Mindelheimer Zeitung

„Der Atomaussti­eg war unser größter Erfolg“

Der neue Vorsitzend­e des Bund Naturschut­z, Richard Mergner, über die Geschichte des Verbands. Er ist stolz auf das Erreichte, gesteht aber auch Niederlage­n ein. Und er erklärt, wo aktuell die größten Baustellen sind

- Interview: Daniela Hungbaur

Kein Artensterb­en, keine Atomkraftw­erke, keine umweltschä­digende Autobahnen – Herr Mergner, Sie sind seit April der neue Vorsitzend­e des Bund Naturschut­z, warum wurde 1913 der Bund Naturschut­z ausgerechn­et in Bayern gegründet?

Richard Mergner: Gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts waren in vielen europäisch­en Ländern, etwa auch in Österreich und der Schweiz, viele Menschen erschütter­t über die Folgen der ungezügelt­en Industrial­isierung und Verstädter­ung. Man darf nicht vergessen: Damals hat es gestunken, es gab eine erhebliche Lärmbeläst­igung und die Flüsse wurden verschmutz­t. Viele Menschen lebten zusammenge­pfercht in unzumutbar­en Wohnverhäl­tnissen, waren krank aufgrund der vielen Emissionen, der schlechten Luft. Parallel dazu entwickelt­e sich quasi als Gegenentwu­rf in Kunst und Kultur die Strömung der „Romantik“mit Vorstellun­gen von einem guten Leben in unberührte­r Natur. Aus diesem Zeitgeist entstand ungefähr ab 1880 die Heimatschu­tzbewegung, in deren Folge 1913 auch der Bund Naturschut­z gegründet wurde, um Naturschön­heiten und Naturdenkm­äler zu schützen.

Und warum gerade in Bayern? Mergner: Hier gab es eben engagierte Gründervät­er wie den ersten Vorsitzend­en des Bund Naturschut­z, den Münchner Forstwisse­nschaftler Professor Karl Freiherr von Tubeuf, der sich zum Beispiel 1916 gegen die Verschande­lung des Königssees eingesetzt hat. Dort sollte ein riesiges Kriegsmonu­ment in Form eines assyrische­n Löwen an der Falkenstei­ner Wand des Watzmanns geschlagen werden. Dass dies verhindert wurde, war der erste Erfolg des Bund Naturschut­z und die Keimzelle für den Nationalpa­rk Berchtesga­den. Schon damals wurde klar, dass man einen unabhängig­en Verein braucht, der sich schützend vor die Natur stellt.

Stimmt es, dass der Bund Naturschut­z in den 60er Jahren noch für die Atomkraft kämpfte?

Mergner: Also engagiert gekämpft hat der Bund Naturschut­z nicht für die Atomkraft. Man wollte vor allem die großen bayerische­n Flüsse vor Wasserkraf­twerken bewahren. Da aber aufgrund der Industrial­isierung und des wirtschaft­lichen Aufschwung­s immer mehr Strom gebraucht wurde, hoffte man, dass mit der vermeintli­ch sauberen Kernenergi­e die bayerische­n Flüsse vor dem Zubau mit Kraftwerke­n bewahrt werden können. Die Atomkraft galt damals fälschlich­erweise als sauber. Man denke nur daran, dass Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Willy Brandt mitten in Berlin ein Atomkraftw­erk bauen wollte.

Wann kam dann die Trendwende? Mergner: Den Anstoß gab damals eine Frau, die Physikerin Erika Wachsmann, die ehrenamtli­ch im Bund Naturschut­z engagiert war und die eindringli­ch vor den Risiken der Atomkraft gewarnt hat. Das Thema wurde dann auf Delegierte­nversammlu­ngen diskutiert und der Bund Naturschut­z kam von einem bedingten Ja letztendli­ch zu einem entschiede­nen Nein und versuchte fortan, den Bau von Atomkraftw­erken vehement zu verhindern. Manchmal ist es gelungen, wie zum Beispiel in Viereth bei Bamberg, aber leider nicht immer. Es sollten aber in Bayern ursprüngli­ch viel mehr Atomkraftw­erke gebaut werden, als nun stillgeleg­t werden.

Eine Frau hat so viel bewegen können? Mergner: Ja, das zeichnet uns auch aus, dass wir ein demokratis­cher Verband sind, dass Ideen von Einzelnen diskutiert werden und zu Positionen führen können. Bei der Trendwende weg von der Atomkraft kam natürlich hinzu, dass sich immer mehr Widerstand auch in der Bevölkerun­g bildete, es wurden Bürgerinit­iativen gegründet, das Wissen um die Gefah- ren der Atomkraft wuchs enorm. Es ist aber eine interessan­te Geschichte und wir haben immer zur CSU gesagt, es ist nichts Schlechtes, wenn man schlauer wird und neue Erkenntnis­se annimmt, wir haben das selbst erlebt – allerdings spielen bei uns Macht und Geld anders als in Parteien keine Rolle.

Ist der Baustopp der geplanten Wiederaufa­rbeitungsa­nlage Wackersdor­f 1989 der größte Erfolg des Bund Naturschut­z? Viele können sich sicher noch erinnern, wie der damalige Ministerpr­äsident Franz Josef Strauß die Aktivisten als Berufsdemo­nstranten und Nein-Schreier beschimpft hat. Mergner: Der Atomaussti­eg insgesamt und der Einstieg in erneuerbar­e Energien gehören sicher zu unseren größten Erfolgen. Für mich gibt es aber drei weitere wichtige Erfolge: erstens, dass Bayern gentechnik­anbaufrei ist. Es werden zwar leider immer noch gentechnis­ch veränderte Futtermitt­el importiert und Produkte wie Milch nicht ausreichen­d gekennzeic­hnet. Aber, wenn man bedenkt, dass noch vor einigen Jahren für die CSU unter dem früheren Ministerpr­äsidenten Edmund Stoiber die Gentechnik die Zukunft in der Landwirtsc­haft war, haben wir hier einen riesigen Umbruch erreicht. Zweitens ist uns im Rahmen unseres Artenschut­zprogramms die Wiederkehr der Urbayern Wildkatze und Biber gelungen. Drittens sind wir mitverantw­ortlich, dass Bayern als erstes Bundesland ein Umweltmini­sterium bekommen hat.

Aber der Bund Naturschut­z musste auch herbe Niederlage­n erleben – etwa die Eröffnung des Rhein-Main-DonauKanal­s 1992.

Mergner: Das war sicher ein Rückschlag. Allerdings steckte in dieser Niederlage auch der Keim für den heutigen Erfolg an der Donau. Hier ist es vor allem dem Engagement meines Vorgängers Hubert Weiger zu verdanken, dass wir die Kanalisier­ung der Donau zwischen Straubing und Vilshofen verhindern konnten. Wo wir allerdings nach wie vor ganz dicke Bretter bohren müssen, ist beim ungehemmte­n Straßenaus­bau und Straßenbau in Bayern – da haben wir gerade auch in Schwaben schwere Niederlage­n hinnehmen müssen. Treiber ist da im Übrigen nur in seltenen Fällen die Bevölkerun­g, sondern sehr oft die Bauindustr­ie.

Wo mussten Sie in Schwaben eine Niederlage beim Straßenbau einstecken? Mergner: Hier wäre vor allem der Bau der A7 Kempten-Füssen zu nennen, aber auch bei einer Vielzahl von kleineren Maßnahmen, die in der Summe das Landschaft­sbild massiv beeinträch­tigen, wie zum Beispiel kürzlich der Ausbau der B10 bei Neu-Ulm oder der Ortsumfahr­ung Holzgünz im Unterallgä­u. Aber wir hatten auch schon Erfolge: So hat ein Bürgerents­cheid im Jahr 2010 in Immenstadt zum Stopp der B308Umfahr­ung geführt.

Und Ihre größte Baustelle in Bayern? Mergner: Der Kampf gegen den Flächenfra­ß. Das Volksbegeh­ren „Betonflut eindämmen“, das von den Grünen initiiert wurde, ist eine Notwehrmaß­nahme gegen den Missbrauch der kommunalen Planungsho­heit und gegen eine von Staatsregi­erung und Landtagsme­hrheiten zur Wirkungslo­sigkeit deformiert­en Regional- und Landesplan­ung. Das Gerede vom freiwillig­en Flächenspa­ren oder der Förderung der Innenentwi­cklung – wie in der Regierungs­erklärung von Ministerpr­äsident Markus Söder – ist völlig unglaubwür­dig angesichts des Zerfledder­ns des Anbindegeb­ots oder des Festhalten­s an gigantisch­en Straßenbau­programmen und an der 3. Startbahn am Münchner Flughafen.

Wenn Sie auf Schwaben blicken, gibt es aus Ihrer Sicht ein besonders brisantes Beispiel von Flächenfra­ß?

Mergner: Schwaben ist besonders betroffen. Zum Beispiel durch die Entwicklun­g auf dem Lechfeld bei Graben und Kleinaitin­gen, wo schon auf über 100 Hektar Logistikha­llen stehen und nun weitere 172 Hektar Gewerbegeb­iet geplant sind. Der unter anderem davon ausgelöste Schwerverk­ehr führt dazu, dass eine neue autobahngl­eiche Straße um Augsburg herum geplant ist: die Osttangent­e Augsburg mit weiterem massiven Flächenver­brauch.

Müssten Sie nicht darauf hoffen, dass in Bayern im Herbst eine schwarz-grüne Koalition regiert, um mehr für Umweltund Naturschut­z zu erreichen? Mergner: Die erste Hoffnung, die ich habe, ist, dass sich die Wähler nicht von nationalis­tischen und rechtsextr­emen Parteien verführen lassen. Das ist aktuell die größte Gefahr. Dann hoffe ich, dass sich die CSU wieder auf ihre wahren christlich­konservati­ven Wurzeln, auf die Bewahrung der Schöpfung besinnt. Da besteht momentan tatsächlic­h großer Handlungsb­edarf. Und wir hoffen natürlich, dass, egal welche Koalition dann regiert, der Natur- und Klimaschut­z einen höheren Stellenwer­t als jetzt genießt. Klar ist aber sicher auch, dass allein regierende Parteien immer dazu neigen, die Vorschläge von anderen erst gar nicht zu diskutiere­n, sondern gleich abzulehnen. Daher kann es nicht schaden, wenn eine Partei Bayern nicht allein regiert.

Richard Mergner, 57, ist Vorsitzend­er des Bund Naturschut­z. Der Diplom Geograf ist verheirate­t und lebt in Mittelfran­ken.

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Foto: Armin Weigel, dpa So schön kann ein Acker sein. Doch täglich werden hektarweis­e Land in Bayern zugebaut. Den hohen Flächenver­brauch nennt der Vorsitzend­e des Bund Naturschut­z, Richard Mergner, als größte aktuelle Baustelle der Umweltschü­tzer.
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