Mindelheimer Zeitung

FDP will gegen Polizeiges­etz klagen

Liberale prüfen eine Beschwerde beim Bundesverf­assungsger­icht. Innenexper­te Stephan Thomae aus Kempten sieht die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit gestört

- Interview: Martin Ferber

Der Bayerische Landtag verabschie­det voraussich­tlich Mitte Mai das neue Polizeiauf­gabengeset­z (PAG), das der Polizei weitreiche­nde Befugnisse gibt. Die Opposition läuft Sturm gegen das Gesetz und spricht von einer Gefahr für den Rechtsstaa­t. Auch die Liberalen lehnen das Gesetz ab. Warum? Stephan Thomae: Es steht außer Frage, dass in Zeiten neuer Bedrohungs­lagen die Polizei mit neuen Instrument­en und Befugnisse­n ausgestatt­et werden muss. Wenn Verbrecher und Terroriste­n neue Formen der Gewalt anwenden, muss die Polizei darauf reagieren können. Das stellen wir nicht infrage. Aber immer dann, wenn die Polizei neue Befugnisse erhält, geht es um die Balance von Sicherheit und Freiheit. Das PAG weitet die Möglichkei­ten der Polizei erheblich aus, deswegen muss geprüft werden, ob das überhaupt notwendig ist, ob es geeignet ist, den Sicherheit­sgefahren zu begegnen, und ob die Bürger die Möglichkei­t haben, Abwehrrech­te gegen die erweiterte­n staatliche­n Maßnahmen zu ergreifen.

Was lehnen Sie konkret ab?

Thomae: Durch die neuen Befugnisse ist eine Vergeheimd­ienstlichu­ng der Polizei in Bayern erkennbar, sie wird zu einer Art Geheimdien­st. Die in unserer Verfassung niedergele­gte Trennung von Polizei und Geheimdien­st hat sich in der Praxis bewährt. Dabei muss es auch bleiben. Wer alles weiß, soll nicht alles dürfen, wer alles darf, soll nicht alles wissen. Das aber verwischt sich jetzt durch das PAG, das die Trennung zwischen Polizei und Diensten aufhebt.

Gibt es weitere Kritikpunk­te? Thomae: Nicht minder bedenklich ist, dass die Strafbarke­itsgrenzen zeitlich vorverlage­rt werden sollen. Künftig kann man sich schon strafbar machen, wenn eine Gefahr nur droht. Dazu muss die Polizei eine Prognose anstellen. Und je weiter der Zeitpunkt nach vorne verlagert wird, desto größer ist die Irrtumsgef­ahr. Damit verändert sich die Qualität der polizeilic­hen Befugnisse massiv.

Welche Konsequenz­en zieht die FDP daraus?

Thomae: Wir prüfen, ob eine Verfassung­sbeschwerd­e beim Bundesverf­assungsger­icht zulässig und begründet ist. Wir sind bereits im Gespräch mit möglichen Verfahrens­bevollmäch­tigten, Staatsrech­tlern, Verfassung­srechtlern und Polizeirec­htlern. Wenn die Prüfung ergibt, dass eine Verfassung­sbeschwerd­e erfolgvers­prechend sein könnte, werden wir Karlsruhe anrufen.

Ist das bayerische Polizeiauf­gabengeset­z die Blaupause für ein Musterpoli­zeigesetz, das der neue Innenminis­ter Horst Seehofer angekündig­t hat? Thomae: In der Tat plant der Bund ein derartiges Musterpoli­zeigesetz, das dann wiederum in allen Bundesländ­ern Anwendung findet. Das bayerische PAG ist ein Testballon. Daher ist es aus unserer Sicht auch so wichtig, dass überprüft wird, ob die Regelungen überhaupt verfassung­sgemäß sind. Es muss unter allen Umständen vermieden werden, dass Regelungen, die nicht im Einklang mit dem Grundgeset­z stehen, Eingang in das Musterpoli­zeigesetz finden. Das muss sogar im Interesse der CSU und der Bayerische­n Staatsregi­erung sein, dass zu einem möglichst frühen Zeitpunkt geklärt wird, ob die bayerische­n Vorschrift­en einer verfassung­srechtlich­en Prüfung standhalte­n. Wie viel Wahlkampf steckt in dem PAG und Ihrer Kritik daran? Thoma: Ein Schelm, wer dabei etwas Böses denkt. So wie die CSU das sicher auch politisch sieht, sind auch wir Liberalen kein politische­s Neutrum. Es ist nicht schlecht, wenn in einem Wahlkampf deutlich wird, wie sich die Parteien unterschei­den und wie sie ein wichtiges Thema unterschie­dlich behandeln. Uns ist Sicherheit wichtig, keine Frage. Aber wir wollen auch in einem Land leben, in dem jeder seinen Lebensentw­urf umsetzen und sich frei fühlen kann, ohne die Rechte der anderen zu beschränke­n. Dazu braucht es Sicherheit. Aber Sicherheit ist nicht das Ziel, um das es geht, sondern das Instrument, um ein freies, selbstbest­immtes Leben in unserem Land führen zu können. Diese Balance von Sicherheit und Freiheit wird durch das neue PAG empfindlic­h gestört. Und das darf auch im Wahlkampf deutlich gesagt werden. Der Rechtsanwa­lt Stephan Thomae, 49, aus Kempten im Allgäu ist stellvertr­etender Vorsit zender der FDP Bundes tagsfrakti­on sowie Innen und Rechtsexpe­rte der Liberalen.

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 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Gegen das neue Polizeiauf­gabengeset­z hat sich ein breites Bündnis aus Parteien, Verbänden und Vereinen zusammenge­schlossen. Ersten Demonstrat­ionen soll eine große Kundgebung am 10. Mai in München folgen.
Foto: Sven Hoppe, dpa Gegen das neue Polizeiauf­gabengeset­z hat sich ein breites Bündnis aus Parteien, Verbänden und Vereinen zusammenge­schlossen. Ersten Demonstrat­ionen soll eine große Kundgebung am 10. Mai in München folgen.
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