230 Menschen bei Hexenverfolgung getötet
Wegen angeblicher Kontakte zum Teufel werden im Allgäu Frauen, aber auch Kinder und Männer, angeklagt, gefoltert und hingerichtet. Oft gehen die Verfahren jedoch glimpflich aus
Viele Menschen meinen, die Hexenverfolgung sei ein schlimmer Auswuchs des (finsteren) Mittelalters gewesen. Ein Irrglaube. Die Verfolgung sogenannter Hexen begann zwar im 15. Jahrhundert, also im späten Mittelalter. Die schlimmsten Verfolgungen mit zahlreichen Opfern gab es auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands allerdings erst zwischen 1580 und 1650, also in der frühen Neuzeit. Das Allgäu machte keine Ausnahme. Die Kemptener Historikerin Birgit Kata, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, kann die Zahl der in unserer Gegend geführten Prozesse nach der Auswertung der Forschungsliteratur, von Verfahrensakten und anderen schriftlichen Zeugnissen relativ genau beziffern. Ihren Recherchen zufolge gab es zwischen 1421 und 1790 etwa 150 Hexen- und Zaubereiprozesse. Ein Drittel davon endete mit Todesurteilen. Dabei wurden insgesamt etwa 230 Menschen hingerichtet.
„Das Allgäu war eine Region mit relativ wenig Prozessen“, stellt Kata fest. Mit Ausnahme von neun Massenprozessen zwischen 1587 und 1592 mit jeweils mehr als zehn Opfern habe es keine Serienprozesse gegeben..
In den vier Jahrhunderten der Hexenverfolgung wurden europaweit schätzungsweise zwischen 50 000 und 60 000 Menschen getötet – vor allem Frauen, aber auch Männer und Kinder. Bestraft wurde das Verbrechen der Hexerei mit dem Feuertod. Die Verurteilten wurden an einen Pfahl inmitten eines Holzstoßes gebunden und bei lebendigem Leib verbrannt. Oft enthaupteten Henker die „Hexen“vorher mit dem Schwert.
Die meisten Prozesse, die in der Regel vor weltlichen Gerichten geführt wurden, endeten für die Ange- klagten relativ glimpflich - mit Freisprüchen oder kleinen Strafen. Die Denunziationen und Verdächtigungen gingen - entgegen einem landläufigen Vorurteil - laut Birgit Kata so gut wie immer von der Bevölkerung aus, nicht von der Obrigkeit. „Es lässt sich bei den meisten Fällen feststellen, dass ein Verdacht oder Gerücht gegen jemanden im Dorf bereits jahrelang schwelte“, erklärt sie. „Dann gab es einen Vorfall, der als Bestätigung des Verdachts gedeutet wurde – und die Nachbarin wurde als Hexe angezeigt.“Dabei habe es sich oft um Kleinigkeiten gehandelt, die aber als Schuldbeweis gesehen wurden. Verfolgungen gab es sowohl in katholischen wie in evangelischen Herrschaftsgebieten.
Eine besonders schlimme Prozesswelle fand in den Jahren 1586 bis 1592 in der Pflege Rettenberg des Hochstifts Augsburg statt. Der Rinderhirte Konrad Stöcklin erzählte von Besuchen im Fegefeuer und im Paradies, die er in Begleitung von Engeln unternahm. Die Richter und Beamten des Hochstifts Augsburg ließen ihn foltern. Er bezichtigte weitere Frauen, die dann auch angeklagt wurden. Schließlich standen neben Stöcklin etwa zwei Dutzend Frauen wegen des Pakts mit dem Teufel vor Gericht. Am Ende der Verfahren, die als Beginn der großen Welle von Hexenprozessen im Allgäu angesehen werden, wurden fast alle hingerichtet – unter anderem durch Verbrennung.
Die großen Prozesse mit vielen Todesurteilen zwischen 1587 und 1592 fanden überwiegend im Ostallgäu und im südlichen Oberallgäu statt, also vor allem in den Herrschaftsgebieten des Bischofs von Augsburg, außerdem in den (evangelischen) Reichsstädten Kaufbeuren und Memmingen. So wurden im Jahr 1591 in Kaufbeuren rund ein Dutzend Frauen wegen Teufelspaktes angeklagt, zum Tod verurteilt und hingerichtet. „Das gesamte Ostallgäu war damals in einer Hexenpanik“, erklärt Kata. 120 Jahre später wurde in Kaufbeuren übrigens die 2001 heiliggesprochene Franziskaner-Nonne Crescentia Höß (1682 bis 1744) des Pakts mit dem Teufel und des Umgangs mit Dämonen verdächtigt. Zu einem offiziellen Prozess kam es jedoch nie; später verehrten die Gläubigen die Nonne.
Zum Hexenwahn kam es wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge aus vielen Gründen. Die Verfolgung resultierte aus den Ängsten der Menschen vor dem, was sie nicht verstanden und was sich nicht erklären ließ, Seuchen etwa, Unglücksfälle, religiöse Verwerfungen, Kriege, Missernten und Hungersnöte (um das Jahr 1600 herum gab es sehr kalte Jahre). Für solch schlimme Ereignisse suchten die Menschen Sündenböcke. Im Mittelalter mussten die Juden herhalten. Nun gaben die Menschen den vermeintlichen Hexen die Schuld („Das war die Hex’!“). Bisweilen dürften aber auch persönliche Gründe wie Eifersucht, Neid oder Rache eine Rolle gespielt haben. Historikerin Kata hat herausgefunden, dass generell Frauen und Mädchen ohne soziale Anbindung betroffen waren. „Frauen ohne Rückhalt in Familien, mittellos, manchmal sogar obdachlos, ,störten’ die Dorfgemeinschaft.“
Wenngleich den Angeklagten nicht immer Gewalt angetan wurde: Folterungen („peinliche Befragungen“) waren die Regel. Kein Wunder, dass die auf diese schmerzvolle Weise „Befragten“immer wieder andere Personen bezichtigten. „Ohne Folter wäre es nicht zu Prozess-Serien und Massenprozessen gekommen“, erläutert Kata. „Sie zerstörten das Leben zahlreicher betroffener Familien und belasteten die Dorfgemeinschaft.“
Lange Zeit galt das Allgäu als die Region, in der 1775 die letzte „Hexe“des heutigen Deutschlands hingerichtet wurde. Das Opfer hieß Anna Maria Schwegelin. Der Kemptener Historiker Wolfgang Petz fand 1998 aber heraus, dass das Todesurteil gegen Schwegelin nicht vollzogen worden war. Die Frau starb 1781 im Gefängnis des Fürststifts Kempten. Dennoch muss Anna Maria Schwegelin als das letzte Opfer der Hexenverfolgung auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands betrachtet werden.
1591 stirbt in Kaufbeuren ein Dutzend Frauen