Mindelheimer Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (35)

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Reichen Sie ihm die Hand, meine Herren.“

Sie reichen sich die Hände. „Herr Petersen, ich stehe im Begriff, die beiden Herren allein in die Großstadt zu schicken. Haben Sie Bedenken?“

„Wenn ich fragen darf, zu welchem Zweck?“

„Sie sollen sich auf dem zuständige­n Polizeirev­ier anmelden.“

Der junge Petersen lächelt: „Nein, Herr Seidenzopf, ich sehe da keine Bedenken.“

„Und Sie meinen, Herr Pastor Marcetus wird mir keine Vorwürfe machen? Daß ich etwa zu vertrauens­selig bin?“

„Nein, sicher nicht. Lassen Sie die Herren ruhig allein gehen. Sie werden Ihr Vertrauen nicht enttäusche­n.“

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„Wissen Sie“, sagt Beerboom auf der Straße zu Kufalt, „das ist doch wieder nur so ein Aufpasser, ein Spion,

dieser Petersen oder wie er heißt. Der soll bloß abhauen, der Lampenmach­er, der!“

„Ich fand ihn eigentlich ganz nett, er hat so hübsch mit den Augen gelacht bei dem Vortrag von Vater Seidenzopf.“

„Ach, der Wolle-Teddy, der kann auch abhauen. Nicht mal das mit meinem Geld hat er mir geglaubt.“

„Haben Sie’s denn wirklich verloren?“

„Gar nicht. Dem Berthold hab ich’s gegeben. Glauben Sie, daß er es mir wiedergibt?“

„Wieso haben Sie es ihm denn gegeben?“

„Als Betriebska­pital. Er holt Morphium dafür und den Gewinn teilen wir.“

„Auf den Gewinn werden Sie wohl lange warten.“

„Ich muß Geld haben, Kufalt, Geld muß ich in der Tasche haben. Würden Sie mir ‘ne Mark leihen?“

„Wozu brauchen Sie denn jetzt Geld?“

„Nur so. Ich muß Geld in der Tasche haben. Wir können ja auch ein Glas Bier davon trinken, ich halte Sie frei.“

„Sie müssen doch ’ne Masse Geld bei Seidenzopf stehen haben. Bei Ihrem langen Knast.“

„Ja, ’ne Menge ist es schon, neunzig Mark.“

„Was! nur neunzig Mark bei elf Jahren Knast!“

„Erst war doch die Inflation, da ging unser ganzer Arbeitsver­dienst flöten. Da haben wir nur dreißig Mark Aufwertung für all die Jahre gekriegt. Und dann später habe ich keine Lust mehr gehabt, ich hab’ immer auf die Amnestie gewartet und nachher war es nichts, und dann hatte ich erst recht keine Lust.“

„Neunzig Mark sind schnell alle.“„Neunzig Mark sind ’ne Masse. Ich wollte, ich hätte sie, ich ginge los. Haben Sie ’ne Ahnung, was hier die Mädchen nehmen? Nicht für ’ne ganze Nacht, nur so mal schnell.“

„Keine Ahnung.“Sie gehen weiter. Es weht ein ganz angenehmer Wind, die Bäume sind gut hellgrün. Dann geht eine Straße schräg ab, die sie entlang müssen, und es ist hübsch, über den Damm zu gehen und die lange bunte Straße ganz weit hinunterzu­sehen. Gleich vorne ist eine Tankstelle scharlachr­ot.

„Das Mädchen hat mich angesehen.“

„Warum soll sie nicht? Sie sehen doch sehr gut aus.“

„Finden Sie? Meinen Sie, daß ich ’ne Nummer bei den Mädchen habe? Ich bin doch dunkel, man sagt doch immer, dunkel mögen die Weiber gerne. Nur mein Teint, meinen Sie, daß ich Wolle-Teddy um Geld für Höhensonne bitte? Im Zet haben sie mir gesagt, davon krieg’ ich einen anderen Teint.“

„Würde ich nicht tun. Sie leben doch jetzt ganz anders wie im Zet, da kriegen Sie von selbst einen anderen Teint.“

„Sehen Sie mal, Kufalt, das Café sieht nett aus. Das ist sicher mit Weiberbedi­enung. Pumpen Sie mir zwei Mark, wir gehen rein, ich halte Sie frei.“

„Jetzt melden wir uns erst mal an“, sagt Kufalt, der sich weise und abgeklärt wie ein Opa vorkommt. „Mit zwei Mark können wir in einem Weibercafé auch nichts machen.“

„Aber vielleicht verliebt sich eine in uns und wir brauchen nichts zu zahlen.“

„Um Gottes willen! Nur nicht!“„Haben Sie denn schon eine? Nehmen Sie mich mit, wenn Sie zu ihr gehen?“„Ich hab’ doch keine.“

„Aber warum wollen Sie dann nicht, daß sich eine in Sie verliebt?“

„Keine aus solchem Café. Ich denk’ mir was anderes.“

„Ach denken! Haben will ich eine! Und möglichst rasch.“

In der Polizeiwac­he stehen zwei Beamte an zwei Stehpulten und sehen einander an. Der eine hat etwas vogelartig Gesträubte­s mit seinem spitzen, borstigen Bart, der gekrümmten Nase, den grellen Augen, der andere ist ein kleiner blasser Mann.

„Ich kann nur sagen“, erklärt der Blasse, „ich hab’ ’ne Parzelle bei der Horner Rennbahn. Die ist mein halbes Leben. Da gärtnere ich so rum.“

„Gärtnern“, sagt der gesträubte Vogel mißbillige­nd, „wenn ich schon so was höre! Sie sind doch kein Gärtner. Das ist doch alles Pfuscherkr­am. Wenn Sie so weit sind und ernten Kohlrabi, dann wird er Ihnen in den Gemüsehand­lungen nachgeschm­issen.“

„Ich mach’ es nicht um Geld“, sagt der Blasse. „Es macht mir – so – Freude, wissen Sie.“

„Pfusch“, sagt der Vogel. „Nichts wie Pfusch. Sehen Sie, ich spiele Skat. Ich mache nichts wie Skatspiele­n. Manche Abende bring’ ich zwei, drei Mark nach Hause. Ich kann Skat. Keine halbe Sache. Kein Pfusch.“

„Ja, wer das Genie dafür hat“, bestätigt der Blasse.

„Und wenn Wettskaten ist um Karpfen oder Wurst oder Gänse, dann geh’ ich rum, dann bin ich jeden Tag wo anders. Vorigen Winter habe ich sechs Gänse gewonnen! Wenn die Wirte mich nur sehen, wird ihnen das Bier schon sauer. ,Hau du ab‘, sagen sie, ,du nimmst ja unseren Stammgäste­n nur die Groschen ab.‘ ,Wie ist das hier?‘ frage ich. ,Ist das hier ein öffentlich­es Lokal? Kriegt hier ein Polizeisek­retär sein Helles ausgeschen­kt? Ist das hier ein offenes Wettskaten oder nur für den Stamm?‹ (Dann sind sie ja stille, aber Blicke, sage ich Ihnen…) Was wollen Sie denn?“schnauzt er entrüstet Beerboom an, der sich durch Husten dringlich bemerkbar macht. „Erlauben Sie bloß, Herr Oberwachtm­eister“, sagt Beerboom, „wir wollen uns ein bißchen anmelden.“„Sehen Sie da das Plakat nicht? Können Sie nicht lesen, daß Sie erst die Formulare ausfüllen müssen?“„Das geht bei uns nicht so“, sagt Beerboom und grient zu Kufalt, denn auf seine Zuchthausa­rt, mit Subalternb­eamten umzugehen, ist er sehr stolz. „Bei uns gilt das Plakat nicht, Herr Leutnant. Wir sind anders wie die anderen.“

„Das sind …“, vermittelt der Blasse, „sicher wieder zwei aus dem…“, er macht eine Kopfbewegu­ng um die Ecke, „Sie wissen schon…“„Na, dann gebt mal eure Zettel her, wir werden ja sehen, werden ja sehen ...«

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....

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