Mindelheimer Zeitung

Raus aus der Braunkohle – aber wann?

Eine Kommission soll den Ausstieg so planen, dass die Abbauregio­nen nicht wirtschaft­lich untergehen

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Berlin Auch wenn die Kohle längst nicht mehr die herausrage­nde Bedeutung für die Energiever­sorgung in Deutschlan­d wie vor wenigen Jahrzehnte­n hat – sie weckt Emotionen. Als CDU, CSU und SPD Anfang des Jahres über die Energiepol­itik der künftigen Großen Koalition verhandelt­en, standen sich zwei Demonstran­ten-Lager gegenüber: die Klimaschüt­zer auf der einen Seite, die Kohlekumpe­l auf der anderen. Raus aus der Braunkohle, forderten die einen. Schützt unsere Jobs, forderten die anderen. Die Bundesregi­erung will beides unter einen Hut bekommen. Dafür setzte sie am Mittwoch ein 31-köpfiges Gremium ein – die Kohlekommi­ssion. Offiziell heißt sie Kommission „Wachstum, Strukturwa­ndel und Beschäftig­ung“.

Den Druck, auszusteig­en, haben deutsche Regierunge­n sich selber auferlegt. Schließlic­h hat sich die Bundesrepu­blik auch internatio­nal zum Kampf gegen die Erderwärmu­ng verpflicht­et – insbesonde­re im Klimaschut­zabkommen von Paris von 2015. Dass die Energiewir­tschaft langfristi­g kaum noch CO2 ausstoßen darf, steht damit fest. Ohne den Ausstieg aus der Braunkohle ist das nicht zu machen.

Doch der Kohleausst­ieg ist eine echte Mammutaufg­abe. Was passiert mit den Menschen, die ihre Arbeit verlieren? Wie wird die Stromverso­rgung gesichert? Was passiert mit alten Tagebauen? Müssen die Energiekon­zerne entschädig­t werden, und wenn ja, wie? Dafür braucht es Fachwissen, aber es müssen auch verschiede­ne Gruppen der Gesellscha­ft beteiligt werden, um einen Konsens zu erreichen.

Genau dieses Profil soll die jetzt eingesetzt­e Kohlekommi­ssion erfüllen. Das Gremium hat vier Vorsitzend­e. Für die ostdeutsch­en Kohlelände­r Brandenbur­g und Sachsen stehen die Ex-Ministerpr­äsidenten Matthias Platzeck (SPD) und Stanislaw Tillich (CDU). Dritter CoChef ist Bahn-Vorstand Ronald Pofalla. Der frühere CDU-Generalsek­retär und Kanzleramt­sminister kommt aus dem Kohleland Nordrhein-Westfalen. Für die Interessen der Umweltverb­ände steht als Vierte im Bunde die Volkswirti­n Barbara Praetorius, früher Vize-Direktorin der Denkfabrik Agora Energiewen­de. Daneben sind Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Gewerkscha­ften und Wissenscha­ft sowie von Umweltverb­änden und Kommunen in dem Gremium.

Es geht um den Strukturwa­ndel in den Kohleregio­nen, vor allem in der Lausitz, im mitteldeut­schen Braunkohle­revier und im rheinische­n Revier. Die Kommission soll bis Ende Oktober konkrete Perspektiv­en für neue Jobs schaffen und klären, wie notwendige Investitio­nen effektiv eingesetzt werden können. Vorschläge, wie Deutschlan­d möglichst nah an sein Klimaschut­zziel für das Jahr 2020 herankomme­n kann, sollen bis zum Beginn der UN-Klimakonfe­renz in Polen am 3. Dezember vorliegen.

Ende des Jahres ist dann der Abschlussb­ericht fällig – inklusive Ausstiegsp­lan und Enddatum für den Strom aus Braunkohle. Die erste Sitzung ist für den 26. Juni geplant. Die Ergebnisse sollen 2019 in ein Klimaschut­zgesetz fließen, das der Bundestag verabschie­det.

Soweit der Zeitplan. Doch der Streit um den Ausstieg hat längst begonnen. Greenpeace etwa will den Ausstieg schon bis 2030. Vertreter der Wirtschaft und der Kohlelände­r halten dagegen, es sei ausgeschlo­ssen, innerhalb weniger Jahre den Energiebed­arf durch Wind und Sonne zu decken, da Deutschlan­d bis 2022 auch noch aus der Atomkraft aussteige. Manche nennen das Jahr 2045. Auch die Gewerkscha­ften warnen vor einem zu schnellen Ende der Kohleförde­rung.

Nach den Zahlen des Bundesverb­andes Braunkohle waren 2017 in den Revieren knapp 21 000 Menschen beschäftig­t, davon rund 8600 in der Lausitz. Der Verband schätzt, dass 70 000 Arbeitsplä­tze direkt und indirekt von der Braunkohle abhängen. Glaubt man einer aktuellen Emnid-Umfrage, sind die Deutschen mit großer Mehrheit – fast 80 Prozent – für einen raschen Ausstieg.

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Foto: Oliver Berg, dpa Noch fressen sich gigantisch­e Förderbagg­er durch die westfälisc­he Landschaft. Doch der Ausstieg aus der Braunkohle­förderung ist absehbar.

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