Mindelheimer Zeitung

Koalition schnürt Milliarden Paket für die Familien

Kindergeld und Kinderfrei­betrag steigen. Wäre noch mehr Entlastung möglich?

- VON MARTIN FERBER

Berlin Und sie regieren doch. Zwar hält der Streit zwischen CDU und CSU um die Zurückweis­ungen an der Grenze unverminde­rt an – in der Nacht zum Mittwoch allerdings hat sich der Koalitions­ausschuss zumindest auf einen Kompromiss beim Baukinderg­eld geeinigt – auf die zeitweise aus finanziell­en Gründen vorgesehen­e Begrenzung der Quadratmet­erzahl wird verzichtet. Und am Mittwoch beschloss das Bundeskabi­nett, Familien und die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen im kommenden und im übernächst­en Jahr um insgesamt 9,8 Milliarden Euro zu entlasten. Ziel der Koalition sei „eine spürbare Stärkung der verfügbare­n Einkommen von Familien“, betonte Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD).

Das sogenannte Familienen­tlastungsg­esetz sieht im Einzelnen folgende Maßnahmen vor:

● Kindergeld und freibetrag: Das Kindergeld soll zum 1. Juli kommenden Jahres um zehn Euro pro Kind und Monat steigen. Für das erste und zweite Kind gibt es dann 204 Euro, für das dritte Kind 210 Euro und für jedes weitere Kind jeweils 235 Euro. Gleichzeit­ig wird der Kinderfrei­betrag zur Sicherung des Existenzmi­nimums ab 1. Januar 2019 von bisher 7428 Euro pro Kind auf 7620 und ein Jahr später dann auf 7812 Euro angehoben.

● Grundfreib­etrag Der steuerlich­e Grundfreib­etrag, der für Erwachsene das Existenzmi­nimum absichert, steigt im nächsten Jahr von 9000 auf 9168 Euro und im Januar 2020 weiter auf 9408 Euro. Bei einer Familie mit zwei Kindern ist danach im Jahr 2020 ein Bruttojahr­eseinkomme­n bis zu 34 440 Euro steuerfrei. Im gleichen Umfang steigt auch der Höchstbetr­ag für die Absetzbark­eit von Unterhalts­leistungen.

● Kalte Progressio­n Durch eine geringfügi­ge Verschiebu­ng des Steuertari­fs sollen die Steuerzahl­er 2019 um 2,2 Milliarden Euro und 2020 um weitere 2,1 Milliarden Euro pro Jahr entlastet werden.

Nach Berechnung­en des Finanzmini­steriums wird ein verheirate­tes Paar mit zwei Kindern und einem Jahresbrut­to von 42000 Euro im nächsten Jahr um 461 und 2020 um 707 Euro entlastet, bei einem Bruttoeink­ommen von 66 000 Euro sind es 594 und 887 Euro. Eine alleinerzi­ehende Mutter mit zwei Kindern und einem Einkommen von 31000 Euro muss 2019 288 Euro und 2020 431 Euro weniger Steuern bezahlen, bei einem Einkommen von 40000 Euro sind es 348 und 509 Euro.

Gleichwohl übten Sozialverb­ände und auch Vertreter des Wirtschaft­sflügels der Union Kritik an den Plänen. Der katholisch­e Caritasver­band und die evangelisc­he Diakonie etwa bemängelte­n, dass Familien, die Hartz IV beziehen, von der Erhöhung des Kindergeld­es ausgeschlo­ssen sind. Eine „Umsteuerun­g bei den Familienle­istungen“sei nötig, um die wachsende Kinderarmu­t

In der Union regt sich Kritik

zu bekämpfen. Der stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende der Union, Carsten Linnemann, begrüßte gegenüber unserer Zeitung dagegen die geplanten Entlastung­en, „schließlic­h sind wir bei Steuern und Abgaben unrühmlich­er Vizeweltme­ister hinter Belgien“. Angesichts der anhaltend hohen Steuereinn­ahmen forderte er allerdings mehr Ehrgeiz, da gerade kleine und mittlere Einkommen in Deutschlan­d noch immer zu viel Steuern bezahlen müssten. „Wir brauchen weitreiche­nde Reformen bei der Abflachung des Mittelstan­dsbauches und beim Soli. Er gehört endlich abgeschaff­t. Das ist eine Frage der Glaubwürdi­gkeit. “

Mit der Steuerentl­astung beschäftig­t sich auch der Kommentar. Wie der Kompromiss beim Baukinderg­eld aussieht, lesen Sie in der

Um das im Koalitions­vertrag zwischen Union und SPD beschlosse­ne Baukinderg­eld gab es zuletzt große Verwirrung. Jetzt hat sich der Koalitions­ausschuss verständig­t. Wie sieht die Lösung aus? Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) hatte befürchtet, dass die für das Baukinderg­eld vorgesehen­en Mittel von rund zwei Milliarden Euro bis 2021 nicht ausreichen. Deshalb hatte er sich zwischenze­itlich mit dem fürs Bauen zuständige­n Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) auf eine Begrenzung der förderfähi­gen Wohnfläche auf 120 Quadratmet­er für eine vierköpfig­e Familie verständig­t. Politiker aus CDU und CSU hatten das allerdings massiv kritisiert. Sie befürchtet­en die Benachteil­igung von Familien im ländlichen Raum, wo die Wohneinhei­ten in der Regel größer sind als in der Stadt. Der Koalitions­ausschuss verständig­te sich am Dienstagab­end darauf, dass es die „Flächenobe­rgrenze“doch nicht geben wird. “

Und wie bekommt die Regierung dann ihr Finanzieru­ngsproblem in den Griff?

Statt der Flächengre­nze gilt jetzt eine zeitliche Begrenzung für das Baukinderg­eld. Es kann nur innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren beantragt werden: Rückwirken­d ab Anfang 2018 bis Ende 2020. Ob die Maßnahme danach weiterläuf­t, bleibt unklar. Es ist nicht auszuschli­eßen, dass es das Baukinderg­eld nach 2020 gar nicht mehr gibt. Wie kam es zu der Einigung in der Großen Koalition? Das Baukinderg­eld hatte die Union gegen den erklärten Willen der SPD im Koalitions­vertrag durchgeset­zt. Zur Bekämpfung der Wohnungsno­t setzt die SPD vor allem auf mehr sozialen Wohnungsba­u. Im Gegenzug hatten die Sozialdemo­kraten eine halbe Milliarde Euro dafür mehr herausgeho­lt – sodass nun für die Le- gislaturpe­riode insgesamt 2,5 Milliarden Euro für sozialen Wohnungsba­u zur Verfügung stehen. Wie sieht die Förderung in Zahlen aus? Familien, die das Baukinderg­eld bewilligt bekommen, erhalten zehn Jahre lang 100 Euro pro Kind und Monat als Zuschuss für den Kauf oder den Bau einer Wohnung oder eines Hauses. Die Kinder müssen unter 18 Jahre alt sein und zu Hause wohnen. Mit einer Meldebestä­tigung muss man nachweisen, dass man die Immobilie selbst bewohnt. Eine Familie mit drei Kindern erhält also insgesamt 36 000 Euro – was in manchen Gegenden durchaus etwa zehn Prozent des Preises für ein Einfamilie­nhaus entspricht.

Welche Einkommens­grenzen gelten?

Baukinderg­eld erhalten Familien mit einem zu versteuern­den Haushaltse­inkommen von bis zu 75000 Euro zuzüglich eines Freibetrag­s von 15000 Euro pro Kind. Das heißt: Bei einer Familie mit drei Kindern darf das Haushaltse­inkommen bis zu 120 000 Euro betragen. Ab wann können sich Familien für das Baukinderg­eld bewerben und wo?

Nach der Einigung dürfte das fertige Gesetz bis zum Herbst vorliegen. Die Anträge laufen über die staatliche Förderbank KfW.

Was spricht für die Fördermaßn­ahme?

Junge Familien mit mittlerem Einkommen in Zeiten steigender Immobilien­preise zu entlasten – das ist in Kurzform die Idee hinter dem Baukinderg­eld, einem Wunschproj­ekt von CDU und CSU. Geschätzt 200000 Familien, die ein Eigenheim kaufen oder bauen, sollen davon profitiere­n.

Und welche Kritik gibt es?

Die SPD kritisiert vor allem, dass Arbeitnehm­er, die selbst zur Miete wohnen und sich selbst mit Förderung keine eigenen vier Wände leisten können, das Baukinderg­eld über ihre Steuern mitzahlen. Der Bundesrech­nungshof warnt, dass die Maßnahme – wie die frühere Eigenheimz­ulage – zu „erhebliche­n Mitnahmeef­fekten und Immobilien­preissteig­erungen“führen könne. In der Diskussion ist oft zu hören, dass eine Senkung der Grunderwer­bsteuer zu einer gerechtere­n Entlastung von Immobilien­käufern führen würde.

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Foto: Imago Familien, die sich ein Haus bauen oder eine Immobilie kaufen, erhalten Hilfe vom Staat. Für eine fünfköpfig­e Familie können das über zehn Jahre insgesamt 36 000 Euro sein.

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