Mindelheimer Zeitung

Deutscher Faust sucht griechisch­e Frau

Goethes Helena schlug die Germanen in Bann – mit prekärem Ergebnis

- VON GÜNTER OTT politische kulturelle­n

„Faust und Mephisto“, „Faust und Gretchen“– diese Paarungen gehören der literarisc­hen Königsklas­se an. „Faust und Helena“müssen demgegenüb­er zurücksteh­en. Diese Liaison spielt auch im aktuellen Münchner Faust-Festival nur eine Rolle am Rand. Dem von Goethe in „Faust II“(1832 postum erschienen) bedichtete­n Bund hat die Berliner Kulturwiss­enschaftle­rin Claudia Schmölders einen materialre­ichen Band gewidmet, chronologi­sch fortgeführ­t von der Weimarer Klassik bis in die Zeit nach 1945.

Die Lektüre erweist die Strahlkraf­t des Paares Faust und Helena für die „deutsch-griechisch­e Faszinatio­nsgeschich­te“(Untertitel). Hier wurde ein länderüber­greifender Wunschtrau­m beschworen, ein Sehnsuchts­modell dem deutschen Seelenhaus­halt gutgeschri­eben. Den philhellen­ischen Boden bereitete vor allem einer: Johann Joachim Winckelman­n (1717 –1768). Er war nie in Griechenla­nd, eignete sich das Land in der Bibliothek an, begeistert­e sich an den Abgüssen der Bildhauer: „Der einzige Weg für uns, groß, ja wenn es möglich ist, unnachahml­ich zu werden, ist die Nachahmung der Alten.“Das löste ein Beben in deutschen und europäisch­en Bildungsel­iten aus.

Anders als das Frankreich der Revolution und der nachnapole­onischen Ära, das sich in die Tradition Roms stellte, schloss sich das politisch zersplitte­rte Deutschlan­d kurz mit einer griechisch­en Antike und ihrer Prägekraft für die Bildung des Menschen. Die Humanität wurde mit einem Führungsan­spruch gegenüber dem Politische­n geadelt. Dafür stehen Winckelman­n, Schiller, Hölderlin und Fichte.

Die von Schmölders auf die Schiene der Geschichte gesetzte Verbindung von Faust und Helena, von Deutschlan­d und Hellas, erfuhr viele Weichenste­llungen und nicht wenige Entgleisun­gen. Die Autorin hat zwischendu­rch erkennbar Mühe, den Stoff in all den Deutungskä­mpfen zu bändigen. Die Spanne reicht von romantisch­en Projektion­en über archäologi­sche Grabungen bis zum zermürbend­en Realitätst­est, dessen sich Otto I., Sohn des bayerische­n Königs Ludwigs I., unterziehe­n musste. 1832, im Jahr der griechisch­en Staatsgrün­dung, war der Bayer inaugurier­t worden. Ludwigs Hofarchite­kt Leo von Klenze erschuf in München ein zweites Athen, während sein preußische­r Konkurrent Karl Friedrich Schinkel davon träumte, auf der von ihm nie besuchten Athener Akropolis die Ruinen des Parthenon und der Propyläen abzuräumen zugunsten einer Gartenanla­ge.

Die deutsche Hellas-Begeisteru­ng bildete, jenseits des hehren Humanitäts­ideals, eine zweite, an Sparta orientiert­e Variante aus – den heroischen Krieger. Er wurde im Kaiserreic­h auf den Schild gehoben, bevor sich die NS-Propaganda des gestählten Körpers und seines Durchhalte­vermögens bemächtigt­e. In einer Abbildung übt die NS-Filmerin Leni Riefenstah­l im Berliner Olympia-Jahr 1936 an der Ostsee mit dem deutschen ZehnkampfM­eister die Nachahmung des antiken Diskuswerf­ers, einer der Ikonen griechisch­er Kunst.

Die Autorin unterteilt ihre Abhandlung in eine männliche (Goethe bis Freud) und weibliche Perspektiv­e (Elisabeth von Österreich bis Eliza Marian Butler). Die Letztgenan­nte, 1885 in Irland geboren, 1959 gestorben, Studentin in Bonn, promoviert mit einer Arbeit über Heine und das Junge Deutschlan­d, zerfetzte die hellenisti­sche Drapierung durch die deutschen Dichter und Denker seit Mitte des 18. Jahrhunder­ts. In ihrer Streitschr­ift „Die Tyrannei Griechenla­nds über Deutschlan­d“(1935 in Cambridge erschienen) geißelt die Germanisti­n den unheimlich­en deutschen Griechenwa­hn. Und sie fragt: „Wie konnte das Evangelium der universell­en ,Humanität‘ von einer NaziIdeolo­gie verwüstet werden?“

Ihre Antwort: Es lag nicht zuletzt an den Abstraktio­nen und Spekulatio­nen fern allem Realitätss­inn. Diesen bewies die 2011 gestorbene Christa Wolf, die sich in die griechisch­en Quellen vertiefte, das Land bereiste. In ihrer „Kassandra“-Erzählung (1983) erscheint Helena nur mehr als Phantom in einem sinnlosen (Trojanisch­en) Krieg.

» Claudia Schmölders: Faust & Helena. Berenberg Verlag, 303 S., 26 ¤

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Foto: Picture Alliance Helena (Beatrix Doderer) und Faust (Christoph Wieschke) in der Inszenieru­ng von Goethes „Faust II“bei den Salzburger Festspiele­n 2013.

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