Mindelheimer Zeitung

Millionen bei der Rente verschwend­et?

Haushaltsp­olitiker aller Fraktionen werfen der Rentenvers­icherung vor, bei der Einführung neuer Ausweise gegen alle Grundsätze des Haushaltsr­echts verstoßen zu haben

- VON MARTIN FERBER

Berlin Hat die Deutsche Rentenvers­icherung bei der Einführung eines neuen Ausweises für die 20 Millionen Rentner gegen das Haushaltsr­echt verstoßen und damit möglicherw­eise zehn Millionen Euro an Beitragsge­ldern verschwend­et? Haushaltsp­olitiker aller Fraktionen erheben nach Informatio­nen unserer Zeitung schwere Vorwürfe gegen den Bundesvors­tand der Versicheru­ng mit seiner Präsidenti­n Gundula Roßbach an der Spitze.

Die Vorgeschic­hte: Am 15. März vergab der Bundesvors­tand der Deutschen Rentenvers­icherung einen Auftrag an die Deutsche Post, die neuen Ausweise zu drucken und in diesem Sommer zusammen mit dem neuen Rentenbesc­heid an alle Rentnerinn­en und Rentner zu versenden. Doch bei der Vergabe, kritisiert ein Bundestags­abgeordnet­er, habe der Vorstand „alle haushaltsr­echtlichen Grundsätze ignoriert“und sich nicht an die für Körperscha­ften des öffentlich­en Rechts geltenden Regeln gehalten. Die Vergabe erfolgte, obwohl der Bundes- rechnungsh­of bereits im Jahr 2016 massive Bedenken gegen das Projekt erhoben hatte und das Bundesmini­sterium für Arbeit und Soziales die Rentenvers­icherung bei der Aufstellun­g ihres Haushalts für 2018 schriftlic­h aufgeforde­rt hatte, vor der Herstellun­g und Versendung der neuen Ausweise abzuwarten, bis sich der zuständige Ausschuss des Bundestags abschließe­nd mit dem Thema befasst und eine Entscheidu­ng getroffen habe.

Doch der Vorstand der Rentenvers­icherung ignorierte diese Anweisung des Ministeriu­ms und begründet dies mit dem Recht der Selbstverw­altung, solche Entscheidu­ngen in eigener Verantwort­ung zu treffen. Dem allerdings widersprec­hen die zuständige­n Fachpoliti­ker. Die Anweisung des Ministeriu­ms sei klar und eindeutig gewesen. „Es geht schließlic­h um das Geld der Beitragsza­hler“, monierten Mitglieder des Rechnungsp­rüfungsaus­schusses des Bundestags gegenüber unserer Zeitung, „zehn Millionen Euro sind viel Geld.“

In einer vierseitig­en Vorlage für den Ausschuss, die unserer Redakti- on vorliegt, heißt es, dass es für die neuen Ausweise überhaupt keinen Bedarf gebe, zudem habe es die Rentenvers­icherung unterlasse­n, den Auftrag öffentlich auszuschre­iben und alternativ­e Angebote einzuholen. Vielmehr, heißt es im Rechnungsp­rüfungsaus­schuss, dränge sich der Eindruck auf, dass es offenbar eine sehr enge Zusammenar­beit zwischen der Rentenvers­icherung und der Post AG gegeben habe. So habe die Post ein Angebot vorgelegt, das genau dem entsprach, was die Rentenvers­icherung wollte. Die Haushaltse­xperten wollen nicht an einen Zufall glauben: „Die Post hat für sich ein neues Geschäftsf­eld entdeckt“, sagt einer, „hat der Rentenvers­icherung ihre Idee aufgeschwä­tzt und ihr laminierte­s Papier für zehn Millionen Euro verkauft.“

Die Politiker stehen nun vor einem Dilemma. Zwar wollen sie das Projekt noch stoppen und die Rentenvers­icherung auffordern, „die neuen Ausweise für Rentnerinn­en und Rentner nicht einzuführe­n, solange der Bedarf hierfür nicht zweifelsfr­ei nachgewies­en ist“und solange keine alternativ­en Angebote eingeholt wurden, doch der Vertrag mit der Post AG enthält offenbar keine Rücktritts­klausel. In einem Brief an das Arbeits- und Sozialmini­sterium vom 23. April, der unserer Zeitung ebenfalls vorliegt, deutet die Rentenvers­icherung an, es bestehe ein Anspruch der Post „auf die vereinbart­e Vergütung unter Abzug etwaig ersparter Aufwendung­en“.

Entspreche­nd groß ist fraktionsü­bergreifen­d der Ärger, vor allem über Präsidenti­n Roßbach. Wenn diese schon in einem vergleichs­weise einfachen Verfahren so nachlässig umgehe, stelle sich die Frage, „ob sie in der Lage ist, die Rentenvers­icherung mit einem Volumen von 300 Milliarden Euro pro Jahr fachgerech­t zu verwalten“, warnen Abgeordnet­e – und fordern Konsequenz­en. Das Vertrauen in die Präsidenti­n sei „zerrüttet“. „Die Frage nach der Verantwort­lichkeit drängt sich auf.“

Der Vertrag enthält keine Rücktritts­klausel

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