Wenn Schilder verschwinden
Mindelheim Willi ist eher ein gemütlicher Typ. Mit seinen 1,82 Meter lässt er sich so schnell nicht aus der Ruhe bringen. Deswegen blickt der Fünfjährige auch dem Frundsbergfest entspannt entgegen. Willi ist ein Percheron, eine Pferderasse des Typs Kaltblut. Willis Huf ist so groß wie ein normaler Teller und könnte einen solchen leicht zertreten. Trotzdem muss man vor dem Wallach keine Angst haben: „Der hat ein ganz ruhiges Gemüt – deshalb haben wir ihn damals auch gekauft, sogar noch roh“, erzählt Robert Mutzel.
Willi gehört ihm seit vergangenem Jahr. Der Fünfjährige teilt seinen Stall mit den zwei anderen Pferden der Familie Mutzel, Gustl und Paula, und einem Einstellpferd.
Die drei wirken neben Willi schon fast klein. 1,74 Meter Stockmaß hat Gustl, bei Paula sind es nur 1,65 Meter. Die Stute ist zwar die Kleinste, trotzdem aber die Chefin in der Herde. Und mit ihren 15 Jahren die Erfahrenste im Trio: „Auf die Paula kann man sich immer verlassen, die macht alles“, sagt Robert Mutzel. Die ganze Familie Mutzel, Roberts Frau Birgit und die drei Kinder Maxi, Katharina und Fabio, sind Paula schon geritten und immer hat sie ihren Job erledigt. Gustl und Willi machen diesen ebenso zuverlässig, haben aber nicht so oft andere Reiter auf dem Rücken: „Den Gustl reite ich am liebsten selbst“, verrät Robert Mutzel und lacht.
Ob Leonhardiritte, Hochzeiten oder das Frundsbergfest, ob Apfeltrach, Balzhausen oder Mindelheim: Gustl und seine zwei Stallmitbewohner machen alles überall mit einer stoischen Ruhe. Nervöses Getänzel oder unruhiges Kopfschütteln? Gibt es nicht. „Und die haben nicht einmal Scheuklappen an“, betont Robert Mutzel. In anderen Sparten des Reitsports tragen die Pferde teilweise Ohrstöpsel, damit sie weniger laute Geräusche hören und entspannter sind. Robert Mutzels Pferde brauchen das nicht. Die seien immer brav, betont der stolze Besitzer und zeigt ein Bild von Willi mit drei Mädchen auf dem Rücken – ohne Sattel.
Damit jeder Umzug reibungslos funktioniert, trainieren die Mutzels regelmäßig mit ihren Pferden: „Das fängt schon mit der Bodenarbeit an“, erklärt der 50-Jährige. Während des Trainings läuft immer Musik mit, damit die Pferde sich an eine laute Atmosphäre gewöhnen. Zweibis dreimal pro Woche wird mit der Kutsche trainiert, denn auch das gehört zum Repertoire. Und wenn er ehrlich ist, gibt Robert Mutzel zu, „macht mir das sogar bisschen mehr Spaß als das Reiten“. Erst neulich ist er mit seinen Pferden zum ersten Mal in einer Halle gefahren – und war begeistert von deren Verhalten: „Als hätten sie das schon immer gemacht!“
Das ist das Ergebnis des guten Trainings, da ist sich Robert Mutzel sicher: „Ich denke, man kann jedes Pferd soweit bringen, dass es solche Sachen brav mitmacht.“Das aber erfordere Zeit und Geduld.
Nicht alle Pferde, die bei solchen Umzügen mitlaufen, sind so gelassen wie die Kaltblüter der Mutzels. Auch beim Frundsbergfest kommt es schon mal vor, dass eines der Pferde nicht so will. Robert Mutzel hat damit schon Erfahrung, er ist seit 2012 alleine für die Reiter und Reitpferde bei den Festumzügen zuständig: „Wir reiten am Kreisbauhof los und spätestens an der Bahnhofstraße merkt man, wie die Pferde drauf sind.“Ist eines zu nervös, schickt der 50-Jährige den Reiter wieder zum Bauhof. Denn haben die Pferde mal das Obere Tor passiert, gibt es kein Zurück. Dann müssen alle brav und gelassen das Programm durchziehen.
Das gilt auch für die Gespanne. Doch die Tiere, die vor die Wägen gespannt werden, sind ebenfalls Profis: „Das sind alles Pferde, die solche Umzüge kennen und entsprechend trainiert sind“, sagt der ehemalige Vorsitzende des Festrings, Hermann Schuster. Außerdem würden die Fahrer die Pferde entsprechend auf den Festzug vorbereiten. Laut Schuster reiten viele der Fahrer ihre Pferde zuhause noch einmal, bevor sie nach Mindelheim zum Festzug fahren: „Ich kenne sogar einen Teilnehmer, der vormittags vor dem Festzug noch auf ein Turnier fährt, wenn es in der Nähe eines gibt.“Danach seien die Pferde dann ohnehin entsprechend gelassen.
Aber auch die Fuhrmänner müssen laut Hermann Schuster entsprechende Qualifikationen mitbringen: „Es gibt einen sogenannten Kutschenführerschein und den müssen alle haben.“
Die meisten seien ohnehin schon seit mehreren Generationen dabei und ebenso erfahren wie die Pferde. Trotz dieser „Stammmannschaft“, wie Schuster sie nennt, kommt es manchmal zu Ausfällen: „Gerade dieses Jahr gab es viele Fohlen. Dann kann die Mutterstute natürlich nicht beim Festzug mitlaufen und wir müssen Ersatz finden.“
Dann haben Neulinge ihren großen Auftritt. Auch Willi ist dieses Jahr zum ersten Mal dabei. „Der macht das völlig ruhig“, ist sich Robert Mutzel sicher und streichelt dem riesigen Tier über die Nase. Den interessiert das nicht so richtig. Seelenruhig steht Willi da. Erst als es im Stall raschelt, spitzt er kurz die Ohren: Abendessen.
Mein erstes Frundsbergfest, das ich bewusst miterlebt habe, war in den 00er Jahren. Es waren unvergessliche Eindrücke: die unfassbar schönen Gewänder, die stimmungsvollen Lager der Landsknechte, die Musikgruppen mit Renaissancemusik, die werkelnden Handwerker und die vielen tausend Menschen, die die schöne Kulisse der Altstadt genossen und gemeinsam feierten. Es war faszinierend, mit welchem Aufwand die Mindelheimer ihre Zeitreise inszenierten. Aber da war noch etwas: das Verschwinden der Verkehrsschilder. Gestern hat mich ein Jutesack mit zwei Stricken wieder daran erinnert. Eigentlich wäre es doch schön, wenn wir auch in den Nicht-Frundsbergwochen die Schilder aus der Altstadt verbannen könnten. Und alle, die ihre Blechkarossen irgendwo wild abstellen, sperrt die Stadtwache eine Stunde lang in den Holzkäfig. Gut, da geht jetzt die Fantasie mit mir durch. Wir wünschen allen Mindelheimern und Gästen ein wunderschönes Frundsbergfest!
Robert Mutzels Pferde sind Profis