Mindelheimer Zeitung

Wenn Schilder verschwind­en

- VON LEONIE KÜTHMANN Archivfoto: Manuela Bauer VON JOHANN STOLL johann.stoll@mindelheim­er zeitung.de

Mindelheim Willi ist eher ein gemütliche­r Typ. Mit seinen 1,82 Meter lässt er sich so schnell nicht aus der Ruhe bringen. Deswegen blickt der Fünfjährig­e auch dem Frundsberg­fest entspannt entgegen. Willi ist ein Percheron, eine Pferderass­e des Typs Kaltblut. Willis Huf ist so groß wie ein normaler Teller und könnte einen solchen leicht zertreten. Trotzdem muss man vor dem Wallach keine Angst haben: „Der hat ein ganz ruhiges Gemüt – deshalb haben wir ihn damals auch gekauft, sogar noch roh“, erzählt Robert Mutzel.

Willi gehört ihm seit vergangene­m Jahr. Der Fünfjährig­e teilt seinen Stall mit den zwei anderen Pferden der Familie Mutzel, Gustl und Paula, und einem Einstellpf­erd.

Die drei wirken neben Willi schon fast klein. 1,74 Meter Stockmaß hat Gustl, bei Paula sind es nur 1,65 Meter. Die Stute ist zwar die Kleinste, trotzdem aber die Chefin in der Herde. Und mit ihren 15 Jahren die Erfahrenst­e im Trio: „Auf die Paula kann man sich immer verlassen, die macht alles“, sagt Robert Mutzel. Die ganze Familie Mutzel, Roberts Frau Birgit und die drei Kinder Maxi, Katharina und Fabio, sind Paula schon geritten und immer hat sie ihren Job erledigt. Gustl und Willi machen diesen ebenso zuverlässi­g, haben aber nicht so oft andere Reiter auf dem Rücken: „Den Gustl reite ich am liebsten selbst“, verrät Robert Mutzel und lacht.

Ob Leonhardir­itte, Hochzeiten oder das Frundsberg­fest, ob Apfeltrach, Balzhausen oder Mindelheim: Gustl und seine zwei Stallmitbe­wohner machen alles überall mit einer stoischen Ruhe. Nervöses Getänzel oder unruhiges Kopfschütt­eln? Gibt es nicht. „Und die haben nicht einmal Scheuklapp­en an“, betont Robert Mutzel. In anderen Sparten des Reitsports tragen die Pferde teilweise Ohrstöpsel, damit sie weniger laute Geräusche hören und entspannte­r sind. Robert Mutzels Pferde brauchen das nicht. Die seien immer brav, betont der stolze Besitzer und zeigt ein Bild von Willi mit drei Mädchen auf dem Rücken – ohne Sattel.

Damit jeder Umzug reibungslo­s funktionie­rt, trainieren die Mutzels regelmäßig mit ihren Pferden: „Das fängt schon mit der Bodenarbei­t an“, erklärt der 50-Jährige. Während des Trainings läuft immer Musik mit, damit die Pferde sich an eine laute Atmosphäre gewöhnen. Zweibis dreimal pro Woche wird mit der Kutsche trainiert, denn auch das gehört zum Repertoire. Und wenn er ehrlich ist, gibt Robert Mutzel zu, „macht mir das sogar bisschen mehr Spaß als das Reiten“. Erst neulich ist er mit seinen Pferden zum ersten Mal in einer Halle gefahren – und war begeistert von deren Verhalten: „Als hätten sie das schon immer gemacht!“

Das ist das Ergebnis des guten Trainings, da ist sich Robert Mutzel sicher: „Ich denke, man kann jedes Pferd soweit bringen, dass es solche Sachen brav mitmacht.“Das aber erfordere Zeit und Geduld.

Nicht alle Pferde, die bei solchen Umzügen mitlaufen, sind so gelassen wie die Kaltblüter der Mutzels. Auch beim Frundsberg­fest kommt es schon mal vor, dass eines der Pferde nicht so will. Robert Mutzel hat damit schon Erfahrung, er ist seit 2012 alleine für die Reiter und Reitpferde bei den Festumzüge­n zuständig: „Wir reiten am Kreisbauho­f los und spätestens an der Bahnhofstr­aße merkt man, wie die Pferde drauf sind.“Ist eines zu nervös, schickt der 50-Jährige den Reiter wieder zum Bauhof. Denn haben die Pferde mal das Obere Tor passiert, gibt es kein Zurück. Dann müssen alle brav und gelassen das Programm durchziehe­n.

Das gilt auch für die Gespanne. Doch die Tiere, die vor die Wägen gespannt werden, sind ebenfalls Profis: „Das sind alles Pferde, die solche Umzüge kennen und entspreche­nd trainiert sind“, sagt der ehemalige Vorsitzend­e des Festrings, Hermann Schuster. Außerdem würden die Fahrer die Pferde entspreche­nd auf den Festzug vorbereite­n. Laut Schuster reiten viele der Fahrer ihre Pferde zuhause noch einmal, bevor sie nach Mindelheim zum Festzug fahren: „Ich kenne sogar einen Teilnehmer, der vormittags vor dem Festzug noch auf ein Turnier fährt, wenn es in der Nähe eines gibt.“Danach seien die Pferde dann ohnehin entspreche­nd gelassen.

Aber auch die Fuhrmänner müssen laut Hermann Schuster entspreche­nde Qualifikat­ionen mitbringen: „Es gibt einen sogenannte­n Kutschenfü­hrerschein und den müssen alle haben.“

Die meisten seien ohnehin schon seit mehreren Generation­en dabei und ebenso erfahren wie die Pferde. Trotz dieser „Stammmanns­chaft“, wie Schuster sie nennt, kommt es manchmal zu Ausfällen: „Gerade dieses Jahr gab es viele Fohlen. Dann kann die Mutterstut­e natürlich nicht beim Festzug mitlaufen und wir müssen Ersatz finden.“

Dann haben Neulinge ihren großen Auftritt. Auch Willi ist dieses Jahr zum ersten Mal dabei. „Der macht das völlig ruhig“, ist sich Robert Mutzel sicher und streichelt dem riesigen Tier über die Nase. Den interessie­rt das nicht so richtig. Seelenruhi­g steht Willi da. Erst als es im Stall raschelt, spitzt er kurz die Ohren: Abendessen.

Mein erstes Frundsberg­fest, das ich bewusst miterlebt habe, war in den 00er Jahren. Es waren unvergessl­iche Eindrücke: die unfassbar schönen Gewänder, die stimmungsv­ollen Lager der Landsknech­te, die Musikgrupp­en mit Renaissanc­emusik, die werkelnden Handwerker und die vielen tausend Menschen, die die schöne Kulisse der Altstadt genossen und gemeinsam feierten. Es war fasziniere­nd, mit welchem Aufwand die Mindelheim­er ihre Zeitreise inszeniert­en. Aber da war noch etwas: das Verschwind­en der Verkehrssc­hilder. Gestern hat mich ein Jutesack mit zwei Stricken wieder daran erinnert. Eigentlich wäre es doch schön, wenn wir auch in den Nicht-Frundsberg­wochen die Schilder aus der Altstadt verbannen könnten. Und alle, die ihre Blechkaros­sen irgendwo wild abstellen, sperrt die Stadtwache eine Stunde lang in den Holzkäfig. Gut, da geht jetzt die Fantasie mit mir durch. Wir wünschen allen Mindelheim­ern und Gästen ein wunderschö­nes Frundsberg­fest!

Robert Mutzels Pferde sind Profis

 ??  ?? Sind die Pferde – egal, ob geritten oder gefahren – mal auf Höhe der Bäckerei Fäßler angekommen, müssen sie brav sein. Denn zurückreit­en geht ab dem Oberen Tor nicht mehr.
Sind die Pferde – egal, ob geritten oder gefahren – mal auf Höhe der Bäckerei Fäßler angekommen, müssen sie brav sein. Denn zurückreit­en geht ab dem Oberen Tor nicht mehr.
 ?? Foto: Stoll ?? Jute statt Blech: In Mindelheim werden gerade wieder die Verkehrssc­hilder ver steckt.
Foto: Stoll Jute statt Blech: In Mindelheim werden gerade wieder die Verkehrssc­hilder ver steckt.
 ?? Foto: lekkü ?? Robert Mutzel und „Willi“zuhause im Stall
Foto: lekkü Robert Mutzel und „Willi“zuhause im Stall
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany