Unglücklich zu sein, ist okay
Was ist der Weg zum Glück?, wurde der Dalai-Lama einst gefragt. Seine Antwort: „Guter Schlaf und gutes Essen.“Mittlerweile scheint das allerdings nicht mehr zu genügen: Glück ist nur erreichbar, wenn man zur optimiertesten Version seiner Selbst geworden ist. Schaut man sich die durchschnittliche Social Media Persönlichkeit an, scheint diese nur durch Leben in Altbauwohnungen und Beziehungen, in denen man niemals streitet, ihr Glück zu finden. Beim Frühstück, bestehend aus Matcha Tee, unterhält man sich über den anstehenden Kurztrip: Trekking in Ecuador. Solche Menschen betätigen sich nach der Arbeit noch sportlich und berichten begeistert von der positiven Energie, die sie durchs Lachyoga gewonnen haben. „Mein inneres Kind wurde geweckt“, erzählen sie strahlend. Mein Leben ist wohl ein ziemlicher Gegenentwurf zum InstagramPerfektionismus, bitte Gesellschaft, akzeptier’ mich trotzdem! Mein häufigster Gesichtsausdruck ist kein strahlendes Lächeln, eher so ein neutrales Etwas, das Menschen, die mich nicht gut kennen, oft als wütend interpretieren. Dabei bin ich zufrieden. Vermutlich geht es Grumpy Cat ähnlich, wahrscheinlich werden ihre herunterhängenden Mundwinkel auch falsch gedeutet. Ich bin noch lebendig, obwohl ich noch nie ein Fitnessstudio von innen gesehen habe. Ich lese gerne, das entspannt mich, manchmal lässt es mich auch aufgebracht werden. Tatsache ist, dass ich es liebe und dass ich mich im Leserausch so gut wie gar nicht bewege, zumindest nicht mit meinem Körper, weil sich das Erleben in meinem Kopf abspielt. Irgendwie scheint dieses Erleben aber in der Gesellschaft nichts wert zu sein. Man sollte ihm mehr Platz einräumen, auch wenn es die Menschen nicht fitter macht und man hinterher keine schönen Bilder des Regenwalds zeigen kann. Versteht mich nicht falsch, natürlich würde auch ich gerne den Regenwald sehen, nach Island oder Amerika reisen. Dabei neue Dinge zu lernen, Kulturen zu entdecken, ist großartig. Wovon man allerdings dringend abweichen sollte, ist, Menschen permanent mit vorteilhaften Aufnahmen von sich selbst an diesen schönen exotischen Orten unter Erlebnisdruck zu setzen, sie danach zu beurteilen, wie viel Spaß sie haben. Das ist schlicht ungerecht und anmaßend, weil man unter manchen Umständen von Menschen einfach nicht erwarten kann, dass sie selig vor sich hinlächeln. Wenn ein junger Mensch Krebs bekommt, ist das Letzte, was er hören will, ein fröhliches „Leb’ deinen Traum. Sei doch mal ein bisschen positiver“. Man darf das Unglücklichsein nicht verbieten. Eine Bewegung, die suggeriert, dass man ein besserer Mensch ist, wenn man glücklich ist und Spaß hat, schließt diejenigen aus, denen das Leben ohnehin schon zu viel genommen hat. Man sollte den Unglücklichen das Gefühl geben, akzeptiert zu werden. Und so ein Stück Menschlichkeit zurückgewinnen.