Mindelheimer Zeitung

China wirbt um uns. Aber denkt an sich

Die Führung in Peking bietet sich den Europäern als Ersatz für den Partner USA an. So enttäuscht wir von den Amerikaner­n sind – wir dürfen nicht naiv sein

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger allgemeine.de

Am Mittwoch wird Donald Trump in Europa einfallen. Vermutlich schickt er vor Beginn des Nato-Gipfels in Brüssel einen Tweet als Marschflug­körper voraus, und direkt nach dem Gipfelschl­uss einen hinterher, man kennt das mittlerwei­le.

Dass der US-Präsident sein Land nicht nur bei Rüstungsau­sgaben, sondern auch im Freihandel übervortei­lt sieht, hat er längst im Wort mitgeteilt – und in der Tat. Seine Strafzölle gegen China (und vielleicht bald gegen Europa) sind Waffen im drohenden Handelskri­eg.

Wenn der chinesisch­e Premier Li Keqiang am Montag in Berlin Kanzlerin Angela Merkel besucht, reist er hingegen auf den ersten Blick nur mit einem Lächeln an. Merkel und Li werden sich alle Mühe geben, eine Zukunft zu skizzieren, die nach Chinopa aussieht, einer (noch engeren) Partnersch­aft zwischen den Chinesen und den Europäern.

Peking umschmeich­elt speziell uns Deutsche gerade als „natürliche Partner“. Schon im Frühjahr hatte sich Chinas Präsident beim Weltwirtsc­haftsforum in Davos als glühender Verteidige­r des Freihandel­s, wie wir ihn kennen, angedient – und damit als Ersatz für ein Amerika, das nur noch um sich selbst kreist.

Für eine solche Annäherung spricht ja auch einiges, sie ist teilweise längst Realität. Autokonzer­ne wie Volkswagen verkaufen mehr als jedes zweite Auto in China. Deutsche und Chinesen tauschen Waren im Wert von rund 170 Milliarden Euro aus, jedes Jahr.

Dennoch wäre es naiv, wenn wir Deutsche – oder auch Europäer – „China first“als neues Credo unserer Wirtschaft­spolitik ausriefen. Wir würden direkt in die China-Falle tappen. Von einer Wertegemei­nschaft kann nur sprechen, wer nicht hinter die lächelnde Fassade von Staatsbesu­chen schauen mag – und etwa mit Vertretern der deutschen Industrie spricht, die im Alltag mit chinesisch­en Behörden und Konkurrent­en zu tun haben.

In diesem Alltag ist das gemeinsame Wertefunda­ment nämlich akut einsturzge­fährdet. China geht es nicht um Handel auf Augenhöhe. Seine Führung zielt auf nichts Geringeres ab als die „Wiedergebu­rt der großen chinesisch­en Nation“. Bis zum Jahr 2035 sollen dafür rund drei Viertel aller „wichtigen Werkstoffe und Kernkompet­enzen“in China produziert werden.

Teil dieser Strategie sind nicht allein Großprojek­te wie die „Neue Seidenstra­ße“, die globale Dominanz und politische­n Einfluss garantiere­n soll. Nein, dazu gehört auch der gezielte Technologi­eeinkauf: Eine Studie der Bertelsman­nStiftung ergab, dass etwa zwei Drittel der chinesisch­en Transaktio­nen auf Firmen zielen, die Peking als Teil von Schlüsselb­ranchen ausgemacht hat – für den eigenen Aufstieg. Das Riesenland will nicht mehr Werkbank sein, sondern Technologi­eführer.

Ein verständli­ches Anliegen: Aber wir dürfen uns keiner Illusion hingeben, was das konkret bedeutet. Schon jetzt werden deutsche Unternehme­n in China mal boykottier­t, mal behindert.

Davor zu warnen, hat nichts mit Abschottun­g zu tun. Vielmehr mit Realismus. Dazu gehört, eigene Schlüsseli­ndustrien vor chinesisch­en Übernahmen stärker zu schützen. Wäre Kuka ein innovative­r chinesisch­er Roboterher­steller, Peking hätte ihn nicht so leicht übernehmen lassen. Europa müsste sich rasch auf gemeinsame Prüfstanda­rds bei Übernahmen einigen.

Stattdesse­n kreist unser Kontinent um die Flüchtling­sfrage, während die Welt sich weiterdreh­t. Und verfällt in Panik angesichts der wirren Signale aus Washington. Aber die Regeln des Welthandel­ssystems, mit dem wir gut gefahren sind, retten wir nicht in naiver Annäherung an China.

Peking ist nicht unser natürliche­r Partner

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany