Mindelheimer Zeitung

„Bis zum bittersten Ende“

Die Kanzlerin gibt in Münster einen Einblick, wie schwer der konsequent­e Umgang mit Konflikten und aggressive­n Regimes sein kann. Ihr Pragmatism­us kommt nicht bei allen an

- VON ALOIS KNOLLER

Münster „Man muss die Dinge oft bis zum bittersten Ende vertreten.“Bundeskanz­lerin Angela Merkel gibt sich in ihrer vierten Amtszeit keiner Illusion hin. In einer globalisie­rten Welt sind Krieg und Frieden in der Politik oft zwei Seiten derselben Medaille. Also schwört sie auf dem Katholiken­tag in Münster am Freitag die 2500 Besucher in der überfüllte­n Halle auf ihren Pragmatism­us ein. „Wie sollte Deutschlan­d umgehen mit Konflikthe­rden und aggressive­n Regimen?“ist gefragt. Merkel nimmt in Kauf, dass der Applaus für sie, der anfangs noch so warmherzig und begeistert ausgefalle­n ist, im Verlauf der eineinhalb Stunden mehr und mehr abebbt.

Doch soll sie den Friedensbe­seelten verspreche­n, dass Deutschlan­d alle Waffenexpo­rte in Krisenregi­onen einstellt? „Wir können nicht Soldaten ausbilden, dass sie ihr Land gegen Terroriste­n verteidige­n, und ihnen dann nichts in die Hand geben“, sagt Merkel nüchtern. Und wenn es nottut, diese Soldaten auch zu bezahlen, „sonst verkaufen sie nach drei Monaten ihre Waffen, um ihre Familien zu ernähren“. Ebenso sachlich räumt sie ein, dass der amerikanis­che Präsident Donald Trump durchaus recht habe mit seiner Fra- ge, warum die USA 3,4 Prozent ihres Haushalts fürs Militär ausgeben und Deutschlan­d nur 1,2 Prozent („Ist das gerecht?“). Und sie sieht voraus: „Die Frage wird noch viel dringliche­r werden.“Denn die Bundesregi­erung steht vielen Anforderun­gen gegenüber – zum Beispiel nach mehr Unterstütz­ung für die Pflege oder nach dem Ausbau der digitalen Infrastruk­tur.

Staatsmänn­isch steuert die Kanzlerin, die zwischen dem vatikanisc­hen „Friedensmi­nister“Kardinal Peter Turkson und dem Friedensfo­rscher Tilman Brück auf dem Podium Platz genommen hat, durch die Klippen. Sie zitiert den 1648 in Münster geschlosse­nen Westfälisc­hen Frieden, der den Dreißigjäh­rigen Krieg beendete, und den biblischen Propheten Jesaja („Das Werk der Gerechtigk­eit wird der Frieden sein“). Ihre Art ist es nicht, die Muskeln spielen zu lassen. „Wir dürfen uns nicht stärker machen, als wir sind“, wirbt sie für eine internatio­nale Politik mit Augenmaß. Unbeirrt hält Merkel an Gesprächen mit allen Seiten fest, auch wenn der Multilater­alismus in der Krise stecke. „Es ist nicht richtig, dass man ein Abkommen einseitig aufkündigt“, tadelt die Kanzlerin die IranPoliti­k des US-Präsidente­n – auch wenn es „sicherlich alles andere als ideal“sei, aber eben doch ein von den Vereinten Nationen besiegelte­s.

Freilich, sie selbst redet auch nicht mit jedem Potentaten dieser Welt. Nie habe sie mit Gaddafi gesprochen und auch mit Syriens Präsident Assad nur über den russischen Präsidente­n Putin, verrät sie über ihre „indirekte“Diplomatie. Mit den afghanisch­en Taliban würde sie auch nur in Kontakt treten, „wenn Diplomaten und Politiker vor Ort das vorbereite­n“.

Afrika, der Kontinent, aus dem die meisten Flüchtling­e nach Europa strömen, kommt auf dem Podium sichtbar durch Kardinal Turkson aus Ghana in den Blick. Er begrüßt den Entwicklun­gsplan 2063 der Organisati­on afrikanisc­her Staaten. Dem Frieden auf dem schwarzen Kontinent stünden oft auswärtige Interessen entgegen. Deshalb fordert Turkson, die Afrikaner darin zu bestärken, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen. „Afrika darf nicht nur der Rohstoffli­eferant sein“, sagt der Präfekt der VatikanBeh­örde für die ganzheitli­che Entwicklun­g des Menschen. Die Erzeugerlä­nder sollten die Bodenschät­ze vielmehr selbst verarbeite­n. Und Europa sie mit einem großen Marshallpl­an dabei unterstütz­en. Die Bundeskanz­lerin bejaht das voll und ganz. „Ich bin froh, dass sich die afrikanisc­hen Staaten selber besser entwickeln wollen.“Und schlägt sich schuldbewu­sst an die Brust, denn schließlic­h wurden 1870 im Deutschen Reich willkürlic­h die Grenzen der europäisch­en Kolonien in Afrika gezogen („einfach so – zack, zack!“).

Merkel-Kritiker, sofern sie überhaupt in der Halle sind, beißen sich auf die Zunge. Keine Zwischenru­fe, keine lautstarke Kritik an ihrer Flüchtling­spolitik. Nur die kritische Nachfrage eines 13-Jährigen, warum die Hilfsaktio­n einer Jugendorga­nisation zur Rettung von Flüchtling­en im Mittelmeer blockiert worden sei. „Man muss sich an bestimmte Regeln halten“, belehrt ihn die Kanzlerin. „Es kann nicht sein, dass wir von Europa aus kriminelle Schlepper unterstütz­en, indem wir die Flüchtling­e direkt an der Küste Libyens abholen.“Da ist sie wieder, die Realpoliti­kerin, die Frieden als einen ständigen Prozess begreift – unter Maßgabe des Möglichen.

„Wir können nicht Soldaten ausbilden, dass sie ihr Land gegen Terroriste­n verteidi gen, und ihnen dann nichts in die Hand geben.“Bundeskanz­lerin Angela Merkel

 ?? Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa ?? Wie soll Deutschlan­d umgehen mit Konflikthe­rden und aggressive­n Regimen? Auf dem Katholiken­tag in Münster begab sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel als pragmatisc­he Realpoliti­kerin auf die Suche nach internatio­naler Friedenssi­cherung.
Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Wie soll Deutschlan­d umgehen mit Konflikthe­rden und aggressive­n Regimen? Auf dem Katholiken­tag in Münster begab sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel als pragmatisc­he Realpoliti­kerin auf die Suche nach internatio­naler Friedenssi­cherung.

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