Deutsche vermissen Anstand in der Politik
Der Konflikt zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel schadet dem Ansehen der Union – und nützt vor allem einer Partei
Augsburg/Benningen Der erbitterte Streit um die Flüchtlingspolitik hat tiefe Spuren hinterlassen – und zwar nicht nur in der Bundesregierung. Mehr als zwei Drittel der Deutschen halten den Umgang von CSU und CDU miteinander für unanständig. Das zeigt eine aktuelle Emnid-Studie, in der sogar 71 Prozent der Befragten sagen, dass der Anstand in der Politik grundsätzlich verloren gegangen ist. Vor allem das Verhalten von Bundesinnenminister Horst Seehofer ärgert viele Deutsche. 91 Prozent der Unions-Anhänger sind der Meinung, dass dessen Attacken auf die Kanzlerin samt Rücktrittsdrohung und Rücktritt vom Rücktritt dem Ansehen der Politik geschadet haben. Über Angela Merkel sagen das 25 Prozent der UnionsWähler. In der Gesamtbevölkerung fällt das Verhältnis nicht ganz so dramatisch aus: 69 Prozent sehen die Hauptverantwortung für den Imageverlust der Politik bei Seehofer, 46 Prozent bei Merkel.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt vor einer Verrohung der Sprache. „Wir müssen zurück zur Vernunft“, sagte er am Sonntag im ZDF-Sommerinterview. Auch in der CSU scheint die Erkenntnis zu reifen, dass die Zeit der Drohungen und Ultimaten vorbei sein sollte. Beim schwäbischen Bezirksparteitag sagte Markus Söder: „Ich glaube, wir sollten solche Wochen nicht wiederholen.“Es gehe nun darum, „mit Stil und Format“die Dinge anzupacken, fügte der Ministerpräsident hinzu. Auch der gescholtene CSU-Chef Seehofer bemühte sich darum, den Streit mit Merkel zu entschärfen. „Wir schauen nach vorne. Ich sage immer: Die Windschutzscheibe ist größer als der Rückspiegel. Daran haben wir uns beide immer gehalten“, sagte er der
Die Frage, wer am meisten von der Schlammschlacht profitiert, scheint jedenfalls leicht zu beantworten. Während die Union in der Emnid-Umfrage zwei Prozentpunkte verliert und nur noch auf 30 Prozent kommt, legt die AfD deutlich zu und erreicht einen Rekordwert. Mit 17 Prozent wären die Rechtspopulisten erstmals gleichauf mit der SPD zweitstärkste Kraft. Aktuell hätte die Große Koalition keine Mehrheit mehr im Bundestag.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sieht dennoch keinen Grund für einen Kurswechsel. „Die Menschen wollen keinen Streit, aber eine Politik, die die richtigen Inhalte durchsetzt. Wie überall, wo es um Überzeugungen geht, wird dabei in der Sache auch hart gerungen“, sagte er unserer Zeitung. Wichtig sei, dass am Ende eine Lösung stehe. „Das ist uns beide Male gelungen. Innerhalb der Union, wie auch in der Koalition.“
In unserem „Interview am Montag“äußerte sich auch Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, zur aktuellen Debatte. Die Paralympics-Siegerin findet, dass der Asylfrage zu viel Raum gegeben wird. „Rente, Pflege und Wohnen sind wesentlich wichtigere Themen, über die wir viel intensiver diskutieren müssten als über die, die immer von CSU und AfD gesetzt werden“, sagte Bentele. Das Interview finden Sie in der Politik. Im Kommentar geht es um die gefährliche Strategie der CSU. Ebenfalls in der Politik befassen wir uns mit der SPD, die nur noch drittstärkste Partei zu werden droht. Und auf Bayern erfahren Sie mehr über den Parteitag der schwäbischen CSU.
„Ich glaube, wir sollten solche Wochen nicht wiederholen.“Markus Söder über den Unionsstreit