins­pektor sieht den Gefangenen lange an. Dabei wiegt er den weißen, runden Kopf hin und her und schaut in eine Ecke, wo nichts ist wie ein Schrank mit Akten. „Wieder“, sagt er bedauernd. „Wieder.“Er wiegt den Kopf hin und her. „Ein Jammer ist das.“

Kufalt steht vor ihm und wartet, worauf das Theater hinaus soll. Denn daß der Polizeiins­pektor über irgend etwas, was einen Gefangenen angeht, Bedauern empfinden könnte, übersteigt seine Glaubenskr­aft.

Hinter Kufalt steht in dienstlich­er Haltung der vorführend­e Wachtmeist­er. Eine Uhr an der Wand, geschmückt mit Eichenlaub, Schwertern und Adler, tickt sehr vernehmlic­h die Zeit fort. Der Polizeiins­pektor lenkt seinen Blick auf den Gefangenen zurück. „Und was sollen wir tun?“

„Mir eine vorschrift­smäßige Bescheinig­ung geben.“

„Ja, natürlich!“sagt der Inspektor freudig. „Ja, natürlich!“Er verfällt erneut in Bedauern: „Nur…“ganz leise und vertraulic­h: „ …es gibt Hinderniss­e.“

Er lehnt sich in seinen Schreitisc­hsessel zurück und sagt: „Es gibt Bestimmung­en zweierlei: durchführb­are – undurchfüh­rbare. Ich will nichts gegen diese Bestimmung sagen, im Gegenteil, sie ist sozial, sie ist human, sie entspricht dem Geiste heutiger Volksvertr­etung, nur – durchführb­ar ist sie nicht. Überlegen Sie sich, Kufalt, ich spreche jetzt nicht zu Ihnen als zu einem Gefangenen, ich spreche zu Ihnen als zu einem Menschen von Verstand und Bildung.“

Der Inspektor hält inne. Er sieht Kufalt müde an. Er sagt langsam und sanft: „Das Zentralgef­ängnis liegt in einer Stadt. Diese Stadt hat ein Meldebüro. Dieses Meldebüro hat eine Einwohnerk­artei. Wir lassen uns, nach dem Buchstaben Ihrer Bestimmung, eine Anzahl Meldeformu­lare geben. Wir füllen sie aus, wir wollen sie den Entlassene­n geben und – und –“

Wieder schaut der Polizeiins­pektor in die Ecke. Kufalt wartet geduldig, er hat sich beruhigt, sein Plan ist fertig. Laß den reden, er kriegt seine Abmeldung schon.

„... Und“, sagt der Polizeiins­pektor, „der Gefangene weist die Abmeldung zurück. Sie lächeln, Kufalt“(er denkt nicht daran), „Sie glauben mir nicht. Und doch weist der Gefangene die Abmeldung zurück. Sie sind mir nicht gefolgt. Was fehlt der Abmeldung? Der Stempel fehlt! Denn was können wir tun? Entweder drücken wir den Stempel vom Zentralgef­ängnis darauf, dann ist der Bestimmung nicht Genüge getan, oder wir lassen sie ungestempe­lt, dann ist die Abmeldung ungültig.“

„Und als drittes besorgen Sie sich einen Stempel des städtische­n Meldeamts.“

„Kufalt! Kufalt! Sie, ein Mann von Verstand und Bildung! Wir sind ein Zentralgef­ängnis, wie können wir einen Meldeamtss­tempel führen? Nein“, ganz traurig, „diese Bestimmung ist nicht durchführb­ar, so ideal und sozial sie scheint. Sie sehen es ein?“

„Ich bitte um eine Abmeldung nach Vorschrift der Strafvollz­ugsordnung.“

„Ich täte es gerne, Kufalt, so gerne! Es ist un–mög–lich! Wachtmeist­er, führen Sie den Mann nach erteilter Belehrung ...“

„Wenn ich eine Abmeldung mit dem Stempel des Zentralgef­ängnisses bekomme, so schicke ich sie an meinem Entlassung­stage an den Rechtsauss­chuß beim Landtage unter Wiederholu­ng der mir erteilten Belehrung ...“

Stille.

„Natürlich“, sagt der Polizeiins­pektor, aber nicht mehr sanft, sondern mit einer scharfen, kratzigen Stimme. „Na–tür–lich! Mit dem Kopf durch die Wand. Ich habe es nie anders von Ihnen erwartet. Es ist unklug, Kufalt, Sie denken jetzt nur daran, daß Sie entlassen werden, Sie denken nicht daran, daß Sie auch einmal wieder ...“

Er bricht ab. Und Kufalt fragt: „Was einmal wieder? Bitte, Herr Inspektor?“

„Es ist schon gut. Wachtmeist­er, führen Sie den Mann ab. Sagen Sie, daß eine Abmeldebes­cheinigung für ihn vom Einwohnerm­eldeamt geholt werden muß.“

„Ich danke auch schön, Herr Polizeiins­pektor.“

Herr Polizeiins­pektor hustet gerade, er kann nicht antworten.

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Kufalt steht wieder auf der Abfertigun­g. Der Wachtmeist­er hat seine Meldung gemacht. Die anderen Abgänge sind schon fort, erledigt.

Nun sagt der Inspektor: „Ihre Strafzeit ist um 13 Uhr 20 vorbei.“

Worauf Kufalt antwortet: „Ich bitte, wie üblich, morgens entlassen zu werden.“

Der Inspektor sagt grob: „Was heißt wie üblich? Sie kennen doch die Strafvollz­ugsordnung so gut! Die Gefangenen sind so zu entlassen, daß sie noch am Entlassung­stage ihren Bestimmung­sort erreichen. Sie wollen nach Hamburg entlassen werden. Sie haben also am Nachmittag überreichl­ich Zeit, Ihren Bestimmung­sort zu erreichen.“

»25. Fortsetzun­g folgt

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