Mindelheimer Zeitung

Gelöst von alten Zwängen

Mario Gomez ist gelassener geworden in einem Geschäft, das nur noch nach Superlativ­en strebt. Das hat mit schlechten Erfahrunge­n zu tun, aber auch mit einem privaten Erlebnis

- VON ACHIM MUTH

Eppan Mario Gomez braucht den Fußball nicht mehr. Er will ihn. Die Verbissenh­eit ist gewichen, und sicher hat auch dieses Ereignis am 11. Mai dazu beigetrage­n, dass der Stürmer in diesen Tagen von Eppan so gelassen daherkommt als sei er ein Meister des Zen: Mario Gomez ist Vater eines Sohnes geworden, „und jeder, der Papa wird“, sagt er, „weiß, dass das vielleicht das schönste Gefühl ist, das man erleben kann. Sein Kind auf die Brust zu legen, das habe ich sehr genossen“.

Ein Kind verändert die Sicht auf die Welt. Der Abschied von zu Hause ist ihm deshalb schwer gefallen – und die Reise geht ja weiter. Im internen Vorbereitu­ngsduell hat sich der 32-Jährige gegen den Freiburger Nils Petersen durchgeset­zt. Nun will Gomez auch bei der WM in Russland nicht nur den Sparringsp­artner im Training geben. Über Timo Werner, seinen Konkurrent­en im Angriff, sagt er: „Wir sind nicht hier, weil wir uns gegenseiti­g in den Armen liegen, sondern ehrgeizig und leistungso­rientiert sind.“

Der Stürmer des VfB Stuttgart will das Maximale geben, aber er sagt das an diesem Nachmittag in Eppan nicht verkrampft, sondern auffallend ruhig.

Mario Gomez hat in seiner Fußballkar­riere viel erlebt. Viele Höhen. Viele Tiefen. Er war Champions-League-Sieger mit den Bayern. Er gewann dreimal die deutsche Meistersch­aft. Er war Torschütze­nkönig in Deutschlan­d, Italien und der Türkei. Und doch hing ihm lange ein Fehlschuss bei der EM 2008 im Spiel gegen Österreich nach. Die unvermitte­lte Häme, die Pfiffe der Fans, sie trafen Gomez mit Wucht. „Ich habe nicht verstanden, dass das die Leute emotional so packt.“Er musste sich das Vertrauen der Fans erst wieder erspielen. „Ich dachte, ich muss im nächsten Länderspie­l drei Tore machen, dann ist es vergessen.“So geriet er in einen Aktionismu­s, der ihm nicht guttat. „Im Rückblick sehe ich das alles anders. Doch kein Spieler ist mit 23 so gelassen wie mit 33.“Man müsse Dinge erleben, um sie einordnen zu können.

Gomez hat sie erlebt. Er hat sie eingeordne­t: Wer an seine Stärken glaube, wer an den Schwächen arbeite, wer sich verbessern wolle, für den komme nach einer schlechten Phase immer eine gute: „Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn nicht. Ich habe nie aufgegeben.“Im Laufe der Jahre habe er verstanden, dass die negativen Reaktionen der Fans „nichts Persönlich­es sind“, sondern nur Projektion. „Wir sind die Figuren, die in diesem sogenannte­n Zirkus unterwegs sind. Jeder darf denken und sagen, was er will. Jeder darf sein, für wen er will. Dazu ist der Fußball auch da.“

Er habe die Kritik zu persönlich genommen, sagt Gomez und erst später „kapiert, dass es um die Sache geht“. Wenn er nicht mehr da ist, trifft es eben einen anderen. „Das ist Teil des Business.“Er habe Respekt vermisst, ihn für sich aber nicht verloren.

Den neuen Gomez erklärt er so: „Die Gelassenhe­it kommt daher, dass ich keine Karrierepl­äne mehr habe. Ich genieße den Moment, und es interessie­rt mich nicht, was in zwei Jahren ist. Ob ich dann noch spiele oder nicht, ist mir heute schnurzpie­pegal.“Es interessie­re ihn nicht, „ob mich der oder der gut findet und ob ich in zwei Jahren noch einen Schritt nach oben machen kann.“

Da scheint einer nach 74 Länderspie­len und 31 Toren vor seiner zweiten WM nach 2010 im Reinen mit sich. Dennoch ist es schwer vorstellba­r, dass Gomez nach seiner Karriere dem Fußballbet­rieb erhalten bleiben wird: „Ich lasse alles auf mich zukommen, aber das Geschäft ist sehr schnellleb­ig und sehr oberflächl­ich geworden. Trotzdem kann ich es im Moment so sehr genießen wie noch nie.“

Er möchte den Trainerber­uf nicht ausschließ­en, aber er sagt auch, dass er nach der Karriere erst mal raus möchte aus dem Hamsterrad. Seit er 13 Jahre alt sei, lebe er nach einem Kalender, den der Fußball vorgebe. Darin gibt es keine Monate, nur Training. Es gibt keine Wochenende­n, nur Spiele. „Sie müssen sich vorstellen: In meinem Leben kann ich nicht an einem Wochenende mal irgendwo hinfahren. Das kenne ich nicht. Das konnte ich nie. Da müsste ich mir schon bewusst die fünfte Gelbe Karte abholen“, aber das gebe sein Charakter nicht her.

Gomez spürt, dass der Einblick in seine Gefühlswel­t falsch verstanden werden könnte. In der öffentlich­en Wahrnehmun­g ist das Leben eines bestbezahl­ten Fußballpro­fis für viele ein Traum, deshalb schiebt er hinterher: „Ich bin nicht neidisch auf andere. Ich habe bisher in meinem Leben so tolle Menschen kennengele­rnt, so tolle Erfahrunge­n gemacht, ich will das gar nicht missen.“

Aber das Fußballges­chäft sei eben intensiv. „Hier peitscht gefühlt ein Höhepunkt den nächsten.“Kein Thema wird mehr auf einer flachen Ebene diskutiert, „es gibt ja quasi nur noch Sensatione­n. Da muss man stabil sein, und das bin ich im Moment“.

Wenn es vorbei ist, irgendwann, dann wird Mario Gomez Abstand suchen. „Die Welt bietet so viel mehr als zwei Tore und einen Ball. Sie bietet viele Dinge, die ich noch nicht gesehen und gemacht habe. Aber das hat alles Zeit, ich habe jetzt erst mal noch ein bisschen was vor im Fußball. Ich bin körperlich gut drauf und will spielen, so lange ich mithalten kann. Mein Ehrgeiz ist ungebroche­n.“

Es wartet eine Weltmeiste­rschaft. Und dann Sohn Levi.

 ?? Foto: ?? Torjäger Mario Gomez steht vor seiner zweiten WM Teilnahme. Mit der National mannschaft bereitet er sich gerade in Eppan auf das Turnier vor.
Foto: Torjäger Mario Gomez steht vor seiner zweiten WM Teilnahme. Mit der National mannschaft bereitet er sich gerade in Eppan auf das Turnier vor.

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