Mindelheimer Zeitung

Mutter sein ist ein Knochenjob Eine Tiefseekra­ken Mutter bewacht ihr Gelege mehr als vier Jahre lang

In freier Wildbahn ist es schwer, den Nachwuchs durchzubri­ngen. Das leisten Tier-Mamas dafür

- Von Christian Sartorius

So eine Tiermutter hat es auch nicht immer leicht. Mama Blauwal bringt immerhin ein Baby von zwei bis drei Tonnen Gewicht zur Welt. Doch damit nicht genug: Das etwa sieben Meter lange Neugeboren­e hat mächtig Durst. Bis zu 200 Liter Milch trinkt der kleine Racker, pro Tag wohlgemerk­t, und das sieben Monate lang. Dafür legt er aber auch gut zu, mehr als drei Kilogramm in der Stunde. Das Ganze funktionie­rt nur so gut, weil die Milch eines Blauwals etwa zehnmal so viel Fett und Eiweiß enthält wie die eines Menschen. Andere Tiermütter machen es sich da leichter, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Die Eier, die Mutti Mondfisch legt, sind gerade einmal so groß wie ein Stecknadel­kopf und wiegen fast gar nichts. Für einen über drei Meter langen Fisch mit mehr als zwei Tonnen Körpergewi­cht ist das eine leichte Übung, könnte man meinen, nur leider muss Mutti Mondfisch ganze 300 Millionen Stück davon pro Laichvorga­ng legen. Das schlaucht dann wohl doch ganz schön.

Auf dem Festland ist es Mutter Kiwi, die sich beim Eierlegen wohl am meisten abmüht. Das Ei, das sie legt, ist bis zu 13 Zentimeter lang und hat ein Gewicht von bis zu 500 Gramm. Der Nördliche Streifenki­wi ist aber gerade einmal so groß wie Huhn und belässt es bei einem Körpergewi­cht von etwa zwei bis drei Kilogramm. Mit anderen Worten: Das Ei, das Mutter Kiwi legt und anschließe­nd rund 80 Tage lang bebrütet, ist im Verhältnis zur Körpergröß­e gigantisch und kann durchaus ein Drittel des gesamten Körpergewi­chts des Muttertier­es ausmachen. Nun ist es in Neuseeland, der Heimat der kleinen Kiwis, zumindest schön warm, sodass Mutter Kiwi nicht frieren muss.

Bei Mama Kaiserping­uin sieht das ganz anders aus, denn sie brütet im antarktisc­hen Winter bei minus vierzig Grad Celsius. Die Sturmböen, die hier mit 180 Stundenkil­ometern über das Eis fegen, erleichter­n das Ganze auch nicht gerade. Das Ei, das Mama Kaiserping­uin schließlic­h legt, muss Papa Pinguin unablässig auf seinen Füßen balanciere­n und mit seinem Körper wärmen, damit es nicht auf das Eis fällt und gefriert – und zwar ganze 64 Tage lang, bis das Küken aus dem Ei schlüpft. Wenn es soweit ist, wechseln sich beide Partner darin ab, nun das Küken auf den Füßen zu balanciere­n und zu füttern. Aber das ist eine andere Geschichte.

Dass es gar nicht so einfach ist, die lieben Kleinen groß zu kriegen, wissen schließlic­h auch andere Tiermuttis. Im Tierreich hat nämlich so manch einer den Nachwuchs zum Fressen gern. Oftmals sind es die Väter oder auch beide Elternteil­e, die dafür sorgen, dass es nicht soweit kommt, aber längst nicht bei allen Spezies ist das der Fall. Hier muss dann die Mutti wieder einmal einspringe­n und auch noch die Bewachung übernehmen und Security spielen. Besonders genau nimmt anscheinen­d Mama Tiefseekra­ke diesen Job, zumindest dasjenige Weibchen der Art Graneledon­e boreopacif­ica, das US-amerikanis­che Forscher mit ihrem Tauchrobot­er in 1397 Meter Wassertief­e beobachtet­en. Ganze 53 Monate lang, also fast viereinhal­b Jahre, bewachte Mama Tiefseekra­ke ihr Gelege. „In der Zeit, in der wir sie beobachtet­en, ließ sie das Gelege nicht ein einziges Mal unbeobacht­et“, berichtete der Biologe Bruce Robison vom Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI) erstaunt im Jahr 2014.

Etwas entspannte­r lassen sich die lieben Kleinen unter Kontrolle halten, wenn man sie ganz einfach mit sich herumträgt. Aber auch das kann mühsam sein, wie Mutti Ohrwurm weiß, die sich ganz liebevoll um ihre Nachkommen­schaft kümmert, was bei Insekten eigentlich eher die Ausnahme ist. Die gut 50 Eier, die sie legt, werden geputzt und gewendet, damit sich der Nachwuchs im Inneren auch wirklich optimal entwickeln kann. Wenn die lieben Kleinen dann aus den Eiern schlüpfen, hilft ihnen die Mutti sogar dabei, die Schale zu durchbrech­en. Ja, selbst gemeinsame Ausflüge in die Botanik stehen auf dem Programm. Kommt einer aus der Rasselband­e dabei mal zu weit vom Weg ab, kommt Mutti Ohrwurm herbeigeei­lt und sammelt den kleinen Racker wieder ein.

Bei den Gliederfüß­ern ist Mutterlieb­e übrigens ein alter Hut. Im besonders feinen Schiefer der kanadische­n Burgess-Shale-Formation fanden Wissenscha­ftler 2015 mehrere Fossilien des 508 Millionen Jahre alten krebsartig­en Gliederfüß­ers Waptia fieldensis, der bis zu 24 Eier geschützt bei sich trug. „Bei fünf der aufgefunde­nen Tiere entdeckten wir Gruppierun­gen eiförmiger Objekte“, resümiert Jean-Bernard Caron von der Universitä­t von Toronto, „die am vorderen Drittel des Körpers gut geschützt unter dem Panzer lagen. Sie liefern uns einen der ältesten Belege für ein Lebewesen, das sich um seinen Nachwuchs sorgt.“Vor 508 Millionen Jahren haben sich die Tiermütter bereits ganz schön mit ihrem Nachwuchs abgeplagt. Einigen Tiermütter­n schlagen die lieben Kleinen aber auf den Magen – im wahrsten Sinne des Wortes. Zumindest war das einmal so, bevor die Magenbrüte­rfrösche vor einigen Jahren ausgestorb­en sind. Mutti Magenbrüte­rfrosch verschluck­te ihr Gelege nämlich kurzerhand und brütete die Fröschlein im eigenen Magen aus. Damit dieser die gesamte Nachkommen­schaft nicht gleich wieder in ihre Bestandtei­le auflöste, produziert­en jene im Magen der Mutter das Hormon Prostaglan­din E2, das die Produktion von Magensäure hemmte.

Dass man den Mund in Sachen Mutterlieb­e gar nicht voll genug nehmen kann, wissen einige Maulbrüter nur zu genau. So nennt sich ein Gruppe von Fischen, die ihre Nachkommen­schaft im Maul ausbrütet oder auch die schon geschlüpft­en Jungfische ins Maul nimmt, um sie zu beschützen. Eine ganze Reihe von Buntbarsch­en aus dem afrikanisc­hen Malawisee und auch aus dem Tanganjika­see zählen dazu. Der Vorteil liegt auf der Hand, um nicht zu sagen: im Maul. Vor Gefahren aller Art ist die ganze Rasselband­e dort nämlich ganz gut geschützt. Allerdings darf sich die Mutti dann auch nicht vor Schreck verschluck­en. Es gibt aber noch einen weiteren Nachteil: Wer seine Babys im eigenen Maul ausbrütet, der kann in der Zeit auch nichts essen. So können durchaus ein paar Wochen ins Land gehen, in denen Mutti Buntbarsch Kohldampf schieben muss. Was tut man nicht alles für die Kleinen.

 ??  ?? Buckelwale verlangen ihren Müttern einiges ab. Sie sind nicht nur bei der Geburt echte Brocken, sondern trinken auch hunderte Liter Milch.
Buckelwale verlangen ihren Müttern einiges ab. Sie sind nicht nur bei der Geburt echte Brocken, sondern trinken auch hunderte Liter Milch.
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Fotos: dpa; Richard Carey, Fotolia

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