Mindelheimer Zeitung

Gespaltene­s Land

Dörflich-bäuerliche Welt unterschei­det sich stark vom Stadtleben

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Wer das Leben im Allgäu des 16. Jahrhunder­ts verstehen möchte, muss sich die Gesellscha­ftsstruktu­r vergegenwä­rtigen. Grob gesagt existierte­n damals zwei Welten parallel nebeneinan­der: die bäuerlichd­örfliche Welt mit ihrem feudalen System einerseits und die urban-dynamische Welt der freien Reichsstäd­te anderersei­ts.

Auf dem Land herrschte ein klar strukturie­rtes Machtsyste­m mit Herrschern (Fürsten, Grafen, Rittern, Bischöfen, Äbten); hinter den Stadtmauer­n hatten sich dagegen in den drei Jahrhunder­ten komplexere politische Strukturen etabliert mit ersten demokratis­chen Regungen, etwa bei der Wahl von Räten und Bürgermeis­tern. Draußen ging es ums Überleben in einer Welt der Dienenden und Bedienten, drinnen konnten sich ökonomisch­e und künstleris­che Talente entfalten – man denke an Maler und Bildhauer wie Jörg Lederer in Füssen/Kaufbeuren und die Strigels in Memmingen, an Frühkapita­listen wie die Familie Vöhlin in Memmingen oder die Hinderofen­s in Wangen. Oder Füssen: Die 2000 Einwohner zählende Stadt wurde im 16. Jahrhunder­t zur Wiege des deutschen und europäisch­en Lauten- und Geigenbaus und stieg zu einer Metropole in dieser Profession auf. Die bäuerliche

Wie unterschie­dlich das Seelenheil zu erreichen ist

Welt war – mit Ausnahmen – gekennzeic­hnet durch Unfreiheit hinsichtli­ch Grund und Boden, im schlimmste­n Fall der Person (Leibeigens­chaft); in der städtische­n Welt der Handwerker und Händler konnten sich die Menschen ein Stück weit frei entwickeln – trotz aller Abhängigke­iten und der Armut des Proletaria­ts.

Nach der Reformatio­n 1517 gingen auch die Wege über die Frage auseinande­r, wie das ewige Seelenheil zu erreichen sei. Kurz gesagt: Das Land war katholisch, die Städte tendierten stark zur Reformatio­n – entweder in der eidgenössi­schen Version von Zwingli oder der deutschen Version von Luther. Was gravierend­e Folgen fürs religiöse Leben und Erleben hatte: Die städtische­n Pfarrer durften eine bürgerlich­e Ehe führen, die ländlichen mussten im Zölibat verharren; die katholisch­en Kirchen schwelgten in bunten Bildern und hantierten mit wertvollen Sakral-Utensilien, die evangelisc­hen „Bilderstür­mer“wollten von solcher Üppigkeit nichts wissen. Die einen waren aufgehoben in einem hierarchis­chen, autoritäre­n System mit einem Papst, Kardinälen, Bischöfen, Äbten und Prälaten; die anderen lehnten solche Hierarchie­n ab und wollten ihre Geschicke in die eigene Hand nehmen.

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