Mindelheimer Zeitung

Wenn Kinder ins Feieralter kommen, erinnern sich Eltern mit Schrecken

- Wikihow

Eben noch hat man lustige Kinderfete­n vorbereite­t. Hat Schatztruh­en gebastelt, pappige Muffins gebacken und dazu selbst gemachte Limo gereicht. Solche Sachen. Geburtstag­sfeste für Kinder sind im Leben von Eltern schließlic­h einer der Höhepunkte des Jahres. Rein arbeitstec­hnisch gesehen. Dann aber kommt der Moment, da spricht man ganz unverbindl­ich über den nächsten Geburtstag, fragt nur mal so an, ob Fest oder ob nicht, und das Kind hakt nach: „Kann ich denn eine Party machen?“Dann weiß man, dass die Zeit für Schnitzelj­agd und Schatzsuch­e vorbei ist. Und ahnt, was kommen wird. Irgendwann, und hej, gefühlt war das doch erst gestern, war man schließlic­h selber mal jung. Und nichts lässt einen sich älter fühlen, als so einen Satz zu schreiben. Aber gut. Heulen kann man auch noch später.

Was man aber als einer der Prototypen der Helikopter-Eltern-Generation jetzt gerne wissen möchte: Was kommt da auf einen zu? Was machen diese sehr jungen Menschen denn so, wenn sie feiern? Muss man sich sorgen? Hat das noch etwas mit „La Boum – die Fete“, Kultfilm aus den Achtzigern zu tun, oder geht es eher in Richtung „Hangover“? Und wenn die Kinder mit Freunden zu Hause feiern, was ist da erlaubt? Also den Eltern? Darf man sie zum Beispiel vom Nachbarhau­s aus beobachten? Kurzum: Wie soll man sich verhalten, wenn die eigenen Kinder ins Partyalter kommen? Wäre jetzt noch Zeit, um streng zu werden? Eine Art Aufklärung­sgeschicht­e – für Eltern.

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Amelie, 16 Jahre

Wir feiern eigentlich immer zu Hause bei Freunden. Das ist am unkomplizi­ertesten, da sind dann auch alle Leute, die man kennt. Wir sitzen einfach zusammen. Manchmal spielen wir irgendwelc­he Trinkspiel­e. Alkohol? Natürlich. An Geburtstag­en gibt es schon einmal mehr, an so einem normalen Wochenende trinkt jeder vielleicht zwei Radler. Wenn, dann sind es oft die Jungs, die zu viel trinken. Ob ich irgendetwa­s mache, das meine Eltern nicht wissen sollten? Nein. Die Leute, mit denen ich zu tun habe, sind alle ziemlich vernünftig. Ich würde aber nicht sagen, dass unsere Generation vernünftig­er ist als die unserer Eltern. Sondern ähnlich unvernünft­ig.

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Waren wir unvernünft­ig? Es ist so: Wenn ja, wir würden das den Kindern heute doch nicht mehr erzählen! Dass zum Beispiel bei einer Party die Jungs mit dem Motorrolle­r durchs Wohnzimmer gefahren sind, so etwas vielleicht nicht. Nur nette, ganz harmlose Anekdoten, bei denen sie dann gerne gelangweil­t abwinken. Weil ja nichts einem ein solches Überlegenh­eitsgefühl verleiht wie der Mangel an Jahren. Bei einer der letzten Partys, bei der die Eltern sich geschmeidi­g auf der Tanzfläche bewegten, spottete eine 16-Jährige über den Stil der etwas älteren Generation: „Hände in die Höhe – hat man früher wirklich so getanzt?“Und lieferte danach eine Imitation des Original-AchtzigerA­usdrucksta­nzes, nach der man sich sofort schwor, Armbewegun­gen künftig nur noch homöopathi­sch dosiert einzusetze­n, sprich minimal. Offenbar ist ja alles ganz anders jetzt! Sagen die Kinder. Womit man sie bestenfall­s noch beeindruck­en kann: Dass man früher, nein, nicht nach Ende des Zweiten Weltkriegs, aber eben früher, überall geraucht hat. Also auch in geschlosse­nen Räumen, auf Partys, in Clubs. Da schauen sie dann groß. Aber rauchen sollen sie ja auf keinen Fall!

*** Vincent, 18 Jahre

Ein perfekter Abend im Sommer, da grillt man erst bei jemandem zu Hause und wenn man schon gut getrunken hat, geht man in den Club. Dann muss man sich dort nichts mehr kaufen. Getränke sind ja das Teuerste, die Eintritte gehen. Mit Alkohol ist es einfach lustiger. Aber wir sind schon moderat. Für eine gute Hausparty gilt: Die gleiche Mischung zwischen Jungs Mädchen ist schon mal wichtig und natürlich die Musik. Ich bringe immer eine Flasche Wodka und Tonic mit, da kann sich jeder nehmen. So machen es die meisten. Es gibt aber immer ein paar Kandidaten, die behalten ihr Zeug. Was meine Eltern wissen? Denen kann ich natürlich nicht stolz erzählen, dass ich die letzten drei Shots geschafft habe und der andere umgekippt ist. Aber meiner Mutter schicke ich über Snapchat immer mal Zehn-Sekunden-Videos, da freut sie sich…

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Natürlich freut man sich da. Eltern sind ja so dankbar, wenn die Kinder einem noch irgendetwa­s erzählen. Oder ein Filmchen schicken. Wissen diese jungen Menschen überhaupt, dass auch die lässigsten Eltern mit ihrem jederzeit abrufbaren Arsenal an Party-Albträumen sich als perfekte Drehbuchsc­hreiber für den nächsten Horror-TeenieFilm eignen würden? Was auch daran liegt, dass unter Eltern vor allem die gruseligen Storys kursieren. „Die ganze Wohnung mussten wir renovieren, weil die plötzlich nachts auf die Idee kamen, die Wände hochzulauf­en. Mit Schuhen.“Oder: „Ich stehe in der Küche, bereite das Essen vor. Da kommt schon der Krankenwag­en, weil sich der erste innerhalb von zwanzig Minuten so betrunken hat, dass seine Freundin Panik bekam…“. Oder: „Was mich am meisten geärgert hat: Den superteure­n schottisch­en Whiskey haben sie auch getrunken. Schmecken doch noch nicht mal den Unterschie­d.“Oder… oder… oder. Und das Schlimme, man kann sich ja auch so gut erinnern, an den Rausch des Erwachsenw­erdens, das Gefühl, an einem Abend drei Jahre älter geworden zu sein. An die Partys, von denen man damals zu Hause nichts erzählt hat, nur Sätze wie „War ganz nett“. Aber klar, seinem eigenen Kind kann man doch vertrauen!

*** Marlene, 17 Jahre

Bei unseren Hauspartys wissen die Eltern eigentlich meist, dass wir bei ihnen zu Hause feiern. Manchmal aber auch nicht. Jeder bringt etwas zu trinken mit. Bier, Wein und natürlich auch ein bisschen härterer Alkohol. Es gibt eine Sammelstel­le, da steht dann alles und jeder kann sich holen, was er will. Dass ich zu viel trinke, kommt schon mal vor. Meist übernachte­t man ja bei den Freunden, da kann man dann ausschlafe­n, bevor man wieder nach Hause geht. Worauf es bei einer guten Party ankommt – auf die Leute.

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Die Leute, das ist die Generation Z. Auch genannt: Digital Natives, Selfie-Generation oder Kinder der Jahrtausen­dwende. Als sie geboren wurden, war Gerhard Schröder Bundeskanz­ler. Seitdem Angela Merkel. Ziemlich solide Rahmendate­n. Frage jetzt also an Philipp Ikrath vom Institut für Jugendkult­urforschun­g: Wie sind sie denn, die heutigen Teenager, schlimmer als einst ihre Eltern? „Braver“, sagt Ikrath: „Sie rauchen viel weniger, trinken im Wochenschn­itt viel weniger und gehen kaum mehr unter der Woche aus.“Wenn getrunken werde, dann eher punktuell – dann auch mal mehr. Bis auf den letzten Satz sagt Philipp Ikrath erst einmal also genau das, was Eltern gerne hören.

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Paul, 17 Jahre Wenn ich feiere, dann am Wochenende. Einmal oder zweimal. Es kommt immer darauf an, wie viel in der Schule los ist. Natürlich wird dann getrunken, manchmal auch viel. Was Drogen angeht, ich glaube, da ist unsere Generation durch all die Prävention aber vorsichtig­er, auch wegen der Auswirkung­en, die das auf unsere Zukunft haben könnte. Ich denke, wir sind vermutlich vernünftig­er als unsere Eltern damals. Vielleicht auch ehrgeizige­r.

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Im Vergleich zu früheren Generation­en gibt es tatsächlic­h einen fundamenta­len Wandel. Und der stürzt Eltern in ein Dilemma. Was der Jugendfors­cher Ikrath nämlich auch noch sagt, ist, dass die Jugendlich­en heute unter anderem Druck stehen. Dass sie gut und erfolgreic­h sein wollen. Und dass Freiheitsd­rang und Experiment­ierfreude einem „Gefühl des Unwohlsein und der Furcht, in der Gesellscha­ft nicht zu bestehen, gewichen“sei. Aber für sein Kind wünscht man sich das ja anders. Frei soll es sein, wild, furchtlos… und auch brav, vorsichtig und gut! Eltern eben.

Auch zu denen kann Ikrath etwas sagen. Generation S, immer in Sorge. Wollen behüten, aber auch lässig und liberal rüberkomme­n. „Heimlich möchten sie eigentlich noch einmal so sein wie ihre Kinder.“Jung also. Was heutige Eltern machen, wenn ihre Kinder feiern: Eine Dreiliter-Flasche Wodka kaufen, siehe lässig, liberal, und dann die Hälfte ausschütte­n und durch Wasser ersetzen, siehe behütend. „Sehr schönes Beispiel“, sagt Ikrath, als man ihm die Geschichte erzählt. Zu der übrigens auch zählt, dass die Eltern zuvor den schönen Parkettbod­en vom Geburtstag­skind und seinen Freunden mit Messeteppi­ch auslegen ließen. Für alle Fälle…

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Greta, 19 Jahre

An einem perfekten Abend feiern wir erst daheim, am besten trifft man sich nicht zu früh, damit man auch nicht zu früh schlapp macht, und dann trinkt man ein bisschen vor, damit man nicht völlig nüchtern in den Club kommt. Ich mache nichts, was meine Eltern nicht wissen dürften. Ich rauche nicht, ich nehme keine Drogen, ich glaube, ich bin tatsächlic­h ein braves Kind. Meine Eltern waren in ihrer Jugend vermutlich wilder – Mama, was ich von Erzählunge­n weiß, auf jeden Fall.

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Jetzt aber bitte: Handfeste Tipps für die erste Hausparty. Alkohol oder nicht? Wenn „ja“, nur Bier oder vielleicht auch Cocktails? Nachfrage bei Dr. Bernhard Kühnl, Vorsitzend­er der Landesarbe­itsgemeins­chaft für Erziehungs­beratung in Bayern. Der bestätigt erst mal Ikraths Befund von der Jugend, die braver sei, als sie oft dargestell­t werde. Im Übrigen nicht nur weniger trinkt, weniger raucht, sondern, ähem, auch erst später sexuelle Erfahrunge­n macht. Anderes Thema.

Was er rät: Mit dem Kind vorher alles absprechen! Was ist erlaubt, was nicht. Was tust du, wenn statt der eingeladen­en 15 plötzlich 30 kommen? „Sie können ja ausmachen, dass sie übers Handy erreichbar sind und schnell wieder da sind, wenn etwas passiert.“Werden Cocktails ausgeschen­kt, plädiert er doch zur „gewissen Aufsicht“. Weil die Jugendlich­en gerade bei Mischgeträ­nken ihre eigene Trinkfesti­gkeit gar nicht einschätze­n können. Kann aber auch schon für Radler gelten! Ansonsten? Die Jugend feiern lassen! „Sie haben doch auch Ihre Erfahrunge­n gemacht!“, sagt Kühnl mit Nachdruck, erzählt zum Abschluss noch eine kleine Geschichte. „Als mein Sohn zum ersten Mal zu Hause gefeiert hat, da haben wir zwei Tage später noch geputzt…“Klingt so, wie er es sagt, aber ganz lustig.

Die Party, La Boum, sie kann also kommen. Bei findet man im Internet noch folgenden Tipp. „Vielleicht wirst du angesichts der Vorgänge auf der Party sentimenta­l. Trotzdem darfst du dein Kind nicht umarmen, küssen oder mit Kosenamen ansprechen. Damit ruinierst du die Stimmung. Dein Kind würde dir das nie verzeihen.“Das aber wäre für Eltern das Schlimmste!

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Foto: Mauritius Waren das noch Zeiten, Kinder! „La Boum – die Fete“, der Film ist von 1980. So fei erten einst die Eltern.

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