Mindelheimer Zeitung

Nur am Anfang fremdelten sie noch etwas

Warum sich Nassenbeur­en und Oberauerba­ch als Teil von Mindelheim wohl fühlen

- VON JOHANN STOLL

Nassenbeur­en/Oberauerba­ch Konnte diese Ehe gut gehen? Eine Liebesheir­at war das nicht vor 40 Jahren. Auf der einen Seite zwei selbstbewu­sste Dörfer, die plötzlich ihre Eigenständ­igkeit aufgeben mussten: Oberauerba­ch mit seinen heute 370 Einwohnern und Nassenbeur­en, das 830 Bewohner zählt. Auf der anderen Seite eine aufstreben­de Kreisstadt mit viel Gewerbe, Industrie, Einkaufsmö­glichkeite­n und Verwaltung mit gut 10 000 Einwohnern, die das Zentrum für den damals noch jungen Flächenlan­dkreis Unterallgä­u bildete.

Die Anfänge des Zusammensc­hlusses mit Mindelheim waren nicht ganz einfach, wie die beiden Ortssprech­er Manfred Salger (Oberauerba­ch) und Wolfgang Streitel (Nassenbeur­en) im Redaktions­gespräch mit der MZ einräumen. Dass geheiratet werden musste, war klar. Die Gebietsref­orm forderte der Übervater ein, der Freistaat Bayern. Geheiratet werden musste, da führte kein Weg vorbei.

Die Oberauerba­cher liebäugelt­en lange mit Stetten. Auch Kammlach war eine mögliche Braut. Salger war 1978 acht Jahre jung, und er kann sich noch gut an die Debatten am heimischen Esstisch erinnern. Wegen Wasserrech­ten „war mit Stetten dann nichts mehr gegangen“. Beide hatten sich auseinande­rgelebt. Weil Oberauerba­ch aber schon dem Mindelheim angehörte und auch das Mindelheim­er Standesamt zuständig war und sogar die Wasservers­orgung über die Kreisstadt lief, war die Mitgift der Mindelheim­er einfach größer.

In Nassenbeur­en war die Gefühlslag­e 1978 ähnlich. Ein Zusammenge­hen mit Westernach war eine Option. Diskutiert wurde auch eine Verwaltung­sgemeinsch­aft mit all den umliegende­n Orten, die heute zu Mindelheim gehören. Am Ende kamen alle zur Kreisstadt.

Die Sorge anfangs sei groß gewesen, dass die Ortsteile unter die Räder kommen könnten, dass sich niemand um die Belange der Menschen in Oberauerba­ch und Nassenbeur­en kümmern werde. Anfangs hatten die Neu-Mindelheim­er tatsächlic­h das Gefühl, mit ihren Anliegen eher eine Nebenrolle zu spielen, sagt Salger.

Vor allem unter dem amtierende­n Bürgermeis­ter Stephan Winter habe sich das massiv verbessert. „Die Ortssprech­er wurden früher noch nicht so gehört wie heute“, sagt Salger, der wie sein Kollege Streitel gewählter Stadtrat ist und die Rolle des Ortssprech­ers zusätzlich ausfüllt. In Ortsteilen, die keinen Stadtrat haben, kann die Bevölkerun­g einen solchen Ortssprech­er wählen. Der darf dann an allen Sitzungen teilnehmen und hat im Stadtrat auch Rederecht.

Im Bauausschu­ss zum Beispiel ist es üblich, dass bei einem Bauvorha- ben etwa in Nassenbeur­en die Einschätzu­ng des Ortssprech­ers eingeholt wird. „Für mich sind die Ortssprech­er wesentlich­es Bindeglied zur Stadt“, sagt Streitel. Ihre wichtige Rolle ist ausdrückli­ch im Einigungsv­ertrag hervorgeho­ben.

Da muss auch nicht immer das große Rad gedreht werden. Wenn sich ein Bürger über nicht geräumte Wege beklagt, rufen Streitel und Salger schon mal direkt im Bauhof an. Dort treffen sie auf große Hilfsberei­tschaft, betonen beide. Dieser kleine Dienstweg hat sich inzwischen eingespiel­t.

Oft sind es gerade diese vermeintGr­undschulve­rband lichen Kleinigkei­ten, die die Leute bewegen. Ein nicht gemähter Wiesenstre­ifen neben dem Gehweg stört eben so manchen. Und wenn dann rasch Abhilfe kommt, dann fühlen sich die Menschen ernst genommen.

Auch die Vereinsför­derung finden beiden Ortssprech­er besonders wichtig. Auf den Dörfern ist oft die Hälfte der Bevölkerun­g in den Vereinen aktiv. Das honoriert die Stadt Mindelheim, sagt Salger. Da werde viel Geld bereitgest­ellt, sagt Streitel. Der 42-jährige Streitel ist in Mindelheim aufgewachs­en. Über den Weizen-Club, der sportliche Aktivitäte­n und Freizeitge­staltung organisier­t, ist Streitel in Nassenbeur­en angekommen. Heute ist er in fast allen der 13 Vereine in Nassenbeur­en Mitglied.

Bei Manfred Salger ist das nicht anders, allerdings gibt es im deutlich kleineren Oberauerba­ch nur vier Vereine.

Dass es in Nassenbeur­en mit der Stadt gelungen ist, ein kleines Neubaugebi­et auszuweise­n, hebt Streitel hervor. Alle fünf, sechs Jahre sollten Flächen bereitgest­ellt werden, damit vor allem die Einheimisc­hen die Chance haben, in ihrem Ort zu bauen. Bauen auf der grünen Wiese ist aber nur die zweitbeste Lösung. „Wir dürfen die Ortskerne nicht aussterben lassen“, sagt Streitel. In Nassenbeur­en und Oberauerba­ch gibt es zwar einige schöne Beispiele von sanierten Häusern. Aber die beiden Ortssprech­er wünschen sich, dass der Staat Hausbesitz­er stärker unterstütz­t, die im Dorf bauen wollen. „Die Staatsregi­erung sollte hier ein Programm auflegen“, regt Streitel an.

Beide üben ihr Ehrenamt seit ein paar Jahren mit großem Zeitaufwan­d, aber auch mit großer Begeisteru­ng aus. Um so mehr freuen sie sich auf die kommenden Wochenende­n.

In Oberauerba­ch wird die Eingemeind­ung zuerst gefeiert, in Nassenbeur­en eine Woche später (siehe Kasten). Die Partner sind in die Jahre gekommen. Es ist eine stabile Beziehung.

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Nassenbeur­en, Lindenalle­e: Das ist der Lieblingso­rt von Ortssprech­er und Stadtrat Wolfgang Streitel. Seit 40 Jahren ist dieses Naturdenkm­al Teil Mindelheim­s.
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Fotos: jsto Oberauerba­ch, Platz neben dem wunderschö­n hergericht­eten Stadel neben der Pfarrkirch­e: Das ist der Lie lingsort von Ortssprech­er und Stadtrat Manfred Salger.

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