Alle zieht es in das Stundenhotel
„Der Floh im Ohr“am Theater Ulm schafft doppelbödiges Vergnügen
Ulm Vordergründig inszeniert Oliver Haffner Georges Feydeaus 1907 uraufgeführte Verwechslungskomödie „Der Floh im Ohr“im Großen Haus des Theaters Ulm als rasantes Boulevardstück. Doch steckt hinter dem Komödiantischen nicht ein bisschen mehr? Haffners Inszenierung entblößt die Wohlanständigkeit der Pariser Belle Époque: Hinter einer Fassade prüder Bürgerlichkeit blühen die Gelüste und Fantasien. Und auch wenn auf der Bühne nicht nur die Doppelmoral entblößt wird, sondern so mancher in Unterhosen und weniger dasteht – die erotischen Träume bleiben Kopfkino, und das Publikum hat viel zu lachen.
Feydeaus Komödientitel „La puce à l’oreille“ist mit „Der Floh im Ohr“wörtlich übersetzt. Die Redewendung erfuhr über die Jahrhunderte einen Bedeutungswandel. Im Französischen beschreibt sie das beunruhigende Gefühl, zu merken, dass etwas nicht stimmt und hellhörig oder misstrauisch zu werden. Im Deutschen meint die Metapher, bei einem anderen eine fixe Idee zu wecken, die dieser nicht mehr loswird. Verblüffend an Oliver Haffners Inszenierung: Beide Bilder funktionieren. Raymonde Chandebises „Floh im Ohr“meldet sich, als ihrem Ehemann seine Hosenträger aus einem Hotel mit zweifelhaftem Ruf zugeschickt werden – und sie setzt ihrer Freundin Lucienne den Floh ins Ohr, den vermeintlich Untreuen überführen zu müssen.
Für die letzte Schauspiel-Premiere der Intendanz von Andreas von Studnitz bietet das Theater Ulm sein ganzes Ensemble auf, um zu zeigen, wie in einer rasanten Farce der gute Ruf aller in Stücke geht, ausgelöst von einem so simplen wie falschen Verdacht. Raymondes Mutmaßungen nähren sich aus dem plötzlich erloschenen sexuellen Interesse ihres Ehemannes, des biederen Lebensversicherungsdirektors Victor Emanuel, und sie lockt über ihre Freundin Lucienne (Aglaja Stadelmann) den lustlosen Gatten in das Stundenhotel „Zum galanten Kätzchen“. Dieses ist wohlbekannt bei der gesamten Gesellschaft – außer bei Victor Emanuel und Raymonde (Tini Prüfert), die sich bislang sehr zugetan gewesen waren.
Im großbürgerlichen Bühnenbild von Britta Lammers geht es zwischen bürgerlicher Eleganz, Sockenhaltern und Hosenträgern um männliche Versagensängste und um überpotente Träume, um das Klischee vom feurig-eifersüchtigen Spanier und vor allem darum, dass ausgerechnet der angesehene Herr Direktor einen Doppelgänger hat, den wermutseligen Windbeutel Poche, Portier im Stundenhotel. Gunther Nickles spielt seine Lust am permanenten Wechsel der beiden Figuren gekonnt aus. Benedikt Paulun springt in der Rolle des Neffen Camille Chandebise sicher zwischen ausgespieltem Sprachfehler und Momenten des fehlerfreien Sprechens hin und her. Fabian Gröver mimt den Lebemann Roman Tournel, und Franziska Maria Pößl setzt als attraktive Bedienstete den Männern aller gesellschaftlichen Schichten feuchte Träume ins Gehirn, während ihr Ehemann, Kammerdiener Etienne (Jakob Egger), immer wieder wegen seines „delikaten“Problems Doktor Finache (Timo Ben Schöfer) aufsucht. Ein einem Comic entsprungener Cowboy (Florian Stern), optisch vom Typ Lex Barker und schießwütig wie Lucky Luke, mischt das Rotlicht-Hotel vergnüglich auf.
Gewinner sind sie alle nicht, die Besucher im Stundenhotel. Und auch dessen Belegschaft nicht. Vielleicht will Oliver Haffner seinem Publikum genau dies sagen – versteckt hinter der Maske des Lachens.
ODie nächsten Aufführungen 12., 16. und 18. Mai
3., 6.,