Mindelheimer Zeitung

Jan Böhmermann und die Macht der Ironie

Er ist Deutschlan­ds einflussre­ichster Komiker. Warum, das zeigte sich jetzt auch bei seinem ersten Konzert

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

München Ausverkauf­t, natürlich. Alle vier Termine der Tour. Seit Monaten. Und am Donnerstag feierte Jan Böhmermann in München nun tatsächlic­h Premiere: Der einflussre­ichste Komiker des Landes tritt als Sänger in Konzerten auf. Mit dem Orchester aus seinem „Neo Magazin Royale“in einer alten Industrieh­alle für Popkonzert­e, aber klassisch bestuhlt, vor ebenso klassisch rotem Vorhang: So wird hier sein Mittel, die Ironie, zwar sehr tanzbar, aber für ein Sitzpublik­um. Wer fragt, kann von einem Ordner erfahren: „Nein, der Herr Böhmermann will nicht, dass man aufsteht.“Willkommen auf dem beliebtest­en Glatteis Deutschlan­ds …

Mag der Comedian Mario Barth auch ganze Fußballsta­dien füllen – an die Wirkmacht des Jan Böhmermann kommt seit einiger Zeit jedenfalls keiner heran. Und man muss ja nun längst nicht mehr vom Fall Erdogan erzählen, bei dem durch sein Schmähgedi­cht sogar eine Änderung des Strafgeset­zbuchs angeregt wurde. Es reicht auch ein Blick auf die letzten beiden Wochen. Da setzte sich der 37-jährige, aus Bremen stammende Moderator mit Sturmmaske und Stahlhelm vor die Kamera, das Grundgeset­z in Händen, und forderte, „den Wichsern, die uns den Spaß am Internet verderben, den Spaß am Internet zu verderben“. Und zehntausen­de Nutzer versammelt­en sich tatsächlic­h in einer Debatte gegen Hass und Populismus auf der Plattform „Reconquist­a Internet“. Hat hier ein Komiker also, wie er selbst dann sagte, „aus Versehen eine Bürgerrech­tsbewegung ins Leben gerufen“?

Mit der Eindeutigk­eit eines Ja oder Nein ist im Fall Böhmermann ja ohnehin fast nichts zu beantworte­n. Dazu muss man auch das vor allem hierzuland­e so verbreitet­e Verständni­s von Ironie revidieren. Denn in der üblichen Formel, dass man das Gegenteil von dem sage, was man meine, geht hier kaum etwas auf. Dazu zwei Momente aus der samt Pause zweistündi­gen Show in München, einem Best-of der Songs aus Böhmermann­s Show samt Orchester. Seine harsche Abrechnung mit dem rechtslast­igen Oberpolizi­sten Rainer Wendt kommt ja selbst als passend volkstümli­che Bierzelt-Polka daher, lädt also geradezu zum Tanzen und Schunkeln ein. Aber damit in der Form nicht das Gemeinte verkehrt wird, muss das hier eben ein sitzendes Kabarett-Publikum bleiben. Klar, oder?

Und als Böhmermann seine Verhöhnung des deutschen hymnischen Lebensfreu­de-Pops der letzten Jahre in „Menschen. Leben. Tanzen. Welt“anstimmt, kommt (nach aus der Show bekannten Gästen wie Giulia Becker mit ihrem MeTooSong über ihre Scheide, unter der sie leide) als Münchner Gaststar auf die Bühne: einer der gemeinten Lebensfreu­de-Popper, Max Giesinger. So wird der Song endgültig selbst zum Schlager, und Giesinger singt mit Böhmermann auch noch sein „80 Millionen“, fordert das Publikum auf, endlich aufzustehe­n, das sei doch schließlic­h ein Konzert. München singt mit und tanzt – und Böhmermann kommentier­t: „Hier wächst endlich zusammen, was nicht zusammenge­hört.“Solche Volten auch zu ernsteren Themen haben ihn zu Recht zum Star gemacht. Auf der anderen Seite stehen immer wieder Blödigkeit­en wie jene an diesem Abend, als der Satiriker seinen berühmt geworden PolizeiGan­gsta-Rap um aktuelle Verse ergänzt: „Du bist Markus Söder – Isch hab Polizei / Fick dein Kruzifix – Isch hab Polizei.“Ja, auweia…

Am gründlichs­ten scheitert Böhmermann aber an einer durch seinen Erfolg und dieses Konzertfor­mat für ihn neuen Herausford­erung. Einst auf Kleinkunst­bühnen unterwegs, über den Bildschirm groß geworden, tritt er jetzt in einer ehemaligen Industrieh­alle auf, dem „Zenith“, vor 2500 Menschen, ohne vergrößern­de Videowände. Das Verspreche­n eines Liveerlebn­isses wird dadurch für die Fans in den hinteren Reihen in Ton und Bild weit weniger eingelöst als im Internet. Fast schon ironisch – im Sinne der üblichen Formel. Um seiner Lesart gerecht zu werden, müsste der Satiriker dazu eine Direktüber­tragung auf alle Smartphone­s in der Halle anbieten.

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Foto: dpa

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