Die Rächer von Bremen
Ein paar Männer sehen einen TV-Bericht über Pädophile. Sie meinen, einen Kinderschänder zu kennen und prügeln ihn fast zu Tode. Er ist Opfer einer Verwechslung
Bremen Sie spielten sich als Rächer missbrauchter Kinder auf – und vergriffen sich an einem Unschuldigen: Mehrere noch unbekannte Männer haben einen 50-jährigen Bremer irrtümlich für einen Pädophilen gehalten und ihn so zusammengeschlagen, dass er zeitweise in Lebensgefahr schwebte. Inzwischen geht es ihm etwas besser. „Er hätte auch tot sein können“, sagte am Donnerstag jedoch Oberstaatsanwalt Frank Passade unserer Zeitung.
„Lynchjustiz“– so überschrieb die Bremer Polizei ihre Presseerklärung zu dem Übergriff. Offenbar hatten die Schläger im RTL-Mittagsmagazin „Punkt 12“einen Beitrag gesehen, mit dem Titel „RTLReporter deckt neue Masche von Pädophilen auf: So werden Kinder belästigt“. Ein Lockvogel des Senders hatte sich auf dem Internetportal, das Millionen Deutsche als Informationsplattform für alle erdenklichen Themen nutzen, als 13-jähriges Mädchen ausgegeben. Ein angeblich 28-Jähriger biss an. Laut Sender kam es zu Chats „mit stark sexualisiertem Inhalt“und zu einer Verabredung. „An dem vereinbarten Treffpunkt tauchte schließlich ein Mann auf, der sich auffällig verhielt.“
Als die „Rächer“den Film sahen, glaubten sie, den Verdächtigen und seine Adresse identifiziert zu haben. Das Mittagsmagazin war noch längst nicht vorbei, da zogen sie schon los und schlugen den vermeintlichen Pädophilen bei ihm zu Hause zusammen. Allerdings war das Opfer nicht der Verdächtige. Von der Staatsanwaltschaft heißt es über die Gruppe: „Es waren bis zu zehn Personen, aber wir müssen noch feststellen, ob alle an den Tathandlungen beteiligt waren.“Ermittelt wird wegen versuchten Totschlags. Der Sender hat den Beitrag inzwischen aus seinem OnlineAuftritt entfernt und den Ermittlern sein Roh-Filmmaterial überlassen, weist aber jede Verantwortung zurück. „Wir haben den Verdächtigen sehr stark verpixelt und keine Straßenschilder oder Hausnummern gezeigt“, so Pressesprecher Matthias Bolhöfer zu unserer Zeitung. Gegen den Sender ermittelt die Staatsanwaltschaft bisher nicht, „aber wir werden uns den Bericht natürlich ganz genau anschauen“, erklärte der Behördensprecher.
Auf der Facebook-Seite der Bremer Polizei äußerten sich nicht nur entsetzte Bürger, sondern auch solauf che, die Verständnis für die Schläger zeigen. Einer kommentierte in missglückter Rechtschreibung: „Da ich aus eigener Erfahrung weiß das auf die Polizei kein Verlass ist, kann ich die Tat nach vollziehen. Egal ob das Opfer schuldig ist oder nicht.“Eine Frau schrieb: „Sollte es wirklich der Täter sein, dann hält sich mein Mitleid in Grenzen …“Eine andere Frau verlangte: „Die strafen müssen härter werden damit erst gar keine Selbstjustiz stattfinden tut.“Ein weiterer Nutzer forderte: „Todesstrafe für Kinderschänder!“
Dabei ist der Staat keineswegs untätig: Inzwischen weiß die Polizei, wer der echte Verdächtige aus dem Film ist, denn dem Vernehmen nach hat er sich selbst bei den Ermittlern gemeldet. Sie prüfen jetzt, ob er sich tatsächlich etwas zuschulden kommen ließ.