Mindelheimer Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (29)

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WWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

ieso? Wohin?“tut Kufalt.

„Na, Mensch. Ich weiß doch. Und ich rate dir, steig Holstenstr­aße aus, da ist es. Sonst tippelst du nachher mit deinem Koffer durch die ganze Stadt.“

„Ja, danke. Ich weiß ja nicht. Ich fahre zu Verwandten nach Hamburg.“

„Wenn du mit denen verwandt bist ...“

Kufalt verflucht sich, daß er dies Gespräch entfesselt hat. Sucht nach seiner Zeitung.

„»Wenn ich du wäre, ich führe ja lieber zu den Hallelujab­rüdern in der Steinstraß­e.“

Kufalt entfaltet die Zeitung. „Da kostet es auch nur vier Groschen die Nacht.“

Kufalt liest.

„Wenn du willst, ich trag dir deinen Koffer.“

Kufalt hört nicht.

„Ich geh’ dir damit nicht über den Harz, verstehste. Ich trag’ dir den Koffer, und wenn du bis Blankenese tippelst.“

Kufalt steht auf und geht aufs Klo. 2

„Apfelstraß­e?“fragt der Schupo und sieht Kufalt an. „Na natürlich. Da gehen Sie hier runter und die zweite Querstraße rechts rein.“

„Danke“, sagt Kufalt und marschiert los. ,Hat’s mir auch angesehen. Es muß an meiner gelben Farbe liegen. Ich wollte, ich säh’ erst anders aus, keinen kann man grade anschauen ...‘

Apfelstraß­e. Nummer achtundzwa­nzig soll es sein. ,Vereinshau­s der Stadt-Mission. Schlafsäle über den Hof. Bett fünfzig Pfennig.‘ ,Das ist doch nicht das?‘

In dem Torweg steht ein dicker Mann mit unfreundli­chem Gesicht. Kufalt geht ihm zögernd näher. Der Mann hat so eine besondere Mütze auf. Noch ehe Kufalt bei ihm ist, schreit er los: „Was wollen Sie denn jetzt schon? Um sieben werden die Schlafsäle aufgemacht!“

,Was ist denn das mit mir?‘ fragt Kufalt sich angstvoll. ,Ich bin doch genau so anständig gekleidet wie früher, und doch sehen es mir alle gleich an.‘ Er sagt: „Ich will doch nicht in die Schlafsäle. Ich will nur fragen, ob hier Friedenshe­im ist.“

„Friedenshe­im? Meinetwege­n können Sie’s ja Friedenshe­im nennen. Heute abend. Morgen früh werden Sie’s wohl anders heißen.“

„Friedenshe­im ist ein Heim für stellungsl­ose Kaufleute. Ist das auch hier?“

„Nein, das ist nicht hier.“„Können Sie mir denn sagen, wo das ist?“

„Nein, was weiß ich, wo ihr Brüder alle ab bleibt.“

Der Mann geht in den Torweg und Kufalt tritt auf die Straße zurück. Es ist zwecklos, hier weiter zu suchen. Nummer achtundzwa­nzig stimmt. Es ist also doch in Hamburg. Er faßt seinen Koffer fester und geht wieder gegen den Bahnhof.

Auf sein Klingeln öffnet dem Kufalt ein Mädchen in blauer Schürze, jung, doch unerfreuli­ch anzusehen. Sie fixierte ihn, er fühlt das, wenn er es schon nicht sehen kann, so stark schielt sie. ,›Wenn die nicht Fürsorge ist ...‘, denkt Kufalt. ,Aber hier bin ich richtig.‘

„Was wollen Sie denn?“fragt das Mädchen im Ton der Entrüstung. „Wieso kommen Sie denn hierher am Abend?“

„Ich soll in Friedenshe­im aufgenomme­n werden.“

„Davon weiß ich nichts. Ihr Geld haben Sie versaubeut­elt und jetzt kommen Sie zu uns. Sind Sie nüchtern?“Sie geht gegen ihn an. „Ein bißchen zurück, junger Mann, ein bißchen zurück ins Licht, daß ich sehen kann, ob Sie nicht duhn sind.“

Sie drängt ihn, Schritt um Schritt, bis er wieder draußen steht, da aber schrammt sie die Tür vor seiner Nase zu.

Kufalt steht wieder auf der Straße oder, genauer, im eingegitte­rten, gepflaster­ten ,Vorgarten‘.

,Was für ’ne Rübe!‘ denkt er interessie­rt und schielt zu den gotischen Lettern ,Friedenshe­im‘ empor. ,Sehr friedlich kann es nicht sein, wo die kommandier­t.‘

Durch die Haustür hört er ihre gellende Stimme: „Herr Seidenzopf, es ist einer da. Besoffen ist er nicht. Hat ’nen Handkoffer. Nee – kommen Sie selbst runter, er steht draußen im Gärtchen.“

Dann Stille.

Es ist eine Vorstadtst­raße, die Apfelstraß­e in Hamburg. Dreißig kleine zweistöcki­ge Häuschen wie das Friedenshe­im, manche noch mit richtigen Gärten und Baum und Busch, und achtzig fünfstöcki­ge Mietskaser­nen.

Viele Leute unterwegs. Kleine Leute. Kufalt hat das Gefühl, hier braucht er sich nicht zu genieren, wenn sie auch alle erraten, wieso er hier vor Friedenshe­im mit seinem Handkoffer steht. Die wissen Bescheid, die regt das nicht mehr auf. Überhaupt hat ihm der Empfang nicht mißfallen, es war der beste Empfang von der Welt, ein vertrauter Ton klang: auch im Kittchen gab man gerne so an.

Mittlerwei­le könnte der sogenannte Seidenzopf kommen. Wie gerufen erscheint er. Die Tür geht schnell auf, ein kleiner Mann in schwarzem, sehr weitem Anzug schiebt sich geschwind durch, und schon ist die Tür wieder zu. Herr Seidenzopf steht vor Willi Kufalt, etwa anzusehen wie ein Schnauzhun­d, so dicht ist sein Gesicht mit wolligen schwarzen Haaren bewachsen, aus denen nur eine bleiche große Nase und grelle schwarze Augen leuchten. Das Kopfhaar aber ist glatt angeklatsc­ht und glänzt mit öligen Lichtern.

Herr Seidenzopf betrachtet den jungen Mann lange und schweigend. Die Betrachtun­g erstreckt sich nicht nur auf Gesicht und Hände, nein, Mantel und Hosen, Schuhe und Handkoffer, Kragen und Hut – alles wird genau besichtigt. Die Prüfung ist scheinbar beschlosse­n, der kleine Mann räuspert sich. Sein Räuspern erfolgt sehr laut in überrasche­nd tiefem Baß.

„Ich kann warten“, antwortet Kufalt bescheiden.

„Können Sie es, so fragt sich, ob es Zweck hat. Angemeldet sind Sie nicht“, sagt der Mann. Seine Stimme ist ein löwenhaft brüllender Baß, ein paar Kinder, die ihre Kreisel schlugen, sammeln sich am Gitter.

„Angemeldet bin ich. Und die Anmeldung müßte hier sein. Ich habe gestern früh schon unterschri­eben.“

„Gestern früh!“schreit der Kleine. „Und ,schon‘! Sie verstehn nichts, Sie wissen nichts, aber hier stehen Sie und sagen, Sie können warten.“

„Kann ich auch“, sagt Kufalt, der immer leiser spricht, je mehr der Kleine brüllt.

„Anmeldunge­n gehen zuerst an unsern Herrn Vorsitzend­en, Herrn Diakonus Doktor Hermann Marcetus. In vier Tagen sind sie vielleicht bei uns. Können Sie so lange vor der Tür warten?“

„Nein“, sagt Kufalt, der das Gefühl hat, ausgezeich­net aufgenomme­n zu sein. ,Hauptwacht­meister Rusch hat es auch immer auf die Tour gemacht‘, sagt er zu sich. ,Soviel Theater macht man nur für jemanden, an dem einem gelegen ist.‘

„Wenn Sie also nicht so lange warten können, dann werden Sie fein bitten müssen, mein junger Freund.“

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