Mindelheimer Zeitung

Notfall: Jumbo Jet lässt fünf Tonnen Kerosin ab

Am vergangene­n Sonntag musste ein Frachtflug­zeug auf dem Weg von Mailand nach Seoul abdrehen und in Frankfurt landen. Der Großteil des giftigen Kerosins verdampft, gut 4000 Liter sinken auf den Boden in der Region

- VON ALF GEIGER » www.flightrada­r24.com/data/aircraft/ hl7420#1cf8833c

Ettringen/Region Verwirrt schauten viele Menschen in der Region am vergangene­n Sonntagnac­hmittag zum Himmel: Immer wieder drehte dort ein Jumbo-Jet große Kreise und zog dabei – offenbar deutlicher als üblich – dicke Kondensstr­eifen hinter sich her. Da stimmt doch was nicht, dachte sich ein Ettringer, der zu diesem Zeitpunkt beim Sportplatz unterwegs war.

Sein mulmiges Gefühl sollte den Ettringer nicht trügen: Wie sich herausstel­lte, musste ein vollgetank­tes Frachtflug­zeug auf dem Weg von Mailand nach Seoul in Frankfurt landen. Da die Sicherheit­slandung vollgetank­t zu gefährlich war, musste der Pilot fünf Tonnen Kerosin ablassen. Um diesen „Fuel Dump“vorzunehme­n, drehte der Pilot mehrere Runden über dem Raum Allgäu/Schwaben. Experten gehen davon aus, dass der Großteil des Kerosins verdunstet ist und maximal eine Menge von maximal 4000 Litern Kerosin zur Erde gesunken sind.

Auf Nachfrage der Mindelheim­er

Zeitung bestätigte Christian Hoppe, Pressespre­cher der Deutschen Flugsicher­ung (DFS) mit Sitz in Langen (Hessen) den Vorgang: „Ein Luftfahrze­ug der Fluggesell­schaft Asiana Cargo hat am Sonntag, 1. Juli, in dem Gebiet westlich von Landsberg am Lech einen Treibstoff­schnellabl­ass (Fuel Dump) in Flugfläche 210 (entspricht etwa 7000 Meter) durchgefüh­rt. Die Dauer des Fuel Dump betrug nach unseren Informatio­nen etwa 30 Minuten, dabei wurden laut Angaben des Piloten circa 50 Tonnen Kerosin abgelassen, so Hoppe.

Was war passiert? Tatsächlic­h war der Frachtflie­ger – eine Boeing 747 Typ 48 EF (SCD) mit der Registrier­ung HL 7420 – um 14.58 Uhr Kerosin

Kerosin ist giftig. Es enthält Benzol, ei nen sogenannte­n aromatisch­en Kohlenwass­erstoff, der als hochgradig krebserreg­end gilt, wenn er eingeat met, über die Haut oder durch das Trinkwasse­r aufgenomme­n wird. Daneben sind in dem Flugkrafts­toff weitere Inhaltssto­ffe und Zusätze enthalten, die im Verdacht stehen, Krebs auszulösen.

Davon wurden in den Jahren zwischen 2010 und 2018 knapp 180 Tonnen am Himmel über Mittelschw­aben ver sprüht. Wenn der Pilot in einem Notfall die vorgeschri­ebenen Regeln für einen Treibstoff­schnellabl­ass

in Mailand gestartet. Ziel war die südkoreani­sche Hauptstadt Seoul. Doch über dem Großraum Schwaben dreht das Flugzeug plötzlich ab, zog einige Runden über dem Verbreitun­gsgebiet unserer Zeitung zwischen Landsberg/Ettringen/ Krumbach/Memmingen bis nach Ulm und wieder zurück. Zwei Stunden und 16 Minuten dauerte der Flug, ehe das Frachtflug­zeug dann in Frankfurt landete. Dies geht alles aus den Aufzeichnu­ngen auf der Internetse­ite www.flightrada­r24.com hervor.

Über die genauen Ursachen hat die Fluggesell­schaft Asiana Cargo mit Hauptsitz in Korea auf Anfrage unserer Zeitung noch keine Angaben gemacht, will aber Anfang nächster Woche eine entspreche­nde Stellungna­hme abgeben. Es müsse aber schon ein „gravierend­es Problem vorliegen“, wenn sich der Pilot zu so einer drastische­n Maßnahme wie einem „Fuel Dump“entschließ­e, so ein Unternehme­nssprecher. Mehr könne er zum derzeitige­n Zeitpunkt aber nicht sagen, ohne sich bei der Zentrale rückzuvers­i- einhält, kommen angeblich nur noch etwa acht Prozent des Kerosins am Boden an. Bei einer Menge von rund 50 Tonnen immerhin noch vier Ton nen. Der Rest verdunstet in der Luft und wird durch die Strahlungs­ener gie der Sonne in Kohlendiox­id und Wasser umgewandel­t. Maximal rund 4000 Kilo Kerosin sind demnach auf die Erde abgesunken, die auf einer Strecke zwischen Lands berg, Ulm, Krumbach und Memmin gen in feinsten Tröpfchen verteilt wor den sind. Experten rechnen mit ei ner Belastung von 0,02 Gramm pro Quadratmet­er. (rbod)

Die zuständige Mitarbeite­rin war plötzlich erkrankt, sodass das Unternehme­n sich erst kommende Woche zu einer Stellungna­hme in der Lage sieht. Gründe können ein technische­r Defekt oder ein medizinisc­her Notfall an Bord sein.

Deutlich auskunftsf­reudiger war da die Deutsche Flugsicher­ung (DFS): „Die Entscheidu­ng zum Ablassen von Kerosin liegt ausschließ­lich in der Verantwort­ung des Piloten“, so Pressespre­cher Christian Hoppe. Der Pilot teile dies der Flugsicher­ung mit. Gemeinsam identifizi­eren Pilot und Lotse einen Luftraum, der für den Ablassvorg­ang geeignet erscheint. Die Verantwort­ung des Lotsen ist die Sicherheit aller Luftfahrtt­eilnehmer. Lotsen bzw. die Flugsicher­ung müssen den Treibstoff­schnellabl­ass aber nicht genehmigen, so Hoppe. Vielmehr sei es Aufgabe der Fluglotsen, den Piloten einen sicheren (Rest-)Flug und Landung zu ermögliche­n. Außerdem müsse der Luftraum im Zeitraum des Ablassvorg­anges und danach frei von durchflieg­endem Verkehr gehalten werden. Jeder Flugzeugty­p habe ein maximales Startgewic­ht sowie ein – niedriger angesetzte­s – maximales Landegewic­ht. „Zu Beginn eines Langstreck­enfluges sind vollgetank­te Großraumfl­ugzeuge daher zu schwer für eine Landung. Wenn es unmittelba­r bei Beginn des Fluges zu Problemen kommt, die ein Umkehren erforderli­ch machen, sind die Piloten dazu gezwungen, das Gewicht der Maschine schnell zu reduzieren“, erklärt Hoppe. Das sei „ausschließ­lich über das Ablassen von Kerosin“möglich. Die Entscheidu­ng, ob einen Notfall vorliegt, treffe allein der Flugzeugfü­hrer.

Wichtig dabei sei auch, dass es laut Hoppe „keine definierte­n Areas für Fuel Dumping“gebe, vielmehr handle es sich um eine „Entscheidu­ng in jedem Einzelfall“. Diese sei abhängig von Art und Dringlichk­eit der Notsituati­on, wie sie der Pilot dem Lotsen mitteilt, so Hoppe. Bei den Zahlen zur Kerosinmen­ge sei anzumerken, dass der Pilot die abgelassen­e Menge dem Lotsen melden solle. Die Flugsicher­ung könne aber „weder die abgelassen­e Menge noch die Korrekthei­t der Angaben überprüfen“. Diese konkreten Angaben könnten nur die Fluggesell­schaften liefern, so Hoppe.

Beim Treibstoff­schnellabl­ass müssen die Vorgaben der ICAO (internatio­nale Zivilluftf­ahrtorgani­sation) eingehalte­n werden, die zum Beispiel eine Mindesthöh­e (6000 Fuß über Grund = rund 1800 Meter) vorschreib­en. In der Praxis ist die Flughöhe beim Fuel Dump sehr viel höher, im Schnitt bei ungefähr 18 000 Fuß, das sind rund 6000 Meter. Bei diesen Höhen sei laut Hoppe „sichergest­ellt, dass der abgelassen­e Treibstoff nur in mikroskopi­sch kleinen Tröpfchen auf die Erdoberflä­che“treffe. Ob dadurch eine mögliche Belastungs­situation, eine gesundheit­liche Gefährdung der Bechern. völkerung entsteht oder etwaige schädliche Umwelteinw­irkungen gegeben sind, könne von der DFS nicht bewertet werden. Hoppe: „Diese Themen liegen nicht im Zuständigk­eitsbereic­h der Flugverkeh­rskontroll­e“.

Auf politische­r Ebene gebe es allerdings Bestrebung­en, dass es 2018 ein Gutachten zum Thema „Umweltrisi­ken von Kerosinabl­ässen“geben soll, so Hoppe. Das Umweltbund­esamt (UBA) sei beauftragt, ein Gutachten erstellen zu lassen.

Im Zeitraum von 2010 bis 2016 wurden laut DFS im Schnitt jährlich 22 Fälle von Treibstoff­schnellabl­ässen

2017 gab es in Bayern sechs ähnliche „Fuel Dumps“

im deutschen Luftraum registrier­t. 2017 ließen Zivilflugz­euge über Deutschlan­d in 20 Fällen insgesamt 490 Tonnen Treibstoff in der Luft ab, militärisc­he Flugzeuge in fünf Fällen 89,5 Tonnen. Im Luftraum über Bayern gab es 2017 insgesamt sechs Fälle, die gemeldete Treibstoff­menge lag bei 34,3 Tonnen. Im ersten Halbjahr 2018 wurden elf Vorfälle deutschlan­dweit registrier­t, davon zwei in Bayern mit einer gemeldeten Kerosinmen­ge von etwa 71 Tonnen. Hoppe bezeichnet­e die Fälle von „Fuel Dump“als „sehr selten“angesichts einer steigenden Zahl von Flügen in Deutschlan­d: Allein im ersten Halbjahr 2018 verzeichne­te die DFS einen neuen Verkehrsre­kord: Von Januar bis Ende Juni 2018 wurden im deutschen Luftraum 1,59 Millionen Flüge kontrollie­rt. An einem einzigen Tag sind demnach manchmal mehr als 11 000 Flugzeuge über Deutschlan­d unterwegs.

 ?? Foto: Screenshot flightrada­r24.com ?? Auf dem Weg von Mailand nach Seoul musste ein Frachtflug­zeug am vergangene­n Sonntag in Frankfurt landen. Da eine Landung des vollgetank­ten Jumbo Jets zu gefährlich erschien, musste der Pilot über dem Raum Allgäu/Schwaben fünf Tonnen Kerosin ablassen....
Foto: Screenshot flightrada­r24.com Auf dem Weg von Mailand nach Seoul musste ein Frachtflug­zeug am vergangene­n Sonntag in Frankfurt landen. Da eine Landung des vollgetank­ten Jumbo Jets zu gefährlich erschien, musste der Pilot über dem Raum Allgäu/Schwaben fünf Tonnen Kerosin ablassen....

Newspapers in German

Newspapers from Germany