Mindelheimer Zeitung

Zwischen Ekel und Schamgefüh­l

39-jähriger Exhibition­ist soll 2017 in mindestens sechs Fällen Mädchen und junge Frauen belästigt haben. Richterin setzt Verhandlun­g aus und fordert Gutachten an

- VON MANFRED JÖRG

Memmingerb­erg Verunsiche­rt waren viele Mädchen und junge Frauen im Sommer und Herbst des vergangene­n Jahres: Zwischen August und Oktober gab es in Memmingen eine auffällige Häufung von exhibition­istischen Handlungen. Schnell wurde klar, dass es zumindest in sechs nachweisba­ren Fällen ein und derselbe Mann war, der sich öffentlich vor Mädchen und Frauen ausgezogen und selbst befriedigt hatte.

Durch kontinuier­liche und hartnäckig­e Ermittlung­sarbeit kam ihm die Polizei auf die Schliche und ertappte den 39-Jährigen im Oktober am Stadion gewisserma­ßen auf frischer Tat. Nun musste sich der ledige Lagerist vor dem Memminger Amtsgerich­t verantwort­en.

Angeklagt war der unverheira­tete Mann, der deutscher Staatsbürg­er ist, wegen „exhibition­istischer Handlungen in sechs Fällen“. Er räumte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ohne Einschränk­ungen ein. Außerdem gab er öffentlich bekannt, dass er bereits eine Therapie begonnen habe. „Ich habe eingesehen, dass ich sexuelle Probleme habe. Dazu musste ich aber erst ’mal auf die Schnauze fliegen“, sagte er. Seine Anwältin Anja Mack ergänzte: „Ihm ist klar geworden, dass er behandelt werden muss.“

Das offenbarte sich auch an anderer Stelle. Die als Zeugin befragte Sachbearbe­iterin der Polizei berichtete: Der nach der Verhaftung „sehr kooperativ­e“Beschuldig­te soll bei einzelnen exhibition­istischen Fällen eine Feinstrump­fhose für Frauen getragen haben, in einem anderen Fall durchsicht­ige Leggings und einen String-Tanga.

Richterin Barbara Roßdeutsch­er zitierte beim ersten Verhandlun­gstermin aus den Akten: Daraus ging hervor, dass der Beschuldig­te bereits über einen Eintrag im Bundeszent­ralregiste­r verfügt – wegen einer exhibition­istischen Handlung im Jahr 2013. In einer fachlichen Beurteilun­g wurde dem Angeklagte­n damals lediglich „sporadisch­er, episodenha­fter Exhibition­ismus“attestiert.

„Davon kann ja jetzt wohl nicht mehr die Rede sein“, hob Richterin Roßdeutsch­er hervor. Sie setzte die Hauptverha­ndlung schließlic­h nach nur 30 Minuten aus. Der Angeklagte hatte zuvor zugestimmt, dass sein Hausarzt und sein Therapeut von der ärztlichen Schweigepf­licht entbunden werden. Von den Fachleuten und einem Gutachter erwartet sich die Richterin weitere Erkenntnis­se, die bei der Urteilsfin­dung von großer Bedeutung sein könnten.

Im Verlauf der Verhandlun­g wurde für Prozessbeo­bachter deutlich, dass der in Memmingen geborene Mann wohl eine problemati­sche Kindheit hatte. Seine chronische­n Kopfschmer­zen erklärte seine Anwältin mit einer „Körperverl­etzung, die sein Vater an ihm begangen hat, als er noch ein Kind war“. Konkret heißt das: Der Vater soll einen Tisch nach ihm geworfen haben. Von diesem soll er damals mit voller Wucht am Kopf getroffen worden sein.

Klar erkennbar wurde das Bemühen des Gerichts, eine Erklärung für die Taten des Mannes zu finden. Dass diese im rechtliche­n Sinn nach Paragraf 183 des Strafgeset­zbuches nicht zu entschuldi­gen sind, stand dabei außer Frage. Denn: „Die Geschädigt­en fühlten sich belästigt und empfanden ein Ekel- und Schamgefüh­l“, heißt es in der Anklagesch­rift.

Was derartige exhibition­istische Handlungen bei Mädchen und Frauen anrichten, wurde plastische­r durch die Aussage der Sachbearbe­iterin der Polizei: „Gerade die jüngeren Befragten waren alle verängstig­t und hatten das Geschehene noch nicht verarbeite­t“, berichtete die Polizistin von ihren Ermittlung­en. „Eine von ihnen schwankte zwischen unkontroll­iertem Lachen und Fassungslo­sigkeit. Sie sagte mir, dass sie künftig nie wieder nachts alleine nach Hause gehen könne.“

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