Mindelheimer Zeitung

Jeder kennt die Zauberform­el

Es könnte so einfach sein: freier Eintritt gleich volle Ausstellun­gen. Das haben schon einige Häuser erfolgreic­h vorgemacht. Trotzdem sind das in Deutschlan­d immer noch die großen Ausnahmen

- VON DORINA PASCHER

Wer die Pinakothek der Moderne besucht, genießt Paul Klee oder Pablo Picasso unter seinesglei­chen: Akademiker, wohlhabend, städtisch. Das Institut für Museumsfor­schung bestätigt: Nur rund drei bis vier Prozent der Besucher haben Hauptschul­abschluss. Wo befinden sich die unsichtbar­en Barrieren? Ist der Museumsbes­uch eine Frage des Geldes?

Zehn Euro regulär kostet ein Besuch der Pinakothek der Moderne. Neun Euro beträgt der Eintritt im Maximilian­museum in Augsburg. Und das Victoria and Albert Museum in London: kostenlos. Seit mittlerwei­le 17 Jahren zahlen die Briten keinen Eintritt in staatliche Museen. Der Effekt: Binnen eines Jahres stiegen die Besucherza­hlen – im Victoria und Albert Museum gar um 167 Prozent.

Das Landesmuse­um Württember­g legt noch paar Prozentpun­kte drauf: Seit Januar dieses Jahres verlangt das Haus keinen Eintritt für die Schausamml­ung. Das Ergebnis aus den ersten drei Monaten: 500 Prozent mehr Besucher. Beispielsw­eise besichtigt­en im Januar 2017 noch knapp 1500 Menschen das Alte Schloss, ein Jahr später waren es fast 7000.

Die Fördergese­llschaft des Museums ermöglicht­e das Experiment. Sie stellte dem Landesmuse­um 160 000 Euro zur Verfügung. Ein Ausgleich für die wegfallend­en Einnahmen von 3,50 Euro pro Besucher. Ein Jahr lang verlangt das Haus keinen Eintritt für seine Dauerausst­ellung. Es ist „ein Zeichen an die Politik“, sagt Markus Wener, Leiter der Abteilung Drittmitte­l. „Wir wollen eine Kultur für alle.“

Nicht nur die Zahl der Besucher ist gestiegen – auch das Publikum hat sich verändert. „Viele scheinen zum ersten Mal in ein Museum zu gehen“, sagt Wener. Es liegt Freude in seiner Stimme. Woran er die Neulinge erkennt? „Viele sind sich unsicher: Was darf ich, was darf ich nicht?“Darf ich im Museum meine auspacken? Darf ich mit dem Handy telefonier­en? Und wo soll ich Jacke und Regenschir­m verstauen?

Kultur greifbar machen ist das Ziel. Nun nehmen das einige Besucher des Landesmuse­ums wortwörtli­ch. Das Aufsichtsp­ersonal muss noch aufmerksam­er sein. Wener zeigt sich zuversicht­lich: „Die Kollegen mögen es, wenn der Bär steppt.“

Wenn freier Museumsein­tritt in diskutiert wird, fällt schnell das Wort Folkwang. In dem renommiert­en Museum in Essen können Besucher Werke wie Auguste Rodins „Faun und Nymphe“oder Vincent van Goghs „Armand Roulin“betrachten.

Seit Juni 2015 verlangt das Haus keinen Eintritt. Ebenfalls dank einer großzügige­n Spende durch eine Stiftung; in diesem Fall der Alfried Krupp von Bohlen und HalbachSti­ftung. Besucherza­hlen verdopBrot­zeit pelten, das Publikum verjüngte – und das Verhalten der Besucher wandelte sich. Die Menschen bleiben kürzer, schauen sich zum Teil nur ein bestimmtes Ausstellun­gsstück an. Dafür kommen sie öfter: In der Mittagspau­se, auf dem Heimweg aus der Arbeit, um Zeit zwischen zwei Terminen zu überbrücke­n. Das Museum entwickelt­e sich zu einem öffentlich­en Raum. Ein Ort des Zusammenko­mmens, der Entspannun­g – kein Ort, der absoDeutsc­hland lute Konzentrat­ion auf die Kunstwerke einfordert. Kein Ort der sozialen Abgrenzung. Wie eine Besucherbe­fragung im vergangene­n Jahr bestätigte: Immer mehr Nichtakade­miker besuchen Folkwang.

Wird es so weitergehe­n? Ab Juli wird Peter Gorschlüte­r, aktuell Chef am MMK Museum für Moderne Kunst in Frankfurt, Folkwang leiten. Er übernimmt die Stelle von Tobia Bezzola, der vorzeitig seinen Posten abgibt. Das Haus solle ein „Museum für alle sein“, betont Gorschlüte­r. Das weckt Hoffnungen, dass der Eintritt zu den ständigen Sammlungen kostenfrei bleibt. Denn vorerst gilt die Regelung nur für fünf Jahre. Ab 2020 müssten Besucher der Dauerausst­ellung wieder zahlen – wenn nicht Stiftung oder Politik einspringe­n.

Wie schaut es in Augsburg aus? Ist ein kostenfrei­er Zugang zu den städtische­n Museen umsetzbar? „Grundsätzl­ich begrüßen wir die Idee“, sagt Christof Trepesch, Leiter der Kunstsamml­ungen und Museen in Augsburg. Dennoch: „Es muss gewährleis­tet sein, dass die

500 Prozent mehr Besucher innerhalb eines Jahres

Und zahlen nur für Sonderauss­tellungen

fehlenden Einnahmen durch den Eintritt ausgeglich­en werden.“Anders als beim Landesmuse­um Württember­g oder im Museum Folkwang würden in Augsburg keine großen Stiftungen hinter den Museen stehen. Die Finanzieru­ng läge in den Händen der Politik.

Astrid Pellengahr, Leiterin der Landesstel­le für die nichtstaat­lichen Museen in Bayern, bemängelt, dass die Debatte in die falsche Richtung läuft. „Die Museen müssen nicht immer hopp oder top machen.“Also entweder Eintritt für alles oder keinen Eintritt. Ihre Idee für eine Kultur für alle: „Man könnte Dauerausst­ellungen als kostenfrei­e Basisverso­rgung verstehen“, sagt Pellengahr. Die Sonderauss­tellungen wären das zu zahlende „Zuckerl“.

Bis dahin bleibt den Augsburger­n zumindest eine Möglichkei­t zum Sparen: jeden ersten Sonntag im Monat. Da ist der Eintritt zu den städtische­n Museen kostenlos.

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Foto: dpa So sah das im Potsdamer Museum Barberini aus, als dort im vergangene­n Jahr vorübergeh­end freier Eintritt war.

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