Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (40)
Ich hab’ geklaut? Nun, Herr Pastor werden ja nicht lügen. Geistliche lügen nicht. Aber jedenfalls muß ich da geschlafen haben, wie ich geklaut habe.“
„Sie sind“, sagt der Pastor und hängt seine Augen ganz fest in Kufalts Gesicht, „mit hundert Mark mehr hier eingetroffen, als Ihnen im Zentralgefängnis ausgehändigt worden sind.“In Kufalt jagt es, dreizehn Möglichkeiten und zwölf schon ausgeschieden, aber er hat längst gesagt: „Das stimmt. Und die hab’ ich natürlich geklaut. Fragt sich nur, wem?“
„Sie wollen mir keine Angaben über die Herkunft des Geldes machen?“
„Warum? Wo Herr Pastor doch schon wissen, daß ich es geklaut habe.“
„Also ich rufe die Polizei.“Und der Geistliche faßte gegen das Telephon, hebt aber den Hörer nicht, wie Kufalt befriedigt feststellt.
„Telephonieren Sie ruhig, Herr Pastor“, sagt Kufalt. „Mir macht es
nichts. Ihr Amtsbruder im Zentralgefängnis wird Ihnen gerne von dem verlorenen Einschreibebrief meines Schwagers erzählen. Er oder der Hauptwachtmeister haben ihn verschusselt. Das wird er vor Gericht zugeben müssen.“
„Was ist das?“
„Das sind so Geschichten, Herr Pastor. Es ist nicht alles klar, was in den Akten ist. Na, jedenfalls bestellen Sie, die sollen in meiner Zelle sich mal das Gitter anschauen, da ist der Brief angebunden.“
„Ich denke, der Brief ist verschusselt?“
„Und Ihr Herr Amtsbruder soll von jetzt an bei der Briefkontrolle auch das Futter im Briefumschlag ansehen, darin steckte das Geld. Meine Schwester hatte es reingesteckt. Heimlich.“
„Was ist das alles!“sagt der Pastor unwillig. „Märchen sind das.“
„Alles findet sich wieder an“, sagt Kufalt ungerührt. „Wenn manche auch das Geld gerne beiseite brächten.“
„Ich versteh’ kein Wort. Ich denke, Herr Pastor Zumpe hat es grade nicht im Briefumschlag gefunden? Die Sache scheint mir völlig dunkel.“
„Rufen Sie die Polizei, dann wird sie schon hell werden. Oder, noch ein Vorschlag, schreiben Sie Herrn Zumpe. Der wird Ihnen antworten: der Kufalt ist ein ekelhafter Kerl, aber diesmal funkt der Laden.“„Funkt der Laden?“
„Hat er die Wahrheit gesagt, heißt das.“
„Also gut, ich werde schreiben, und wehe Ihnen, wenn nicht jedes Wort wahr ist! Ich rufe unnachsichtlich die Polizei.“
„Und ich schiebe wieder Knast, gewiß doch, Herr Pastor.“
Der Pastor macht eine mutlose Bewegung. „Also führen Sie sich wenigstens so lange gut.“Kufalt beugt sich über den Schreibtisch. Jetzt ist er wirklich böse. Und hat keine Angst mehr.
Er flüstert dem erstaunten Geistlichen ins Gesicht: „Wenn Sie das nächste Mal mit einem alten Knastschieber reden, dann sagen Sie ihm guten Morgen. Dann fragen Sie ihn nicht in Gegenwart von hübschen jungen Mädchen, ob er wegen Weibergeschichten ins Kittchen kam. Dann bieten Sie ihm lieber noch einen Stuhl an. Dann kotzen Sie ihn nicht an. Das Angekotztwerden, das sind wir gewöhnt, Herr Pastor, das macht uns munter und scharf, das ist das Salz in unserer Suppe, Herr Pastor. Das nächste Mal versuchen Sie es vielleicht mal mit einer anderen Tonart, Moll statt Dur, Freundschaft statt Feindschaft. Guten Morgen, Herr Pastor…“
„Halt!“brüllt der Pastor. „Sie können auf der Stelle…“
„Das Friedensheim verlassen?“fragt Kufalt.
„Ach was! Gehen Sie an Ihre Arbeit. Sie sind es alle nicht wert…“
„Natürlich sind wir alle die Arbeit von Herrn Pastor nicht wert. Guten Morgen, Herr Pastor.“
„Machen Sie, daß Sie wegkommen, Fräulein Matzke soll wieder reinkommen.“
„Guten Morgen, Herr Pastor!“„Na, meinethalben guten Morgen.“ An diesem Abend, es ist Sonnabend4, sagt beim Essen der Student plötzlich: „Ich geh noch ein bißchen spazieren. Wenn einer von den Herren Lust hat?“
So weit sind sie doch schon, daß sie erst einmal unschlüssig zu Seidenzopf hinsehen, der aber sehr friedlich sagt: „Aber gewiß doch. So ein schöner, lieblicher Abend…“
Und Frau Seidenzopf: „Aber Punkt zehn wird das Haus geschlossen und nicht wieder aufgemacht.“
„Dann wollen wir also die Uhren vergleichen“, sagt Petersen. „Es ist sieben Uhr zwanzig …“
Und Beerboom: „Ich gehe nur mit, wenn Herr Seidenzopf mir Geld gibt. Ohne Geld gehe ich nicht auf die Straße, da kommt man ja an keinem Hunde vorbei.“
„Ich rechne also mit den Herren noch rasch ab, Herr Petersen.“
Aber es geht dann nicht so rasch. Kufalt steht am Gangfenster und sieht in den langsam dämmrig werdenden Garten, während drüben im Büro die Stimmen gegeneinander anschwellen und wieder leise werden. Die Büsche verschwimmen sachte gegen die dunklen Gartenmauern, die äußersten Spitzen der Baumkronen reichen noch in die Sonne, Beerboom drinnen jammert flehend, Seidenzopfs Baß grollt – und schließlich geht die Tür auf und Seidenzopf schreit: „Gehen Sie raus, Sie Mensch Sie! Ein Ärgernis sind Sie! Keinen Pfennig mehr gebe ich. Kommen Sie rein, mein lieber Kufalt.“Kufalt kommt rein.
„Na, Sie haben ja erst drei Arbeitstage. Für den Donnerstag Maschinenreinigen – na, sagen wir, fünfzig Pfennig…“
„Eine Mark ist ausgemacht.“Langer Blick. „Meinethalben eine Mark. Freitag und Sonnabend je siebenhundert Adressen – sehr wenig, Herr Kufalt, und recht liederlich geschrieben –, fürs Tausend sechs Mark, macht acht vierzig, alles in allem Arbeitsverdienst neun Mark vierzig. Sie haben zu zahlen fünf Tage Kost und Logis je zwei Mark fünfzig, macht zwölf Mark fünfzig, bleiben Sie uns schuldig drei Mark zehn, die von Ihrem Depot gekürzt werden. Alles klar?“
„Ach nee“, sagt Kufalt und holt tief Atem, „das ging ja furchtbar einfach. Wieso erst mal fünf Tage Kost?“
„Der Ankunftstag rechnet voll.“„Ich habe aber nur das Abendessen gehabt.“
„Das macht nichts, das sind unsere Bestimmungen so, die haben Sie unterschrieben.“
„Und der fünfte Tag?“
„Ist morgen der Sonntag.“„Den bezahle ich im voraus? Auch nach Ihren Bestimmungen?“
„Dann geht er bei der nächsten Abrechnung nicht ab. Das ist doch nur Ihr Vorteil.“
„Ich verdiene hier also nicht so viel, wie ich ausgebe?“
„Das kommt noch, mein junger Freund, das kommt alles noch.“
„Viel mehr kann man nicht schaffen auf der Maschine.“
„O doch, das kann man schon.