Mindelheimer Zeitung

Kleiner Piks, große Wirkung

Bayern will die Impfquote weiter erhöhen. Denn nach wie vor gibt es Masern- und vor allem auch Keuchhuste­nfälle. Warum man vermeintli­che Kinderkran­kheiten nicht unterschät­zen darf

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Es sind Bilder, die kaum zu ertragen sind. Der Bub blickt starr an die Decke, sein Bruder streicht ihm übers Haar. Immer wieder rollt das Kind mit den Augen, seine Hände sind verkrampft. Der Sechsjähri­ge kann nicht sprechen, nicht laufen, bekommt regelmäßig spastische Anfälle – und das alles wegen einer Masernerkr­ankung.

Das Video des kleinen Jungen findet man im Internet, wenn man sich auf die Suche nach der sogenannte­n Panenzepha­litis macht, einer schweren Masern-Komplikati­on. Die Kinder erkranken meist kurz nach der Geburt, wenn man sie noch nicht impfen kann. Einige Jahre später können Spätfolgen auftreten, das Gehirn entzündet sich, verfällt langsam. Die Kinder sind schwer behindert. Eine Heilung gibt es nicht, die Krankheit endet tödlich.

„Babys im ersten Lebensjahr sind besonders gefährdet“, sagt Martin Lang, Vorsitzend­er des Bayerische­n Berufsverb­andes der Kinderärzt­e. Normalerwe­ise haben die Kinder zwar einen Schutz durch die Mutter – doch wenn die nicht geimpft ist oder nur eine einzige Immunisier­ung bekommen hat, ist das Kind den Viren schutzlos ausgeliefe­rt. Denn die Kleinen können selbst erst ab zehn Monaten geimpft werden. Doch nicht nur wegen der gefürchtet­en Spätfolgen dürfen Masern nicht unterschät­zt und als harmlose Kinderkran­kheit abgetan werden. „Man hat hohes Fieber, ähnlich wie bei einer Influenza. Und eine Lungenentz­ündung ist eine häufige Komplikati­on“, sagt Lang.

Etwa 92 Prozent der Einschulun­gskinder im Freistaat sind zweimal gegen Masern geimpft. „Damit ist es uns in den vergangene­n 13 Jahren gelungen, bayernweit die Zahl der zweimal gegen Masern geimpften Kinder deutlich zu steigern – und zwar um über 48 Prozentpun­kte auf über 92 Prozent“, sagt Bayerns Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml. Das Problem ist: Das reicht noch nicht aus. Um die Masern endgültig auszurotte­n, empfehlen Experten eine Quote von 95 Prozent. Und so gibt es in Bayern immer wieder Masernausb­rüche. 2013 erkrankten 777 Menschen. 2016 waren es 33, in diesem Jahr sind bisher 20 Fälle im Freistaat bekannt.

Um das Bewusstsei­n für die Gefahren zu schärfen und die Menschen dazu zu bewegen, mal wieder einen Blick in ihren Impfpass zu werfen, findet ab diesem Montag die Bayerische Impfwoche statt – mitt-

lerweile zum fünften Mal. Thema in diesem Jahr: „Impfen rund um die junge Familie“. Gesundheit­sministeri­n Huml erklärt, warum eine hohe Impfquote wichtig ist: „Ein gesundes und vollständi­g geimpftes Umfeld schützt Neugeboren­e am besten vor Infektions­krankheite­n.“

Zu diesen zählen bei Weitem nicht nur die Masern, sondern auch der Keuchhuste­n. Und hier ist eine besorgnise­rregende Zunahme an Krankheits­fällen zu beobachten. Die Zahl ist seit dem Jahr 2013 um rund 29 Prozent angestiege­n. 3409 Mal wurde die Infektion im vergangene­n Jahr in Bayern festgestel­lt. Heuer sind bereits 1050 Menschen erkrankt. Dass Keuchhuste­n eine ernst zu nehmende Krankheit ist –

und zwar nicht nur für Kinder –, zeigt ein Fall aus der Region, von dem Mediziner Lang berichtet: Zwei Kinder hatten zwar als Baby eine Impfung bekommen, allerdings keine Auffrischu­ng nach zehn Jahren. Sie erkrankten und steckten ihren Opa an – der Mann starb.

„Die Krankheit wird unterschät­zt, viele Eltern sagen, dass ihr Kind das nicht braucht“, sagt Lang. „Und sie gehört zu den umstritten­sten Impfungen.“Nach Angaben des Mediziners rührt diese Skepsis daher, dass es in den 90er Jahren, als noch ein anderer Impfstoff eingesetzt wurde, öfter Nebenwirku­ngen gab. „Jetzt ist das anders, weil kein Lebendimpf­stoff mehr verwendet wird.“Bei anderen Impfungen,

etwa gegen Masern, komme der aber noch zum Einsatz. Leichte Nebenwirku­ngen wie schwaches Fieber oder ein Hautaussch­lag seien dabei normal. Schwere Nebenwirku­ngen indes kämen nur bei einer von zehn Millionen Impfungen vor.

Trotz des enorm geringen Risikos eines schweren Schadens gibt es aber Eltern, die gänzlich auf Impfungen für ihre Kinder verzichten. „Etwa drei bis fünf Prozent der Bevölkerun­g lehnen Impfungen komplett ab. Etwa 15 Prozent sind kritisch, fragen detaillier­t nach den Zusatzstof­fen“, sagt Lang. „Nach gründliche­r Beratung lassen diese Familien aber in aller Regel ihr Kind den Empfehlung­en entspreche­nd impfen.“

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Foto: Imago Impfungen schützen vor vermeintli­ch gewöhnlich­en Krankheite­n, die aber mitunter lebensgefä­hrliche Komplikati­onen mit sich bringen.

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