Extrem weit weg und extrem nah dran
Beim Konzert des Kirchheimer Blasorchesters zeigt Dirigent Michael Werner Fotografien – detailliert und farbenreich wie die Musik
Kirchheim Die Störche auf dem Kran in Kirchheim sind tausendfach fotografiert. Man hat das Gefühl, sie aus jedem Blickwinkel zu kennen. Nur wenige Menschen schaffen es, eine neue Sicht auf die Tiere und ihre außergewöhnliche Behausung zu zeigen. Zum Beispiel in einer Frühlingsnacht: traute Zweisamkeit im Storchennest, für Romantik sorgt der im Hintergrund leuchtende Vollmond. Da ist ein fliegender Storch, ganz nah, inklusive Nistmaterial im Schnabel, oder der Kirchheimer Storchenkran, wie er sich in den Himmel streckt, den Sternen entgegen, die sich um das Gerüst drehen und es wie ein Fahrgeschäft auf dem Jahrmarkt wirken lassen.
Michael Werner hat diese Bilder geschaffen und in ihnen seinen ganz eigenen Blickwinkel aufs Fotopapier gebracht. Sein Geld verdient der 37-Jährige eigentlich als Musiker und Dirigent. Seit vier Jahren leitet er auch das Blasorchester Kirchheim (BOK). Sein Hobby ist seit gut 15 Jahren die Fotografie. Nun verbindet er beides – denn beim Konzert am kommenden Sonntag im Kircheimer Zedernsaal werden etwa 20 seiner Bilder in der Säulenhalle zu sehen sein.
Alle Fotos sind in und um Kirchheim entstanden, erst seit Januar dieses Jahres – also in einer Jahreszeit, die nicht typisch für Naturfotos ist, in der sich draußen aber viel verändert. In einer Schreinerei hatte Werner zuvor ein paar Bilder gezeigt – und Jürgen Zips vom Vorstand des BOK, der die Ausstellung besuchte, sprach ihn an, ob er nicht auch das nächste Konzert mit seinen Fotos bereichern wollte. Eine „Ehre“nennt Werner diesen Auftrag und freut sich sehr über den Vertrauensvorschuss. Doch er muss zugeben: Ein bisschen habe ihn das Fotografieren mit Deadline auch nervös gemacht. Bestimmt 50 Stunden hat der Stadtbergener für sein Fotoprojekt im etwa 45 Kilometer entfernten Kirchheim verbracht – und so manche Nacht.
Für das Bild vom Storchenkran unterm Sternenhimmel etwa hatte er die Kamera im Vorfeld richtig eingestellt. Alles war vorbereitet. Als die Dunkelheit hereinbrach, stellte er das Gerät mit Stativ auf. 80 Minuten lang ließ er die Blende geöffnet. „Ein gutes Buch im Auto und dann Warten und Hoffen“, sagt Werner über diese fast eineinhalb Stunden. Das Hoffen war umsonst: Das erste Bild passte nicht. Er musste die Blende noch einmal anpassen. Dann wieder warten und hoffen, noch einmal, und wieder. Erst bei den vierten „80 Minuten“in dieser Nacht war es dann so weit: Die Uhr zeigte halb drei – aber das perfekte Bild war im Kasten. „Dann sieht man’s und ist glücklich!“Michael Werner strahlt, wenn er sich an diesen Moment erinnert.
Dieses außergewöhnliche Foto ist eines der wenigen, bei denen er ein Stativ verwendet hat. Grundsätzlich setzt der 37-Jährige auf naturnahes Fotografieren. Er will möglichst wenig Einfluss auf seine Objekte nehmen, nur mit verfügbarem Licht arbeiten und ohne viel Nachbearbeitung. Natürlich hat er auf HandyApps den Sonnen- oder Mondverlauf im Vorfeld beobachtet. Und doch: „Oft waren Bilder perfekt in dem Moment, wo man es nicht erwartet“, sagt er. Das sei für ihn Fotografie geworden.
Michael Werner lacht gerne und viel. Doch obwohl er sehr gesellig wirkt, sind Menschen nicht sein Hauptmotiv. Die Natur, seine Umwelt, das ist ihm lieber – und dabei vor allem die Details. Mit seinen Bildern will er neue Perspektiven schaffen und das Auge fürs Detail schärfen – gerade in der Umgebung, die einen jeden Tag umgibt. „Plötzlich merkt man, was sich dahinter verbirgt: ein ganz eigener Zauber.“
Von sehr teurem Kamerazubehör hält Werner nicht viel, wenngleich er von seinem eigens angeschafften Teleobjektiv begeistert ist: „Da kommt man so nah ran!“, schwärmt er und erzählt, wie er einmal das weit entfernte Rotkehlchen plötzlich ganz nah vor seiner Linse hatte und erkennen konnte, wie es atmete. „Man sieht das Leben. Romantisch!“Die Auswahl aus den insgesamt rund 10 000 Fotos fiel ihm nicht leicht. Doch eines der Bilder findet er besonders toll, eine Pusteblume, auf der sich jeder einzelne Tautropfen auf den feinen Härchen abzeichnet: „Das sieht so fantastisch aus! Ich liebe dieses Bild!“Die Natur könne man einfach nicht toppen.
Die Bilder passen zum Titel des Konzerts: „Phänomene“. Das musikalische Programm, so viel verrät der Dirigent vorab, ist ebenfalls sehr detailreich und farbenreich. Wie in der Fotografie, wo er mit Makround Teleobjektiv extrem nah oder extrem weit weg ist, sucht er auch in der Musik nach den Extremen. Er liebt es, zu experimentieren, und wagt sich auch an Gigantisches. Und so wird auch das Konzert mit den 50 Musikern des BOK für die Zuhörer „Zuckerbrot und Peitsche“, kündigt Michael Werner an, mit einem Stück von Ravel zum Beispiel teils sehr schön, aber auch teils schon gewagt – eben so wie seine Bilder. Das Pfingstkonzert des Blasorches ters Kirchheim mit Ausstellung von Mi chael Werner findet am Sonntag, 20. Mai, ab 20 Uhr im Zedernsaal auf Schloss Kirchheim statt.