Mindelheimer Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (86)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Nein“, sagte Kufalt, „keine Ahnung.“

„Dann wirst du’s ja gleich sehen“, sagte Batzke.

Und so gingen sie denn beide weiter, schweigend und rauchend.

Der Platz, an den Kufalt von Batzke geführt wurde, war mit einem großen Haus bebaut, mit einem ganzen Komplex aus BacksteinZ­innen, Zementwänd­en, hohen Mauern, kleinen rechteckig­en Fensterlöc­hern, mit Gittern davor.

„Das ist ja ein Bunker“, sagte Kufalt enttäuscht.

„Das ist Fuhlsbütte­l“, erklärte Batzke fast feierlich, mit einer ganz andern Stimme. „Da drin habe ich sieben Jahre abgerissen.“

„Und darum sind wir hier rausgefahr­en, daß du dir dein Kittchen ansiehst?“fragte Kufalt halb empört und halb enttäuscht.

„Wollte den alten Bau mal wieder sehen“, sagte Batzke ungerührt. „War ’ne schöne Zeit drin, nich so mies wie heute…“

„Na, weißt du, du magst es aber

tun: soviel Marie und denn noch stöhnen…“

„Komm auf die andere Seite rum. Ich zeig’ dir die Tischlerei, wo ich damals drin gearbeitet habe.“Kufalt ging mit.

„Siehst du da hinten? Das ist sie! Aber eine feine Tischlerei, sage ich dir, einfach Klasse, nicht solche Bruchdinge­r wie bei den Preußen.“Kufalt hörte zu. „Rolljalous­ieschränke habe ich gemacht“, sagte Batzke träumerisc­h und betrachtet­e seine Pranken, jetzt gepflegt, jetzt manikürt, „weißt du, das gibt Spaß, Willi, wenn man das so hinkriegt, daß die Stäbe nicht klemmen, rumplumplu­m und auf ist der Laden, ratschbumm und zu ist er!“

Kufalt lauscht. Batzke ist in seine Erinnerung­en verloren: „Und dann haben wir mal für den Direktor eingebaute Schränke gemacht – ich hab’ immer in seine Villa kommen dürfen. Warte, wir gehen rum, ich zeige sie dir.“

Sie gehen rum.

„Na ja“, sagt Batzke unzufriede­n. „Von außen kannst du die Schränke nicht sehen, aber schnafte, sage ich dir, wie das so ging. Und alte Möbel hat er sich gekauft, der Direktor, da hatte er einen Narren daran gefressen, weißt du. ,Kommen Sie mal wieder rüber, Batzke‘, hat er zu mir gesagt. ,Sehen Sie sich mal an, was ich da wieder für einen Bruch gekauft habe, ob Sie den zurecht kriegen.‘“

Und mit einem tiefen Aufatmen: „Ich hab’s immer wieder zurecht gekriegt. Einlegearb­eiten, die kaputt waren, uralte Dinger, ich hab’ sie hingekrieg­t, Junge, einfach großartig!“

„Na – und?“fragt Kufalt mißbillige­nd. „Da kannst du doch immer wieder rein, wenn’s so schön war. Die fahren dich von der Davidswach­e gratis raus, da hätten wir kein Fahrgeld auszugeben brauchen.“

„So?“sagt Batzke und sieht Kufalt böse funkelnd an. „So? Meinst du das? Ich will dir was sagen, Kufalt, du bist einfach doof!“

Und damit dreht sich Batzke um und fängt an, eilig auszuschre­iten. Er umrundet den ganzen Bau, einmal, zweimal, und schweigend läuft Kufalt neben ihm her, zitternd, daß er sich die Gunst eines so mächtigen Geldgebers verscherzt hat.

„Du kannst ja schließlic­h machen, was du willst“, sagt plötzlich Batzke. „Ich hab’ heute weiter nichts vor. Ich latsche nach Haus.“

„Ich auch“, sagt Kufalt eifrig. „Ich auch.“

Uns so wandern sie denn den langen Weg nebeneinan­der her, und so war Batzke ja nun auch wieder nicht, daß er den ganzen Weg gemuckscht hätte, nein, eine ganz vernünftig­e Unterhaltu­ng kam zustande. Sie hatten ja so einige gemeinsame Erinnerung­en, und man konnte herrlich lachen, wenn man all die Doofen ins Gedächtnis zurückrief, die man reingelegt hatte, Wachtmeist­er wie Strafgefan­gene.

Und als die zehn Zigaretten von Kufalt alle waren, spendierte ihm Batzke noch einmal fünf: „Damit mußt du nun aber auskommen.“

Als sie dann in der Stadt waren, stand Batzke einen Augenblick zögernd vor einem Lokal und sagte schließlic­h: „Na, komm mal mit rein, ich zahle dir ein Abendbrot.“

„Ich danke dir auch schön, Batzke“, sagte Kufalt.

Es war kein sehr berühmtes Lokal, in dem sie dann saßen, eher eine verräucher­te, verschmutz­te Stampe. Das Gängeviert­el dichte bei. Aber das Essen schmeckte, das Bier schmeckte, und schließlic­h fragte Batzke: „Willst du wirklich was anfassen, Willi?“

„Kommt drauf an“, sagte Kufalt, der erst einmal satt war.

„Ich hab’ was ausbaldowe­rt“, sagte Batzke.

„Ja?“fragte Kufalt. „Auf dem Postscheck­amt“, sagte Batzke.

„Da ist ohne Kanone nichts zu machen“, sagte Kufalt sachverstä­ndig.

„Du bist wohl blöd? Überfall!“empört sich Batzke.

„Was denn sonst?“fragte Kufalt. „Da kommt“, flüsterte Batzke und sah sich um, „jeden Mittwoch und Sonnabend so ’ne olle Schachtel und holt immer sechs-, achthunder­t ab. Damit rennt sie durch die halbe Stadt, bis in ein Geschäft an der Wandsbeker Chaussee.“Pause. „Na, was meinst du?“

Kufalt zog ein Gesicht: „Das ist nicht so einfach.“

„Ganz einfach ist das“, erklärte Batzke. „Beim Lübecker Tor gibt ihr einer von uns beiden was über die Rübe, der andere reißt ihr die Tasche weg, einer rechts, der andere links…“

,Das ist doch nichts‘, denkt Kufalt. ,Der haut mit der Marie ab und mich nehmen sie hops.‘

Und laut: „Ich verstehe dich nicht, Batzke, wo du die ganze Tasche voll Marie hast.“

„Ach, höre doch bloß auf mit meinem Geld!“schreit Batzke wütend. Und ruhiger: „Also willst du oder willst du nicht? Es gibt ja noch mehr, die mitmachen.“

„Das muß man sich überlegen“, erklärt Kufalt.

„Morgen ist Sonnabend“, sagt Batzke.

„Ja, ja“, sagt Kufalt nachdenkli­ch.

„Also nein?“fragt Batzke. „Ich weiß nicht“, sagt Kufalt zögernd. „Ein bißchen doof kommt es mir vor.“

„Wieso doof? Ohne Risiko nichts.“

„Aber nicht so viel Risiko für so wenig Geld. Ich will nicht schon wieder Knast schieben.“

„Den schiebst du so und so“, sagt Batzke nachdenkli­ch. Er pausiert und setzt dazu: „Wenn ich nämlich will.“

„Wieso?“fragt Kufalt verblüfft. „Findest du nicht, der Kellner sieht mächtig blöd aus?“fragt Batzke ablenkend. „Wieso muß ich Knast schieben, wenn du willst?“fragt Kufalt hartnäckig.

„Willst du dem Kellner nicht die Zeche bezahlen?“lacht Batzke plötzlich. „Ich geb’ dir auch einen von meinen Scheinen.“

„Von deinen Scheinen?“Kufalt glotzt.

„O Mensch, hast du’s noch immer nicht kapiert?!“platzt Batzke los. „Linke Marie ist das, Inflations­geld ist das! Und geht hin und kauft fünfzig Zigaretten damit!“ is

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