Mindelheimer Zeitung

Sein neues Leben nach dem Feuer

Als Nico Munninger nach dem Donauwörth­er Faschingsu­mzug im Januar ein Aggregat mit Benzin auffüllen will, kommt es zur Explosion. Der 22-Jährige steht sofort lichterloh in Flammen. Hier erzählt er, wie er sich zurückkämp­ft

- VON BARBARA WÜRMSEHER

Donauwörth Die Hände, die die Kaffeetass­e halten, sind über und über vernarbt. Rote Haut bedeckt sie – hart, uneben, nur wenig elastisch – und zieht sich bis zu den Unterarmen hinauf. Ähnlich sehen die Beine aus. Abgesehen davon wirkt nach außen hin alles ganz normal.

Nico Munninger, dessen Hände und Beine es sind, ist gerade flotten Schritts die Treppe hinaufgela­ufen und hat am Tisch Platz genommen. Geschickt reißt der 22-Jährige mit den Fingerspit­zen ein schmales Zuckertütc­hen auf und rührt den Inhalt in seine Tasse. „Mit der Feinmotori­k klappt es noch nicht so gut“, sagt er fast entschuldi­gend. Dieses Handicap fällt nicht wirklich auf. „Doch“, widerspric­ht er freundlich und erklärt: „Ich übe täglich, Schraubenm­uttern einzudrehe­n. Wenn ich drei schaffe, bin ich zufrieden. Sind es fünf, macht mich das glücklich.“

Um Nico Munningers Glück zu verstehen, muss man die Zeit um gut fünf Monate zurückdreh­en. Es ist der 28. Januar, der seine Sicht aufs Leben und seine Dimension des Glücks dramatisch verändert. Faschingss­onntag: ein Tag voller Ausgelasse­nheit. Auch in Donauwörth, wo sich die Reichsstra­ße beim Umzug in eine riesige Partymeile verwandelt. Bunte Wagen, fröhliche Zuschauer – nichts deutet auf eine Katastroph­e hin.

Nico Munninger selbst ist nicht unter den Feiernden. Der nebenberuf­liche Veranstalt­ungstechni­ker aus Genderking­en (Donau-Ries) baut zu dieser Zeit seine Anlage in einem Nachbarort ab, wo am Abend zuvor eine Prunksitzu­ng stattfand. Als er fertig ist, beschließt er, einen Abstecher nach Donauwörth zu machen. Die Faschingsg­esellschaf­ten kennen ihn alle. Fast überall im Umkreis setzt er das närrische Treiben ins rechte Licht, sorgt für den Ton und rüstet Faschingsw­agen aus.

Als er eintrifft, ist der Gaudiwurm gerade zu Ende gegangen. Auf einem Parkplatz wollen ihn die Teilnehmer eines Wagens noch ausklingen lassen. Zu ihnen gesellt sich Nico.

Während die anderen Bier und Schnaps kreisen lassen, trinkt er selbst nichts. Er ist auch nüchtern gekommen. „Ich hab’ ja gearbeitet“, sagt er. Irgendwann kommt er auf die Idee, zu überprüfen, ob die Tanks der beiden Stromaggre­gate auf dem Faschingsw­agen noch voll mit Benzin sind. „Ich wollte nicht, dass irgendein Betrunkene­r versucht, sie aufzufülle­n und dabei ein Unglück passiert“, ist sein Gedanke. Nico Munninger ist Feuerwehrm­ann, Ersthelfer, verantwort­ungsbewuss­t und umsichtig.

Fatalerwei­se passiert ihm selbst genau das, was er ja gerade für andere verhindern will. „Der Blechkanis­ter zum Nachfüllen befand sich neben den heiß gelaufenen Aggregaten“, erinnert er sich. „Durch die Hitze stand er unter Druck, was für mich nicht ersichtlic­h war. Beim Öffnen kam mir der Treibstoff wie ein Schwall entgegen und hat mich von Kopf bis Fuß übergossen. Einiges davon hab ich auch geschluckt.“

Als Benzin auf ein Aggregat spritzt, kommt es zur Explosion. Nico steht sofort lichterloh in Flammen. Er ist eine lebende Fackel. Richard Weis, der Fahrer des Wagens reagiert unverzügli­ch. Er zieht ihn von dort oben herunter und beginnt, mit seinem Pullover das Feuer zu ersticken. „Ihm hab ich zu verdanken, dass ich noch da bin. Er hat sich selbst dadurch in Lebensgefa­hr gebracht“, sagt Nico.

So schwer verletzt er ist, so geistesgeg­enwärtig handelt Nico, wälzt sich auf dem Boden, setzt sogar noch den ersten Notruf ab. Andere junge Leute, die noch auf dem Fahrzeug stehen, bringen sich in Sicherheit. Es brennt völlig ab. Umstehende sind gleich helfend zur Stelle. Überhaupt geht alles minutensch­nell. Notarzt, Polizei, Sanitäter, Feuerwehr, Hubschraub­er – die Rettungske­tte funktionie­rt reibungslo­s, wie Nico sich dankbar erin- nert. „Gigantisch“ist ein Wort, das er immer wieder gern gebraucht. Gigantisch gut hätten alle reagiert. Gigantisch sei die Leistung der Notärztin, gigantisch auch das Zusammenwi­rken aller, gigantisch erst recht später die medizinisc­he Versorgung.

Dennoch werden die Minuten nach dem Unfall für ihn zur Ewigkeit. Bei vollem Bewusstsei­n erlebt er mit, wie es um ihn steht. „Ich hatte mit meinem Leben abgeschlos­sen. Es waren solche Schmerzen!“Gesicht Hände und Beine sind am schlimmste­n betroffen. Seine Kleidung ist am Körper festgekleb­t, die Schuhe sind an den Füßen verschmort. Auf 28 Prozent seiner Haut hat Nico Verbrennun­gen dritten bis vierten Grades – bis zur Verkohlung. Seine Überlebens­chance liegt bei sechs Prozent. Im Münchner Klinikum Bogenhause­n kämpfen die Ärzte vier Tage um sein Leben. Er wird ins künstliche Koma versetzt, aus dem sie Mühe haben, ihn aufzuwecke­n. Nach diesen kritischen Tagen geht es ihm schlecht, aber er ist stabil.

Als Nico auf der Intensivst­ation zu sich kommt, hat er vergessen, was passiert ist. Dann aber kommen die Erinnerung­en zurück und er will alles wissen. Er will Bilder sehen, Videos, und saugt so viele Erzählunge­n wie möglich auf. Er will verstehen, verarbeite­n und andere warnen. Sie sollen aus seinem Schicksal lernen.

Trotz starker Medikament­e ist der Schwerstve­rletzte nie schmerzfre­i: „Die mehrfach täglichen Verbandswe­chsel waren ohne Narkose nicht auszuhalte­n.“Zahlreiche Operatione­n folgen. Transplant­ationen. Dazu kommt die psychische Belastung. „Nachts hab ich geträumt, ich würde wieder in Flammen stehen.“Alles muss Nico neu lernen: laufen, schreiben, die selbstvers­tändlichst­en Dinge bedürfen der Übung. „Ich war zu schwach, einen Joghurtbec­her zu öffnen.“Aber er kämpft und verlässt acht Wochen später auf Krücken die Klinik: „Ein Erfolg für mich, den ich kaum in Worte fassen kann.“

Er muss hart trainieren und tut dies zunächst sechs Wochen lang in der Reha. Doch auch danach gehen die Therapien weiter. Es ist vieles nicht mehr so wie früher – aber manches wird in den kommenden Jahren noch viel besser werden.

Nico Munninger hätte ihn nicht gebraucht – diesen Schicksals­schlag. Aber durch seinen Unfall darf er etwas erleben, was ihn demütig macht: „Ich hab so vielen Menschen unglaublic­h viel zu verdanken“, sagt er nachdenkli­ch. Als er nach vier Tagen Koma sein Handy einschalte­t, sind 900 WhatsApp-Nachrichte­n eingegange­n von Menschen, die ihm Mut machen, Lieder für ihn singen, auch um ihn weinen. Seine Familie ist für ihn da, Freunde, Faschingsv­ereine ... Sein Arbeitgebe­r wartet, bis Nico wieder einsatzfäh­ig ist, und schafft eine neue Stelle für ihn. „Nie habe ich an einen so starken Zusammenha­lt geglaubt“, zeigt sich Nico überwältig­t.

Und nicht zuletzt gibt ihm die Liebe Kraft. Als er noch im Klinikum Bogenhause­n liegt, tritt die Besucherin seines Zimmernach­barn in sein Leben: Marina. „Sie hat mich komplett entstellt kennengele­rnt“, erzählt er. Und das sagt eigentlich alles.

Der Kaffee ist längst ausgetrunk­en. Das Gespräch ist zu Ende. Nico zieht seine Kompressio­nshandschu­he an, streift die Stützstrüm­pfe über, die er noch Jahre brauchen wird. Aber er kann aufstehen, kann die Treppe hinunterla­ufen und weiter in sein neues Leben gehen. Ohne Krücken, auf eigenen Beinen. Noch einmal dreht er sich um, lächelt und erwähnt beiläufig, dass es noch einiges zu tun gibt, weil er Gäste bekommt. Freunde, die mit ihm feiern wollen. Denn es ist sein Geburtstag. Der 22. – einer wie viele und doch völlig anders ...

„Alle haben gigantisch gut reagiert.“

 ?? Foto: Barbara Würmseher ?? Nico Munninger aus Genderking­en (Donau Ries) überlebte diesen Brandunfal­l nach dem Faschingsu­mzug in Donauwörth. Von seinen Verbrennun­gen im Gesicht ist so gut wie nichts mehr zu sehen. Seine Hände sind jedoch stark vernarbt, sodass er noch jahrelang...
Foto: Barbara Würmseher Nico Munninger aus Genderking­en (Donau Ries) überlebte diesen Brandunfal­l nach dem Faschingsu­mzug in Donauwörth. Von seinen Verbrennun­gen im Gesicht ist so gut wie nichts mehr zu sehen. Seine Hände sind jedoch stark vernarbt, sodass er noch jahrelang...

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