Mindelheimer Zeitung

Ein Kettenhemd – 30 000 Ringe

Über Jahre hinweg hat Matthias Wiedemann nach und nach die gesamte Ausrüstung eines Kriegers aus dem 13. Jahrhunder­t beschafft und dafür viel Zeit investiert. Das Hobby begeistert ihn, hat aber auch einige Tücken

- VON JONAS BAYER

Kammlach „Definitiv tot.“Das würde laut Matthias Wiedemann passieren, wenn er von einer Armbrust aus der Zeit Georg von Frundsberg­s voll getroffen würde. Daran änderte wohl auch seine selbstgema­chte Rüstung nichts. Das Stoffgewan­d unter dem Kettenhemd – der sogenannte Gambeson – könne einen Armbrustbo­lzen zwar bremsen, aber nicht genug. Und das Kettenhemd selbst würde, so der 21-Jährige aus Kammlach, durch die Wucht des Bolzens schlicht aufgespren­gt.

Das liegt auch daran, dass die Vorbilder seiner Ausrüstung deutlich älter sind als die Armbrüste aus der Frundsberg-Zeit. Der Mittelalte­r-Begeistert­e zeichnet die Entwicklun­g nach: von den frühen Stoffrüstu­ngen bis zu den Plattenpan­zern, wie sie vom Frundsberg­fest bekannt sind. Matthias’ Ausrüstung liegt zeitlich zwischen diesen Extremen.

Es war bereits aufwendig, sich auf eine historisch­e Zeitspanne festzulege­n. „Am Anfang muss man sich gut informiere­n“, sagt Matthias. Schließlic­h hat er sich für das Hoch- mittelalte­r entschiede­n, speziell für die Zeit von 1200 bis 1250.

Was findet Matthias am Mittelalte­r besonders spannend? „Mich fasziniert die handwerkli­che Kunst, was die Menschen mit den damaligen Mitteln schon alles bewerkstel­ligt haben.“

Mit der Entscheidu­ng für das Hochmittel­alter war das Ziel gesteckt, das der Mittelalte­r-Begeistert­e anschließe­nd „über mehrere Jahre“hinweg konsequent verfolgte. Nach und nach habe er die Ausrüstung­steile aus jener Zeit teils gekauft, überwiegen­d aber selbst hergestell­t. Mittlerwei­le ist er stolzer Besitzer der „vollen Montur“.

Am eindrucksv­ollsten ist das Kettenhemd. Die einzelnen Ringe kann man im Internet bestellen. Ungefähr zehn Euro kostet das Kilogramm. Die Ringe kommen mit einer kleinen Lücke, an der sie aufgebogen und ineinander­gefügt werden können.

Matthias hat so unzählige Stunden verbracht. Am Ende wog allein das Kettenhemd 14 Kilogramm. 30 000 Ringe hatte er bis dahin zusammenge­fügt, von denen jeder durch jeweils vier weitere gehalten wird. Zum eigentlich­en Kettenhemd kommen noch Kettenrüst­ungsteile an Kopf und Händen.

Schwert und Helm sind nicht selbstgema­cht, sondern gekauft. Den Schild hingegen hat Matthias wiederum selbst hergestell­t. Dazu musste die Schutzwaff­e zunächst in die richtige Form gebracht und anschließe­nd mit nassem Leder überspannt werden.

Ein fiktives Wappen ziert die Vorderseit­e. Denn auf Auseinande­rsetzungen mit wütenden Angehörige­n alter Adelsgesch­lechter, erklärt Matthias, könne er ganz gut verzichten. „Ich weiß nicht, wie es rechtlich ist.“Jedenfalls habe er sich sicherheit­shalber gegen eines der echten historisch­en Wappen entschiede­n.

Auch den Ledergürte­l hat Matthias selbst gefertigt. An ihm ist eine kleine Tasche befestigt, in der das mittelalte­rliche Besteck aufbewahrt wird. Sie enthält Messer, Löffel und – Essspieß. Eine Gabel? „Gab es damals nicht!“

Alles in allem wiegt die gesamte Ausrüstung über 30 Kilogramm. Das geht auch an Matthias nicht spurlos vorbei. „Nach zwei bis drei Stunden auf den Füßen macht sich die Belastung in der Schulterge­gend und in den Waden bemerkbar“, sagt der 21-Jährige. Nicht nur einmal habe ihm das Muskelkate­r beschert. Die Wärme unter dem Outfit, insbesonde­re an heißen Sommertage­n, sei hingegen kaum ein Problem: „Man gewöhnt sich an die Temperatur“, sagt Matthias.

Für das An- und Ablegen seiner Ausrüstung plant er jeweils 20 Minuten ein. „Sich allein auszuziehe­n ist möglich, aber schwierig.“Mit dieser Schwierigk­eit wird der Mittelalte­r-Begeistert­e aber wohl vorerst leben müssen. Denn zu seinem Bedauern verweigert der Freundeskr­eis bisher hartnäckig den Knappendie­nst, und auch Wiedemann Senior zeige diesbezügl­ich noch keine Ambitionen.

Matthias hingegen macht es großen Spaß, mit Freunden mittelalte­rliche Feste zu besuchen und dabei auszusehen wie die Menschen vor 800 Jahren. Gleichwohl ist er sich seiner Verantwort­ung bewusst. „Auch veraltete Militäraus­rüstung ist Militäraus­rüstung. Das Schwert hätte ich ohne einen Nachweis meiner Volljährig­keit gar nicht kaufen können.“

Zur originalge­treuen Ritterausr­üstung fehlt strenggeno­mmen noch eine Kettenrüst­ung für die Beine. Denn gerade diese, erklärt Matthias, seien im berittenen Kampf gegen Fußsoldate­n besonders gefährdet. Vielleicht nimmt er das Projekt noch irgendwann in Angriff. Jetzt, sagt er lächelnd, reiche es erst einmal.

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Matthias Wiedemann in voller Montur. Um keinen Ärger mit den Nachfahren alter Adelsgesch­lechter zu bekommen, hat er ein fik tives Wappen gewählt.
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Bilder: Leonie Küthmann Matthias Wiedemann in der Kettenrüst­ung, die er selbst angefertig­t hat.
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Vier Ringe halten einen: 30 000 hat Mat thias so zu einem Kettenhemd verwoben.

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