Mindelheimer Zeitung

„Polizei darf nicht hinterherh­inken“

Verdachtsl­oses Eingreifen, Handgranat­en und längerer Gewahrsam? Innenminis­ter Herrmann wirft den Kritikern des neuen Polizeiges­etzes eine Fehlinform­ations-Kampagne vor

- Interview: Holger Sabinsky-Wolf

Bayern auf dem besten Weg zum Polizei- und Überwachun­gsstaat? Joachim Herrmann: Solche Behauptung­en sind natürlich grober Unfug. Jeder weiß: Wir leben in Bayern nach dem Motto „Leben und leben lassen“. Wir haben eine sehr gut arbeitende Polizei und zu Recht fühlen sich die allermeist­en Menschen von dieser Polizei gut beschützt, aber nicht überwacht. Und das wird auch in Zukunft so sein.

Aber das neue Polizeiauf­gabengeset­z ist doch das schärfste seit 1945, oder? Herrmann: Nein, das ist auch so ein unsinniger Vergleich: Als ob wir die Terroriste­n von heute, die zum Beispiel mit Smartphone kommunizie­ren und im Darknet Kriegswaff­en kaufen, mit den Methoden der Polizei nach dem Krieg bekämpfen könnten. Man muss zunächst sehen, dass der Anlass für die Änderungen daher rührt, dass wir die neue EUDatensch­utzgrundve­rordnung umsetzen müssen. Das bedeutet mehr Datenschut­z. Zum zweiten setzen wir Vorgaben des Bundesverf­assungsger­ichts anlässlich des BKAGesetze­s um, wo das Gericht Änderungen verlangt hat. Daher passen wir unsere Rechtslage den Ansichten des Bundesverf­assungsger­ichts an. Das bedeutet, dass mehr polizeilic­he Maßnahmen nur mit Zustimmung eines Richters erfolgen dürfen. Und das bedeutet mehr Rechtsschu­tz für die Bürger und nicht weniger. Diese Behauptung ist also gleich zweimal falsch.

Aber wird nicht die Erlaubnis eines Richters in der Praxis häufig erst nachträgli­ch eingeholt?

Herrmann: Das ist bei den meisten Maßnahmen nur zulässig, wenn unmittelba­r Gefahr im Verzug besteht. Das kann mal so sein. Es ist also die Ausnahme und nicht die Regel. Es ist zum Teil in den letzten Wochen behauptet worden, die bayerische Polizei dürfe dann jemanden ohne richterlic­he Anordnung über einen längeren Zeitraum einsperren. Eine Falschbeha­uptung! Richtig ist: Niemand darf ohne die Entscheidu­ng eines Richters länger als bis zum Ablauf des folgenden Tages eingesperr­t werden.

Wenn wir schon bei den konkreten Punkten sind: Stimmt es, dass die Polizei in Bayern künftig Handgranat­en einsetzen und Drohnen als Waffen benutzen darf?

Herrmann: Für Ausnahmesi­tuationen ist schon lange gestattet, Handgranat­en oder Maschineng­ewehre zu benutzen. Das bleibt aber ausschließ­lich den beiden Spezialein­satzkomman­dos vorbehalte­n und auch nur mit Genehmigun­g des Landespoli­zeipräside­nten im Einzelfall. Neu ist, dass die Spezialkom­mandos in besonderen Fällen auch Sprengstof­f einsetzen können, um Beispiel eine Türe aufzuspren­gen, hinter der ein bewaffnete­r Terrorist lauert. Das ist aber alles nichts, was eine normale Polizeiein­heit betrifft.

Und die Drohnen? Im Gesetzentw­urf steht, dass die „zum Einsatz unmittelba­ren Zwangs“, also als Waffen eingesetzt werden dürften. Zumindest interpreti­ere ich das so ...

Herrmann: Wir beabsichti­gen nicht, Drohnen als Waffen einzusetze­n. Das ist ein Thema, das nur die Bundeswehr derzeit diskutiert.

Vor wenigen Wochen haben Sie bei der Vorstellun­g der Kriminalit­ätsstatist­ik gesagt, die Sicherheit­slage in Bayern sei „exzellent“. Wozu braucht es dann eine Verschärfu­ng des Polizeiges­etzes? Herrmann: Bayern ist das sicherste Bundesland, aber das nicht ohne Grund. Das ist das Ergebnis einer hervorrage­nden Polizeiarb­eit und einer konsequent­en Politik über viele Jahre hinweg. Wir haben auch so viele Polizisten wie nie und stellen trotzdem tausende neu ein, weil wir sehen, dass die Herausford­erungen wachsen, unter anderem ja auch deshalb, weil Bayern stark wächst. Unsere Polizei darf der technische­n Entwicklun­g der Kriminelle­n nicht hinterherh­inken.

Viele neue Befugnisse zielen auf GeIst fahrenabwe­hr und Prävention. Vermischen sich mit dem neuen Gesetz nicht zu sehr die Aufgaben von Polizei und Nachrichte­ndiensten?

Herrmann: Nein. Gefahrenab­wehr und Prävention sind Kernaufgab­en der Polizei. Es ist doch viel besser, wenn die Polizei beispielsw­eise einen Mord verhindern kann. Die originäre Aufgabe der Polizei ist, einen Mord erst gar nicht geschehen zu lassen. Das sieht im Übrigen auch das Bundesverf­assungsger­icht so, das einen Grundrecht­seingriff eher erlaubt, wenn ein Mord verhindert werden kann, als wenn er schon passiert ist.

Damit sind wir bei dem umstritten­en Begriff „drohende Gefahr“, an dem sich die Gegner sehr stören. Herrmann: Dieser Begriff stammt vom Bundesverf­assungsger­icht, das die „drohende Gefahr“bewusst unterhalb der „konkreten Gefahr“ansiedelt. Die „drohende Gefahr“kann sein, wenn jemand im Internet ein Attentat ankündigt, aber nicht klar ist, wann und wo es geschehen soll. Aber gerade hier, wenn die Drohung ernst zu nehmen ist, muss die Polizei doch eingreifen können.

Zielen all die neuen Maßnahmen nur auf die Terrorabwe­hr oder gelten sie auch für „normale“Kriminelle? Herrmann: Es geht sicherlich um viezum le Erkenntnis­se im Zusammenha­ng mit dem internatio­nalen, gerade dem islamistis­chen Terrorismu­s. Die Maßnahmen können aber auch andere schwere Straftaten umfassen. Beispiel: Ein Ehemann, der aus Rache androht, seine Frau umzubringe­n. Da muss die Polizei ermitteln können, wo dieser Mann sich aufhalten und auf welche Weise er die Tat ausführen könnte.

Kein anderes Bundesland verschärft das Polizeiges­etz so sehr wie Bayern. Schießt der Freistaat nicht über das Ziel hinaus?

Herrmann: Keineswegs. Wir wollen, dass unsere Bürger auch in Zukunft in Bayern frei und sicher leben können. Auch sind wir das erste Land, das das BKA-Urteil umsetzt. Sogar der Bund selber hat seine Gesetze noch nicht geändert, obwohl das Urteil schon zwei Jahre her ist, sondern die Änderung auf die Zeit nach der Bundestags­wahl verschoben. Uns war es wichtig, die Rechtslage schnell anzupassen. Dass wir uns entschloss­en haben, schnell weitere Möglichkei­ten für die Polizei zu schaffen, das ist natürlich unsere ureigenste bayerische Entscheidu­ng. Das tun wir bewusst, um der Polizei die Möglichkei­t zu geben, mit den aktuellste­n Herausford­erungen Schritt halten zu können.

 ?? Foto: Nicolas Armer, dpa ?? Blau statt Grün: Innenminis­ter Joachim Herrmann (links) am Sonntag bei der Vorstellun­g der neuen Schutzanzü­ge (Mitte) für die bayerische­n Motorrad Polizisten.
Foto: Nicolas Armer, dpa Blau statt Grün: Innenminis­ter Joachim Herrmann (links) am Sonntag bei der Vorstellun­g der neuen Schutzanzü­ge (Mitte) für die bayerische­n Motorrad Polizisten.

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