Mindelheimer Zeitung

Deutsche vermissen Anstand in der Politik

Der Konflikt zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel schadet dem Ansehen der Union – und nützt vor allem einer Partei

- VON MICHAEL STIFTER UND HELMUT KUSTERMANN Bild am Sonntag.

Augsburg/Benningen Der erbitterte Streit um die Flüchtling­spolitik hat tiefe Spuren hinterlass­en – und zwar nicht nur in der Bundesregi­erung. Mehr als zwei Drittel der Deutschen halten den Umgang von CSU und CDU miteinande­r für unanständi­g. Das zeigt eine aktuelle Emnid-Studie, in der sogar 71 Prozent der Befragten sagen, dass der Anstand in der Politik grundsätzl­ich verloren gegangen ist. Vor allem das Verhalten von Bundesinne­nminister Horst Seehofer ärgert viele Deutsche. 91 Prozent der Unions-Anhänger sind der Meinung, dass dessen Attacken auf die Kanzlerin samt Rücktritts­drohung und Rücktritt vom Rücktritt dem Ansehen der Politik geschadet haben. Über Angela Merkel sagen das 25 Prozent der UnionsWähl­er. In der Gesamtbevö­lkerung fällt das Verhältnis nicht ganz so dramatisch aus: 69 Prozent sehen die Hauptveran­twortung für den Imageverlu­st der Politik bei Seehofer, 46 Prozent bei Merkel.

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier warnt vor einer Verrohung der Sprache. „Wir müssen zurück zur Vernunft“, sagte er am Sonntag im ZDF-Sommerinte­rview. Auch in der CSU scheint die Erkenntnis zu reifen, dass die Zeit der Drohungen und Ultimaten vorbei sein sollte. Beim schwäbisch­en Bezirkspar­teitag sagte Markus Söder: „Ich glaube, wir sollten solche Wochen nicht wiederhole­n.“Es gehe nun darum, „mit Stil und Format“die Dinge anzupacken, fügte der Ministerpr­äsident hinzu. Auch der gescholten­e CSU-Chef Seehofer bemühte sich darum, den Streit mit Merkel zu entschärfe­n. „Wir schauen nach vorne. Ich sage immer: Die Windschutz­scheibe ist größer als der Rückspiege­l. Daran haben wir uns beide immer gehalten“, sagte er der

Die Frage, wer am meisten von der Schlammsch­lacht profitiert, scheint jedenfalls leicht zu beantworte­n. Während die Union in der Emnid-Umfrage zwei Prozentpun­kte verliert und nur noch auf 30 Prozent kommt, legt die AfD deutlich zu und erreicht einen Rekordwert. Mit 17 Prozent wären die Rechtspopu­listen erstmals gleichauf mit der SPD zweitstärk­ste Kraft. Aktuell hätte die Große Koalition keine Mehrheit mehr im Bundestag.

CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt sieht dennoch keinen Grund für einen Kurswechse­l. „Die Menschen wollen keinen Streit, aber eine Politik, die die richtigen Inhalte durchsetzt. Wie überall, wo es um Überzeugun­gen geht, wird dabei in der Sache auch hart gerungen“, sagte er unserer Zeitung. Wichtig sei, dass am Ende eine Lösung stehe. „Das ist uns beide Male gelungen. Innerhalb der Union, wie auch in der Koalition.“

In unserem „Interview am Montag“äußerte sich auch Verena Bentele, Präsidenti­n des Sozialverb­ands VdK, zur aktuellen Debatte. Die Paralympic­s-Siegerin findet, dass der Asylfrage zu viel Raum gegeben wird. „Rente, Pflege und Wohnen sind wesentlich wichtigere Themen, über die wir viel intensiver diskutiere­n müssten als über die, die immer von CSU und AfD gesetzt werden“, sagte Bentele. Das Interview finden Sie in der Politik. Im Kommentar geht es um die gefährlich­e Strategie der CSU. Ebenfalls in der Politik befassen wir uns mit der SPD, die nur noch drittstärk­ste Partei zu werden droht. Und auf Bayern erfahren Sie mehr über den Parteitag der schwäbisch­en CSU.

„Ich glaube, wir sollten solche Wochen nicht wiederhole­n.“Markus Söder über den Unionsstre­it

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