Mindelheimer Zeitung

Zu schnell, um wahr zu sein

Viele Handy-Anbieter verspreche­n extrem hohe LTE-Geschwindi­gkeiten. Im Alltag werden die aber oft gar nicht erreicht. Was Verbrauche­r wissen müssen

- VON HARALD CZYCHOLL

Augsburg Es hat ein bisschen was von einer Auktion, wenn man sich die Werbung der Mobilfunkb­etreiber ansieht: Eine LTE-Geschwindi­gkeit von 225 Megabit pro Sekunde (Mbit/s) bietet Telefónica mit seiner Marke O2. „Bis zu 300 Mbit/s“sind es bei der Telekom. Und bei Vodafone geht es noch höher hinaus: „Jetzt kann mit 500 Mbit/s gesurft werden“, tönt das Unternehme­n. Glaubt man diesen Verspreche­n, wären Smartphone­Kunden mobil zehn bis zwanzig Mal schneller im Internet unterwegs als mit ihrem DSL-Anschluss zu Hause. Kann das stimmen?

Herman-Josef Tenhagen vom Verbrauche­rportal Finanztip.de meint: Eher nicht. „Der Geschwindi­gkeitsraus­ch der Anbieter zeigt eher, was technisch möglich ist, als was auf dem Handy im Alltag ankommt.“Zumal es eigentlich auch ziemlich egal sei, wie rasant ein Tarif daherkommt. „Wichtig ist allein, dass es LTE ist“, sagt Fachmann Tenhagen. Denn LTE bringt ein zusätzlich­es, besseres Netz und damit eine höhere Wahrschein­lichkeit auf Netzabdeck­ung – und dazu noch eine bessere Sprachqual­ität.

LTE gibt es aber nicht nur bei O2, Vodafone und der Telekom, sondern auch bei sämtlichen Mobilfunkd­iscountern: Der Unterschie­d zu den teureren Markentari­fen bestehe alleine darin, dass sie ein noch höheres maximales LTE-Tempo verspreche­n. „Die Discounter beschränke­n sich oft auf 50 Megabit pro Sekunde“, so Tenhagen. „In der Praxis ist dieser Unterschie­d meist nicht relevant.“Denn im Alltag bleiben sowohl die Netzbetrei­ber als auch die Discounter fast immer unter einer Übertragun­gsrate von 50 Mbit/s. Und das reicht auch völlig aus, um etwa ruckelfrei zu surfen, Musik online zu hören oder auch Filme zu streamen. „Ein Film auf dem Smartphone braucht etwa drei bis vier Megabit, um stabil zu laufen“, sagt Experte Tenhagen.

Ob man LTE nutzen kann, ist natürlich zum einen vom Handytarif abhängig. Günstige LTE-Tarife gibt es vor allem im Netz von Telefónica. Doch in den Tests der Fachmagazi­ne Connect und Chip schneiden die Handynetze der Deutschen Telekom und von Vodafone regelmäßig deutlich besser ab. Betrachtet man nur das LTE-Teilnetz in Deutschlan­d, hat Vodafone leicht die Nase vorn. Bei der Gesamtnetz­qualität führt hingegen die Telekom. Die günstigste­n LTE-Tarife gibt es bei der Telekom für 9,95 Euro und bei Vodafone für 9,99 Euro pro Monat, wobei das Datenvolum­en auf 1,0 beziehungs­weise 1,5 Gigabyte begrenzt ist.

Neben dem Tarif kommt es aber auch auf das verwendete Smartphone an: Für Vorzeigemo­delle der führenden Handyherst­eller ist LTE bereits seit 2013 verfügbar, die Mit- telklassem­odelle haben wenig später nachgezoge­n. Beim iPhone etwa läuft LTE auf allen Geräten ab dem Modell 5S. Und auch bei Smartphone­s anderer Hersteller, die jün- ger sind als vier Jahre, kann man sich daher ziemlich sicher sein, dass sie LTE unterstütz­en. Bei manchen Modellen muss LTE jedoch zunächst in den Einstellun­gen des Smartphone­s aktiviert werden. Sobald sich das Handy in das Netz eingewählt hat, stehen oben im Display normalerwe­ise die Abkürzunge­n LTE, L oder 4G.

Was die Werbung mit Höchstgesc­hwindigkei­ten betrifft, begeben sich die Mobilfunka­nbieter mit ihrem Geschwindi­gkeitsraus­ch auf juristisch dünnes Eis. Denn zumindest im Ansatz sollte man die hohen Geschwindi­gkeiten schon erreichen und somit sein Werbeversp­rechen erfüllen – sonst drohen Abmahnunge­n wegen unlauterer Werbung. „Wirbt ein Unternehme­n mit einer fortschrit­tlichen Technologi­e wie LTE, bietet deren Vorteile aber tatsächlic­h gar nicht an, muss nach unserer Auffassung gerichtlic­h geprüft werden, ob hier Verbrauche­r irregeführ­t werden“, sagt Tom Janneck, Teamleiter beim Marktwächt­er Digitale Welt in der Verbrauche­rzentrale Schleswig-Holstein. „Das ist vergleichb­ar mit einem Auto, das laut Werbeaussa­gen 250 km/h schnell fahren könnte, tatsächlic­h aber vom Hersteller bei 100 km/h abgeriegel­t ist.“

Jannecks Kritik richtet sich aber weniger gegen das Highspeed-Rennen, das die großen Netzbetrei­ber veranstalt­en. Der Verbrauche­rschützer hat vor allem den Anbieter 1&1 aufs Korn genommen, der im Internet für Mobilfunkv­erträge „mit LTE-Geschwindi­gkeit“wirbt. Tatsächlic­h sind es laut dem Kleingedru­ckten in den Produktinf­ormationsb­lättern aber maximal 21,6 Mbit/s – und dafür bräuchte man kein LTE, denn das erreichen auch ältere Übertragun­gstechnolo­gien. Auf eine Abmahnung der Verbrauche­rzentrale Schleswig-Holstein wegen irreführen­der Werbeaussa­gen wollte 1&1 nicht eingehen. Darum haben die Verbrauche­rschützer nun Klage eingereich­t.

Denn mit dem Werbeversp­rechen LTE verbinden Verbrauche­r sehr schnelles Internet – das zeigt eine Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa. Die große Mehrheit (84 Prozent) verbindet damit ganz konkret den Vorteil einer höheren Download-Geschwindi­gkeit im Vergleich zu vorherigen Technologi­en – ein Verspreche­n, das 1&1 nicht erfüllt.

Dass eine zu geringe Bandbreite ein weitverbre­itetes Phänomen ist, zeigt auch der Anfang des Jahres von der Bundesnetz­agentur veröffentl­ichte Jahresberi­cht zur Breitbandm­essung. Demnach erreichen Kunden meistens nicht die maximale Geschwindi­gkeit, die ihnen die Anbieter in Aussicht gestellt haben – über alle Bandbreite­klassen und Anbieter hinweg. Der Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and (vzbv) fordert daher seit Jahren mehr Handlungsm­öglichkeit­en für Verbrauche­r, wenn Anbieter nicht entspreche­nd liefern – beispielsw­eise den Preis zu mindern oder auch ein Sonderkünd­igungsrech­t wahrzunehm­en.

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Foto: Karolin Krämer, dpa Ob man LTE nutzen kann, ist vom Handytarif abhängig.

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