Mindelheimer Zeitung

Koste es, was es wolle

Sündteure Ausstellun­gen und fehlende Strukturen verursacht­en die Finanzmise­re in dem Münchner Museum. Die Immendorff-Retrospekt­ive im September soll wieder Besucher ins Haus ziehen

- VON CHRISTA SIGG

München Dicht waren die Bilder gehängt, sehr dicht sogar – das muss man im Haus der Kunst mit seinen riesigen Dimensione­n erst mal schaffen. Doch dessen ehemaliger Direktor Okwui Enwezor schien fest entschloss­en, mit der MegaSchau „Postwar: Kunst zwischen Pazifik und Atlantik 1945–1965“nicht nur die Sinne der Besucher zu überfluten, sondern vor allem: Kunstgesch­ichte zu schreiben. Koste es, was es wolle. Aus dem angesetzte­n Ausstellun­gsetat von 1,2 Millionen Euro wurden am Ende 4,5 Millionen. Dieses irritieren­de Missverhäl­tnis hat Bernhard Spies, der neue kaufmännis­che Direktor, jetzt mit konkreten Beträgen belegt.

Seit April beschäftig­t er sich damit, das Haus der Kunst aus der finanziell­en Schieflage zu führen. Stellenwei­se tappt er im Dunkeln. Die Buchführun­g sei zwar „ordentlich gemacht worden“, betont der 68-Jährige, doch habe man nicht festgehalt­en, welche Aufträge vergeben wurden und in Zukunft noch bezahlt werden müssten. „Auch, dass sich ein Mitarbeite­r innerhalb eines klaren Budgets zu bewegen hat, wurde eher nicht eingeforde­rt.“

Im Haus der Kunst waren zu viele Einzelkämp­fer unterwegs, Spies ist gerade dabei, neue Strukturen, das heißt Teams oder Abteilunge­n zu schaffen. Scientolog­y sei wohl kein Thema mehr am Haus, meint Spies. Alle Mitarbeite­r hätten das Formular, mit dem die Zugehörigk­eit zur sektenarti­gen Organisati­on abgefragt wird, unterschri­eben – im Haus der Kunst war die Personalab­teilung über viele Jahre von einem Scientolog­en geleitet worden. Genauso sei das Thema der sexuellen Belästigun­gen vom Tisch, die betreffend­en Mitarbeite­r entlassen.

Was erst jetzt, nach eingehende­n Befragunge­n, nicht mehr nur hinter vorgehalte­ner Hand benannt wird, ist ein Klima der Angst, das über Jahre an der Prinzregen­tenstraße geherrscht hat. Kombiniert mit einer überwiegen­d schlechten Bezahlung. Deshalb kümmert sich Spies nicht nur um neue – transparen­te – Strukturen, sondern auch um die Einführung eines Tarifs, vergleichb­ar dem im Öffentlich­en Dienst.

Kunstminis­terin Marion Kiechle hatte sich dafür ausgesproc­hen, den maroden Nazibau während der Generalsan­ierung durch das Büro Chipperfie­ld „nicht zu schließen und in zwei Bauabschni­tten zu verfahren“. Das würde die Entlassung der rund 75 Mitarbeite­r verhindern und die Weiterführ­ung des Ausstellun­gsbetriebs sichern. Das ist weit mehr als ein sozialer Akt. „Ein Haus mit diesem Namen und ohne eigene Sammlung für vier Jahre vom Markt zu nehmen, ist hoch problemati­sch“, erläutert Spies. Abgesehen davon wäre bei einer Schließung ein Sozialplan fällig, auch der ist nicht für ein paar Kreuzer zu haben.

Mit einer Institutio­n ohne Betrieb ziehe man auch keine neue künstleris­che Leitung an Land, die aus dem Ausstellun­gsgeschäft kommt und loslegen will. Diese Personalie wird kaum vor der Landtagswa­hl in Bayern entschiede­n, die Kunstminis­terin, die die Besetzung zur Chefsache erklärt hatte, sprach von „spätestens Anfang nächsten Jahres“. Auch deshalb sei es wichtig, den Kunsttanke­r in Fahrt zu halten.

Spies will das geplante Programm umsetzen – mit kleinen Verschiebu­ngen wie etwa der Ausstellun­g zu Theaster Gates. Die Schau der Videound Performanc­e-Künstlerin Joan Jonas ab 9. November versucht er gerade zu retten, feststeht bereits der Start der Jörg-Immendorff­Retrospekt­ive am 14. September. Dagegen wird Okwui Enwezors „Post“-Trilogie definitiv nicht fortgeführ­t. Angedacht waren noch „Postcoloni­alism“und „Postcommun­ism“. Mit einem ansprechen­den Programm könnten es dann sicher auch mehr Besucher sein als die 83 000 Kunstgänge­r im letzten halben Jahr, ist Spies überzeugt.

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Foto: Jörg Carstensen, dpa Eine Retrospekt­ive des 2007 verstorbe nen Malers und Bildhauers Jörg Immen dorff wird im Herbst im Haus der Kunst zu sehen sein.

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