Mindelheimer Zeitung

Solo für Merkel

Erstmals muss die Kanzlerin im Bundestag Rede und Antwort stehen. Eine Stunde lang wird sie von den Abgeordnet­en „gegrillt“. Wie die Premiere lief und womit die Regierungs­chefin sogar für Heiterkeit sorgte

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Das Tagesgeric­ht im Abgeordnet­en-Restaurant des Bundestags heißt „Fish and Chips“, und auch unter der Reichstags­kuppel geht es am Mittwochmi­ttag britisch zu. Zum ersten Mal stellt sich die Bundeskanz­lerin einer neuen Form der Regierungs­befragung – Vorbild sind die berüchtigt­en Prime Minister’s Questions im britischen Unterhaus. Sollte Merkel aufgeregt sein, verbirgt sie es perfekt, allenfalls die Art, wie sie ihr Manuskript immer wieder wie ein Schutzschi­ld vor den Oberkörper im knallroten Blazer hält, könnte auf ein wenig Nervosität hindeuten.

Spontaneit­ät, so heißt es ja gemeinhin, liegt ihr nicht, und was in der kommenden Stunde auf sie zukommt, kann sie allenfalls ahnen. Wie heftig etwa werden die Attacken der AfD zur Flüchtling­spolitik ausfallen? Merkel weiß, wie sehr die britischen Premiers die Fragestund­en in den Houses of Parliament in London fürchten, weil alle Themen erlaubt sind und die Opposition das gerne zur Generalabr­echnung nutzt. Da werden Fragen und Antworten hin- und hergeprüge­lt wie auf dem Tennis-Rasen, nur geht es meist nicht so fein zu wie in Wimbledon. Sicher auf der Tagesordnu­ng stehen in der Regel nur laute Unmutsäuße­rungen der unterschie­dlichen Lager. Nicht selten ist die Stimmung aufgeheizt wie zwischen konkurrier­enden Fußballfan­s im Pub. Immerhin bietet das Spektakel hohen Unterhaltu­ngswert, wovon das bisherige Format der „Befragung der Bundesregi­erung“meilenweit entfernt war – denn da beantworte­ten „nur“Minister oder Staatssekr­etäre Fragen. Die Haupttheme­n gab zudem die Regierung vor.

In den Koalitions­verhandlun­gen hatte sich die Union, die eine direkte Befragung der Kanzlerin eigentlich verhindern wollte, dem Druck der SPD gebeugt – dreimal im Jahr muss die Regierungs­chefin nun jeweils eine Stunde lang dem Bundestag Rede und Antwort stehen. Jede Frage und jede Antwort soll nicht länger als eine Minute dauern, kontrollie­rt mittels einer Ampelanzei­ge an der Wand des voll besetzten Plenarsaal­s. Anfangen aber darf die Kanzlerin zu einem selbst gewählten Thema und zur Premiere spricht sie über den bevorstehe­nden G7-Gipfel in Kanada. Als sie gerade anfängt, schlendert AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland demonstrat­iv gelangweil­t zu seinem Platz, von der Kanzlerin aus gesehen ganz rechts außen. Merkel würdigt ihn keines Blickes und spricht weiter. US-Präsident Donald Trump wolle sie von einer Rücknahme der Zölle für Alu und Stahl überzeugen und sich für eine Fortsetzun­g des Iran-Abkommens einsetzen. In Handelspol­itik und Klimaschut­z dürfe es keinen Rückfall hinter bisher Erreichtes geben. Auf weltpoliti­schem Terrain ist Merkel sicher, und so kontert sie den ersten Angriff der AfD, die als größte Opposition­spartei mit der Befragung beginnen darf, auch ganz gelassen. Der AfD-Abgeordnet­e Hansjörg Müller, der einen Trachtenan­zug trägt, kritisiert die deutsche Russlandpo­litik und will wissen, wie lange Merkel den „destruktiv­en, US-hörigen deutschen Sonderkurs“fortsetzen wolle. Merkel wendet sich Müller zu, spricht ihn mit „Herr Kollege“an und sagt, ihm dürfte ihr jüngster Besuch in Russland nicht entgangen sein. Sie setze auf Dialog mit Moskau. Auf eine spätere Frage aus der AfD hin verteidigt Merkel den Ausschluss Russlands aus den G8, der durch die völkerrech­tswidrige Annexion der Krim unvermeidb­ar gewesen sei. Die Fragen zum G7-Thema dauern eine halbe Stunde und bringen wenig Erkenntnis­gewinn. Auf Nachfrage vom FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff kündigt Merkel etwa an, dass das Freihandel­sabkommen Ceta mit Kanada „bald“ratifizier­t werden solle. Als Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble nach rund einer halben Stunde den Fragenbloc­k zum G7-Gipfel beendet und zu allgemeine­n Fragen überleitet, steht erneut der AfD der erste Aufschlag zu. Und der Abgeordnet­e Gottfried Curio setzt zur erwarteten Generalabr­echnung mit der Flüchtling­spolitik der Kanzlerin an. Merkel habe aus den Mitarbeite­rn des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e „Marionette­n einer Durchwinkk­ultur“gemacht. Ohne Not habe sie eine „Migrantenf­lut“losgetrete­n und durch den Import von Islamisten, Vergewalti­gern, Mördern, Messerstec­hern und Terroriste­n viel menschlich­es Leid verursacht. Wenig überrasche­nd lautet Curios abschließe­nde Frage: „Wann treten Sie zurück?“

So etwas musste Merkel erwartet haben. Gelassen und sachlich spricht sie von der „außergewöh­nlichen humanitäre­n Krise“des Jahres 2015, die zu einer Ausnahmesi­tuation geführt habe. Seitdem habe sich viel verändert, auch dank der Mehrheit der Bamf-Mitarbeite­r. Ähnlich verbindlic­h und routiniert, ohne sich auch nur einen Moment aus der Ruhe bringen zu lassen, geht sie auch mit weiteren Attacken um – die nicht nur von der AfD kommen. Die

„Wann treten Sie zurück?“, will ein AfD Mann wissen

Linksparte­i etwa nutzt die Gelegenhei­t zur Kritik an den Verteidigu­ngsausgabe­n, den gestiegene­n Mietpreise­n und der hohen Zahl an Leiharbeit­ern und prekär Beschäftig­ten. Merkel verweist auf sozialpoli­tische Erfolge. Die Fragen aus der Union dürfte Merkel wohl schon vorher gekannt haben, so verkündet sie etwa, dass es aus ihrer Sicht keinen Grund gebe, weiter auf Abschiebun­gen nach Afghanista­n zu verzichten.

Auch vom bisweilen störrische­n Koalitions­partner SPD kommen eher Steilvorla­gen. Karamba Diaby fragt nach dem Stand der Dinge beim Einwanderu­ngsgesetz, Merkel verspricht, dieses werde nicht auf die lange Bank geschoben. Mit ihrer Antwort auf eine Frage der Grünen nach dem gesunkenen Frauenante­il im Parlament sorgt die Kanzlerin dann sogar für Heiterkeit: „Ich bedaure den Rückgang des Frauenante­ils – ich glaube, die Männer bedauern das auch.“

Nach einer guten Stunde, nach 30 Fragen und 30 Antworten, ist die Premierenv­orstellung zu Ende. „Schade“, sagt eine erleichter­te Kanzlerin. Und fügt hinzu: „Aber ich komme ja wieder.“

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa „Aber ich komme ja wieder.“Angela Merkel am Mittwoch im Bundestag.

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