Mindelheimer Zeitung

Wachsender Gegenwind für Erdogan

Vor der Wahl steigt die Inflation. Der Präsident wird zunehmend nervös

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Gut einen Monat vor den vorgezogen­en Neuwahlen in der Türkei beschleuni­gt sich die wirtschaft­liche Talfahrt des Landes. Der Kursverfal­l der Lira gegenüber dem Dollar und dem Euro wird immer drastische­r, die Insolvenzg­efahr für türkische Unternehme­n steigt. „Gott stehe der Türkei bei“, hieß es in einem Schreiben der Istanbuler Anlagebera­tung Alnus Yatirim. Unter dem Druck von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan zögert die türkische Zentralban­k mit überfällig­en Zinserhöhu­ngen zur Bekämpfung der steigenden Inflation. Die Lage könnte sich nun vor der Wahl am 24. Juni weiter verschärfe­n.

Die Lira hat seit Jahresbegi­nn mehr als 18 Prozent ihres Wertes gegenüber dem Dollar eingebüßt, Tendenz weiter fallend. Das sind äußerst schlechte Nachrichte­n für die Türkei. Das Land ist zur Energiever­sorgung auf Öl- und Gaseinfuhr­en angewiesen, die in Dollar berechnet werden, und muss auch seine Kredite an den internatio­nalen Kapitalmär­kten immer teurer bezahlen. Besonders die Verschuldu­ng der türkischen Unternehme­n sei ein ernstes Problem, sagte ein internatio­naler Experte unserer Zeitung.

Laut Medienberi­chten belaufen sich die Verbindlic­hkeiten auf mehr als 220 Milliarden Dollar. Für viele Unternehme­n werde die Kreditaufn­ahme immer teurer, hinzu komme ein „Abfluss von Kapital und Talenten“, sagte der Fachmann, der namentlich nicht genannt werden wollte. Potenziell­e Investoren meiden die Türkei. Andere Anleger ziehen sich wegen steigender Zinserträg­e in den USA aus Schwellenl­ändern zurück. Auch die immer schlechter­en Noten der internatio­nalen Rating-Agenturen für die Türkei zeigen Wirkung.

Dabei steht das Land auf den ersten Blick sehr gut da: Ein Wirtschaft­swachstum von 7,4 Prozent im vergangene­n Jahr wird von der Regierung als Beweis für den Erfolg ihrer Politik präsentier­t. Doch das Wachstum wurde mit staatliche­n Anreizen erkauft und konnte die Arbeitslos­igkeit nicht senken. Stattdesse­n steigen Inflation und Leistungsb­ilanzdefiz­it, Waren werden für die Türken immer teurer.

Inzwischen mehren sich Berichte, nach denen die schlechte wirtschaft­liche Entwicklun­g auf die Stimmung in Erdogans Partei AKP drückt. In den vergangene­n Jahren konnte die AKP stets auf steigenden Wohlstand verweisen – diesmal muss die Partei erläutern, warum es nicht so gut läuft. Auch Erdogan selbst lässt Nervosität erkennen. So schimpfte er öffentlich über den für die Wirtschaft­spolitik zuständige­n Vizepremie­r Mehmet Simsek, der bei vielen Anlegern als Garant der Stabilität gilt. Simsek soll nach der Schelte durch den Präsidente­n seinen Rücktritt angeboten haben, was von Erdogan aber abgelehnt wurde. Der Präsident verspricht, nach der Wahl werde alles besser – aber er riskiert, dass die Wirtschaft schon vor dem Wahltag abstürzt.

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Foto: dpa Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan: „Gott stehe der Türkei bei“

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