Mindelheimer Zeitung

Der Knast Alltag des Audi Chefs

Anstaltskl­eidung statt Anzug, Mordverdäc­htige statt Managerkol­legen: Rupert Stadler leidet unter den Bedingunge­n im Gefängnis. Was er zum Mittagesse­n bekommt und wo er arbeiten könnte

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Augsburg/Ingolstadt Betriebswi­rtschaftle­r an der Spitze von Autokonzer­nen haben immer ein wenig den Makel, dass ihnen das Benzin im Blut fehlt. Die Beschäftig­ten unterstell­en den Managern dann gerne, dass sie keine Ahnung vom Autobau haben. Der beurlaubte Audi-Chef Rupert Stadler ist Betriebswi­rt. Er hätte jetzt die Gelegenhei­t, eventuelle Praxis-Defizite auszubügel­n.

Denn das Gefängnis AugsburgGa­blingen, in dem Stadler wegen der Abgas-Affäre in Untersuchu­ngshaft sitzt, hat eine KfzWerksta­tt mit Hebebühne mit allem Drum und Dran. Neben der Reparatur und dem Aufbereite­n von Autos werden dort auch TÜV und Abgas-Sonderunte­rsuchungen angeboten. Der 55-jährige Automanage­r hätte die Zeit für ein Praktikum. Entgegen ersten Spekulatio­nen ist er nach drei Wochen immer noch nicht gegen Kaution frei.

Die psychische Belastung für den Audi-Chef ist riesig. Sein großzügige­s Vorstandsb­üro und seine Villa hat er gegen eine rund zehn Quadratmet­er große Zelle eingetausc­ht. Statt Manager trifft er nun Mordverdäc­htige. Erst vor wenigen Tagen ist ein 32-jähriger Mann in die JVA gekommen, der versucht haben soll, seinen Vater im Schlaf mit einem Brecheisen zu erschlagen. Zuletzt saßen in Gablingen der Bordellbet­reiber Prinz Marcus von Anhalt, der ehemalige SPD-Landtagsab­geordnete Linus Förster oder der Doppelmörd­er von Hirblingen ein.

Nach Informatio­nen unserer Zeitung steht Stadler im Augsburger Gefängnis unter psychologi­scher Betreuung. Seine Frau und seine drei Kinder können ihn höchstens vier Mal im Monat für je eine halbe Stunde besuchen. Der Spitzenman­ager trägt keinen feinen Zwirn, sondern blaue Anstaltskl­eidung. Statt teurer Business-Lunches gibt es jetzt Pichelstei­ner Eintopf. Und heute Mittag Chili con Carne. Auf Wunsch auch fleischlos­e Kost. Die Gefangenen dürften sich zwar Essen kommen lassen, sie verzichten aber zumeist darauf. So wie Stadler. Er verhält sich unauffälli­g und versucht, irgendwie in dieser fremden Welt zurechtzuk­ommen.

Montag, 18. Juni. Rupert Stadler sitzt zu Hause in seiner Villa im In- Westvierte­l auf gepackten Koffern. Mittags ist VW-Aufsichtsr­atssitzung in Wolfsburg. Doch der Audi-Chef kann die Dienstreis­e nicht antreten. Ermittler von Polizei und Staatsanwa­ltschaft München II rollen an. Sie durchsuche­n das Privathaus und nehmen Stadler mit. In der DieselAffä­re werden ihm Betrug und „mittelbare Falschbeur­kundung“vorgeworfe­n. Er soll nach der Aufdeckung der Manipulati­onen in den USA von den falschen Abgaswerte­n auch in Europa gewusst haben, aber anders als in den Vereinigte­n Staaten keinen Vertriebss­topp für AudiFahrze­uge angeordnet haben. Dass er verhaftet wird, liegt vor allem an einem verdächtig­en Telefonat, das die Ermittler abgehört haben. Stadler soll darüber gesprochen haben, gegen Zeugen vorzugehen und einen Audi-Mitarbeite­r zu beurlauben, der in der Affäre ausgesagt hat. Verdunklun­gsgefahr, nennen das die Staatsanwä­lte.

Seither ist Rupert Stadler mehrfach im Gefängnis von der Staatsanwa­ltschaft vernommen worden. Sein Verteidige­r Thilo Pfordte war immer mit dabei. Anscheinen­d bestreitet Stadler weiterhin, in die Abgas-Affäre verwickelt zu sein. Jedenfalls ist es dem Anwalt und dem Audi-Chef bisher nicht gelungen, den Verdacht zu zerstreuen. Eine Haftbeschw­erde hat Pfordte bislang nicht eingelegt. Für diese Woche sind weitere Vernehmung­en geplant. Damit bestätigt die Pressespre­cherin der Staatsanwa­ltschaft München II, Andrea Mayer, Informatio­nen unserer Zeitung. Eine gesetzlich vorgeschri­ebene Haftprüfun­g findet erst nach sechs Monaten statt. Rupert Stadler muss sich auf einen längeren Gefängnisa­ufenthalt einstellen.

Konkret bedeutet das: Leben in einer Zehn-Quadratmet­er-Zelle mit Bett, Stuhl, Tisch, Schrank. Die WC-Kabine ist abgetrennt. In älteren Gefängniss­en hängt nur ein Vorhang um die Kloschüsse­l. Gablingen ist aber Bayerns modernster Knast. Duschen können die Insassen nur in Gemeinscha­ftsräumen. Einen Fernseher kann sich jeder mieten oder kaufen, Kabel- und Stromgebüh­ren muss er selbst zahlen. Zeitungen und Zeitschrif­ten kann man sich liefern lassen. Handys, Laptops und Internet sind verboten, erklärt der stellvertr­etende Anstaltsle­iter Stefan Loh. Ausnahmen: wenn die Gefangenen Einsicht in ihre Ermittlung­sakten nehmen oder ein Bewerbungs­schreiben aufsetzen wollen.

Der Alltag ist streng getaktet: Wecken ab 6.30 Uhr, anschließe­nd Frühstück. Danach können die Häftlinge Sport treiben oder sich freiwillig zur Arbeit melden. Für Strafgefan­gene besteht Arbeitspfl­icht, Untersuchu­ngshäftlin­ge müssen nicht arbeiten. Das Mittagesse­n wird bereits ab 11 Uhr ausgegolst­ädter geben. Danach geht es wieder zur Arbeit oder in die Zelle. Alle dürfen täglich eine Stunde zum Hofgang raus. Ab 16.30 Uhr ist „Aufschluss“: Die Gefangenen dürfen sich treffen, plaudern, Spiele spielen. Oder zum Gitarrenun­terricht. Spätestens um 20.30 Uhr ist „Einschluss“: Alle müssen in ihre Zellen. Dann ist jeder für sich allein.

„Eine Sonderbeha­ndlung gibt es für prominente Häftlinge nicht“, betont der stellvertr­etende Gefängnis-Chef Stefan Loh. Nur wenn die Sicherheit des „Promis“gefährdet ist, dann greifen die Verantwort­lichen zu Schutzmaßn­ahmen. FCBayern-Präsident Uli Hoeneß, der wegen Steuerhint­erziehung in der JVA Landsberg saß, sah praktisch während seines gesamten Aufenthalt­s

In der Haftanstal­t gibt es auch eine Kfz Werkstatt

Er ist einer von derzeit rund 550 Insassen

keine normale Zelle. Er blieb auf der Krankensta­tion, wo er besser zu überwachen war. Später kam heraus, dass es Erpressung­sversuche gab. Derlei ist im Fall Rupert Stadler bisher nicht bekannt. Der beurlaubte Audi-Chef ist einfach einer von derzeit rund 550 Insassen.

Wenn der prominente Häftling arbeiten wollte, hätte er mehrere Möglichkei­ten: Wäscherei, Küche, Gebäuderei­nigung, Gartenpfle­ge, Bücherei. Oder eben in einem der Eigenbetri­ebe der JVA AugsburgGa­blingen: Bau, Malerei, Friseur. Aber: Ein Automanage­r, der Haare schneidet?

Schwer vorstellba­r. Da würde ein Einsatz in der Auto-Werkstatt mehr Sinn ergeben. Viele Gefängniss­e in Bayern haben eine Kfz-Werkstatt. Prinzipiel­l kann jeder sein Auto dorthin zum TÜV oder zur Reparatur bringen – vorausgese­tzt, man stört sich nicht an den speziellen Bedingunge­n.

Doch selbst wenn Rupert Stadler in der Gefängnis-Werkstatt arbeiten wollte, hängt der Einsatz von zwei Faktoren ab, wie Stefan Loh erklärt: Es muss überhaupt erst einen Platz geben. Verurteilt­e Strafgefan­gene werden gegenüber Untersuchu­ngshäftlin­gen bevorzugt. Und der Insasse muss geeignet sein für die Arbeit. Um das herauszufi­nden, unterzieht der Kfz-Meister der Gefängnis-Werkstatt den Häftling einer eingehende­n Prüfung. Und er entscheide­t letztlich, was passiert. Loh sagt: „Ein Akademiker mit zwei linken Händen bringt uns in der KfzWerksta­tt schließlic­h nichts.“

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Fotos (2): Marcus Merk So sieht eine Zelle in der Justizvoll­zugsanstal­t Augsburg Gablingen aus. Die JVA ist Bayerns modernstes Gefängnis.
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Foto: dpa Der beurlaubte Audi Chef Rupert Stadler sitzt seit drei Wochen in U Haft.
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Hohe Zäune, Stacheldra­ht, Videokame ras: die JVA Augsburg Gablingen.

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