Die Frage der Woche Videobeweis im Fußball?
Im Fußball fallen Spieler schneller als Dominosteine. Ein kurzer Körperkontakt, und schon rollt wieder ein Profisportler mit schmerzverzerrtem Gesicht über den Rasen. Was war da los? In der Vergangenheit war der Fernsehzuschauer besser informiert als der Schiedsrichter. In Zeitlupenaufnahmen sind hinterlistige Bodychecks oder Schwalbenkönige schnell entlarvt. Direkt auf dem
Platz kann der Schiedsrichter nur seinen eigenen und den Augen seiner Helfer vertrauen – und die haben keine Wiederholung in Zeitlupe.
Warum den Referees also nicht den gleichen Vorteil wie den Zuschauern an die Hand geben? Der Videobeweis ist sinnvoll – nur seine Umsetzung ist alles andere als gut durchdacht. Es kann nicht angehen, dass der Schiedsrichter minutenlang auf einen Bildschirm starrt, während die Zuschauer im Station vor Rätseln stehen: Welche Szene sieht sich der Schiri an? Hat die Kamera den kritischen Moment sauber eingefangen? Geht es heute noch irgendwann weiter? Die Zuschauer müssen mitbekommen, was im Stadion läuft. Und die Unterbrechungen dürfen nicht zur Regel werden. Ein Schiedsrichter sollte nur in kritischen Situationen einen Blick auf den Bildschirm werfen – wenn ein fragliches Foul etwa im Gedränge des Strafraums begangen wurde.
Auch in anderen Sportarten funktioniert der Video-Schiri. Seit 2006 wacht eine Kamera über Tennis-Matches. Kritiker gab es von Anfang an – allen voran Star-Spieler Roger Federer. Seine Beschwerden verstummten aber, nachdem ihm vergangenes Jahr der Videobeweis beim Grand-Slam-Sieg in Australien nutzte. Vielleicht brauchen Kritiker des Systems auch so ein Erlebnis – wenn ihre Mannschaft vom Videobeweis profitiert, beschweren sich die Fans bestimmt nicht.
Es gibt im Fußball keine Gerechtigkeit. Und Objektivität schon gar nicht. Das Streben nach immer mehr vermeintlicher Beweissicherheit führt nicht nur in die Irre – es führt vor allem weg vom Wesen des Spiels. Und das liegt im Chaos, in der Willkür, im Zufall, in der Unzulänglichkeit, im Irrtum, im Kippmoment, im nachhallenden Mythos des Zweifels. Ein Fußballspiel ist eine Ansammlung von Ereignissen, die interpretierbar sind. War das ein Foul? Absichtliches Handspiel? Abseits? Das zu entscheiden ist Aufgabe des Schiedsrichters und seiner Linienrichter. Sie deuten. Auf Augenhöhe. Auf dem Platz. Angreifbar. Strittig. Aber nur daraus entsteht jene immer neue Erzählung, die den Fußball am Leben hält.
Der Videobeweis bringt eine völlig neue Ebene ins Spiel. Das mag im Spitzenfußball, der von Milliarden Menschen nur noch medial vermittelt erlebt wird, zwangsläufig sein. Wo jeder halbtrunkene Sesselexperte fünf Super-Zeitlupen als Beurteilungshilfe hat, der reale Schiedsrichter aber nicht, gerät etwas in Schieflage. Doch der Videobeweis zerstört die Unmittelbarkeit. Er verlagert nicht nur das Spiel in den virtuellen Raum und bringt es abgetötet wieder zurück, sondern relativiert die Spielregeln. Der Schiedsrichter büßt an Autorität ein. Jedes Tor ist nun theoretisch ein Prüfungsfall. Über den entscheiden aber weiter: Menschen. Wer an den Videobeweis glaubt, der muss konsequent sein. Das Spielfeld muss verkabelt werden, jeder Kicker kriegt eine Bodycam an die Backe und eine ans Knie, dazu Sensoren unter die Sohlen. Und in den Ball packen wir mehr künstliche Intelligenz als Luft. Lasertechnik, Satelliten. Fußball kaputt? Der Videobeweis war der Sündenfall. Nie mehr Wembley-Tor. Der Fußball wird sich selbst zerstören.