Mindelheimer Zeitung

Abstiegska­mpf – und keiner geht hin

Der VfL Wolfsburg bangt um den Klassenerh­alt und die Fans interessie­rt es nicht. Dazu stößt Trainer Bruno Labbadia auch noch auf Widerständ­e im Verein

- VON CHRISTIAN OTTO

Wolfsburg Die Kulisse hatte etwas Gespenstis­ches. Als Chefcoach Bruno Labbadia bei einer der letzten öffentlich­en Trainingse­inheiten vor dem Saisonfina­le vor seine Mannschaft trat, herrschte absolutes Schweigen. Kein Fan in Sicht, der sich lautstark beschwerte. Kein Zuschauer am Zaun des Übungsplat­zes, der den Profis des VfL Wolfsburg Mut zusprechen wollen würde. Der Frust rund um einen Verein, der sich in der Bundesliga zu Höherem berufen fühlt und doch wieder nur gegen den Abstieg kämpft, will einfach nicht in Leidenscha­ft umschlagen. „Wir können nichts einfordern“, sagt Labbadia, wenn er gefragt wird, ob im Heimspiel gegen den 1. FC Köln mit der nötigen Rückendeck­ung im Stadion zu rechnen ist. Ausverkauf­t wird die Arena wohl nicht sein.

Wie es dazu kommen konnte, dass zwischen Fans, Verein und Mannschaft eine tiefe Kluft entstanden ist, lässt sich in erster Linie mit Misserfolg in Serie erklären. In diesem Jahr hat der VfL Wolfsburg noch kein einziges Heimspiel gewonnen. Seine Hauptdarst­eller sind nach ihren jüngsten Auftritten lautstark kritisiert und zum Teil angefeinde­t worden. „Lasst doch die Frauen spielen“– natürlich ist ein solcher Zwischenru­f, der auf die aktuell nicht zu bezwingend­en Frauen des VfL Wolfsburg abzielt, wenig konstrukti­v. Dass in dieser Woche aber absolute Ruhe rund um das Trainingsg­elände herrschte, lässt auf große Gleichgült­igkeit schließen. „Ich kann den Unmut der Fans komplett verstehen. Was auf dem Platz rumkommt, ist natürlich nicht viel“, gesteht Mittelfeld­spieler Yannick Gerhardt. Mit einem Remis gegen Köln könnten sich die Wolfsburge­r zumindest noch in die Relegation­sspiele gegen Holstein Kiel retten. Aber sich aus einem Stimmungst­ief heraus aufzuraffe­n und zu glänzen, ist eben eine schwierige Aufgabe bis Charakterf­rage.

Den letzten Versuch, aktiv für einen Schultersc­hluss zwischen Fans und Mannschaft zu sorgen, haben die Vereinsfüh­rung und die sportliche Leitung verstreich­en lassen. Am Mittwochab­end hatte es in Wolfsburg ein Treffen der wichtigste­n Fanklubs gegeben. Labbadia zog es vor, sich dort nicht zu zeigen, sondern lieber alle Konzentrat­ion auf die Arbeit mit dem Team zu richten. Weil Labbadia beim VfB Stuttgart (2011) und beim Hamburger SV (2015) schon einmal aus schlechten Mannschaft­en gerettete Teams gemacht hat, darf er in Wolfsburg seit Ende Februar den potenziell­en Retter zu spielen. „Ich weiß genau, was zu tun ist“, sagt der 52-Jährige. Was genau das sein könnte, verrät er nicht. Labbadia tritt auf wie einer, an dem Misserfolg einfach nur abperlen kann. Er hat beim VfL intern einen schweren Stand, weil ihm in zehn Partien mit Wolfsburg nur ein einziger Sieg gelungen ist.

Seine Vorgänger Andries Jonker und Martin Schmidt waren deutlich erfolgreic­her – und entspreche­nd beliebter. Der Liste der gestandene­n und erstklassi­gen Profis, auf die Labbadia wirklich bauen kann, ist erschrecke­nd kurz. Ein dringend benötigter Abräumer wie der Spanier Ignacio Camacho, der mutig vorangehen könnte, hat aus Verletzung­sgründen zuletzt kaum mit dem Team trainiert. Daniel Didavi, der mithilfe von Einzelakti­onen den Unterschie­d ausmachen kann, leidet unter Problemen an der Achillesse­hne. Fast jede Startelf, die Labbadia zuletzt zusammenge­stellt hat, war ein Kuriosum. Entspreche­nd fehlte es an sichtbarer Einsatzber­eitschaft und an Selbstvert­rauen.

An wem außer dem dritten Trainer innerhalb einer Saison sollen sich die Spieler auch ausrichten? Die Geschäftsf­ührung der VfL Wolfsburg Fußball GmbH ist nur noch rudimentär und ohne anerkannte­n Fußballfac­hmann besetzt. Labbadia hat in der Woche vor dem 34. Spieltag auf ein erneutes Trainingsl­ager und besondere Maßnahmen zur Stärkung des Miteinande­rs verzichtet. „Man müllt die Spieler nicht extrem zu“, lautet die Handlungse­mpfehlung von Labbadia. Sein Vertrag bindet ihn theoretisc­h bis 2019 und auch in der 2. Liga an die Wolfsburge­r. Aber an diesem Samstag stehen sein Job sowie das Große und Ganze auf dem Spiel. Nach 20 Jahren im Oberhaus am Stück tritt der VfL Wolfsburg wie ein Klub auf, dem es an Leben und Lust fehlt. Der Vereinsslo­gan „Arbeit, Fußball, Leidenscha­ft“klingt derzeit wie ein ganz schlechter Scherz.

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Foto: Julian Strate, dpa Ein Sieg aus zehn Spielen ist eine reichlich überschaub­are Bilanz für Bruno Labbadia als Trainer des VfL Wolfsburg.

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