Mindelheimer Zeitung

England feiert die „Southgate Revolution“

Nach Jahren des Spotts sind die Engländer wieder stolz auf ihre Nationalma­nnschaft. Der Glaube an den ersten WM-Titel seit 52 Jahren ist so groß wie nie. Es ist vor allem ein Verdienst des Trainers

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Samara England träumt vom Titel! Was an sich nicht neu ist. Denn die Sehnsucht nach dem ersten Triumph bei einer Fußball-WM seit 1966 gehört zum britischen Königreich wie Fish & Chips, Pubs und die Queen. Was dieses Mal anders ist: Der Traum kann Wirklichke­it werden, denn England hat endlich wieder ein titelreife­s Team.

„Unsere Zeit ist gekommen. Alles deutet darauf hin, dass wir am 15. Juli den Pokal hochheben dürfen“, schrieb The Sun am Sonntag. „Halbfinal-Götter“titelte der Sunday Mirror am Tag nach dem nicht berauschen­den, aber souveränen 2:0 (1:0) im Viertelfin­ale gegen Schweden. Erstmals seit 28 Jahren stehen die Three Lions bei einer WM wieder im Halbfinale, wo am Mittwoch in Moskau Kroatien der Gegner ist. Der überragend­e Torwart Jordan Pickford sagte: „Ich war damals noch gar nicht geboren und jetzt schreiben wir unsere eigene Geschichte.“

1990 war ein Schritt vor dem Endspiel im Elfmetersc­hießen gegen den späteren Champion Deutschlan­d Schluss. 2018 wollen die Engländer

Selbst beim Tennis Klassiker in Wimbledon ging es nur um die Three Lions

ihren Weg bis zum Schluss gehen. Die Medien in der Heimat sprechen bereits von der „Southgate-Revolution“, die ihre Krönung in einer Woche im Luschniki-Stadion mit dem Goldpokal erfahren soll. „Wir haben den Jungs vor dem Spiel gesagt, dass wir noch eine Woche hierbleibe­n wollen“, sagte Southgate, mit dem das neue England ganz eng verbunden ist. „Jetzt liegt es an uns, welche beiden Partien wir hier in Russland noch bestreiten.“

Entweder Halbfinale und Finale oder Halbfinale und das unliebsame Spiel um Platz drei. Doch England rüstet sich längst für das Finale am 15. Juli. Die nur rund 3500 englischen Fans in Samara schmettert­en inbrünstig ihr „Football’s coming home“, in der Heimat flippten Zehntausen­de vor den Fernsehern und Leinwänden auf den Plätzen und in den Pubs aus. In der Spitze sahen 19,9 Millionen Zuschauer die Partie im BBC, online wurde die Live-Übertragun­g 3,8 Millionen Mal angeklickt. Das gab es für die

BBC online bei einer Live-Übertragun­g noch nie.

Selbst beim Tennis-Klassiker in Wimbledon drehte sich für 90 Minuten fast alles nur um den Auftritt der Three Lions in Russland. Bei Angelique Kerbers Drittrunde­nsieg gegen Naomi Osaka blieben auf dem ehrwürdige­n Centre Court so viele Plätze frei wie wohl noch nie. Zum Halbfinale wird nun endlich mit einer englischen Fan-Invasion nach Russland gerechnet. „Wir spüren die Euphorie in der Heimat, sie gibt uns viel Energie“, sagte Kapitän Harry Kane. Der Torjäger blieb gegen Schweden blass, doch das kompensier­ten die Engländer im Kollek- Statt des Stürmers von Tottenham Hotspur trafen einfach Abwehr-Riese Harry Maguire (30. Minute) und Dele Alli (59.). „Es ist unsere große Geschlosse­nheit, die den Unterschie­d macht“, sagte Southgate. „Heute war es eine große Chance für uns, die wollten wir auf keinen Fall verpassen.“

Dem Ex-Profi ist es nach vielen Jahren der Tristesse rund um das Nationalte­am gelungen, eine Mannschaft zu formen, die spielerisc­h zwar nicht zu den besten gehört, die aber dennoch das Zeug zum ganz großen Coup hat. 18 Monate lang hat Southgate, im EM-Halbfinale 1996 noch bitterer Versager mit einem verschosse­nen Elfmeter gegen die DFB-Elf, hart daran gearbeitet, einen verschwore­nen Haufen zu formen, der sich der Bedeutung der Three Lions bewusst ist. „Wenn du Erfolg mit England hast, dann ist das so viel größer als jeder Erfolg im Klub“, sagte der 47-Jährige. Mit diesem Stolz, das Nationaltr­ikot zu tragen, marschiere­n die Engländer durch das Turnier und versetzen ihre Landsleute in der Heimat in Ekstase.

In einer Zeit, in der die Diskussion­en um den Brexit das Land gespalten haben, ist das Nationalte­am wieder wie früher der Kitt, der die Gesellscha­ft zusammenhä­lt. „Wir haben die Geister besiegt und gelernt, unsere Mannschaft wieder zu lieben. Her mit dem nächsten Gegner!“, schrieb The Times am Sonntiv. tag. „Die Jungs kommen aus allen möglichen Gegenden daheim. Wir sind privilegie­rt, unser Land zu repräsenti­eren und unser Land zu vereinen“, sagte Southgate voller Pathos.

Doch während auf der Insel das Bier in Strömen floss, blieb das Team in Russland bescheiden. „Wir sind noch nicht fertig“, sagte Kane. „Die Zufriedenh­eit und der Stolz nach dem Spiel müssen genug für uns sein“, sagte Southgate. Denn noch sind es zwei Schritte bis zur Unsterblic­hkeit. Der Glaube daran war in England aber seit 52 Jahren nicht mehr so groß. „Er (der Fußball) kommt nach Haus“, twitterte Fußball-Legende Gary Lineker.

 ?? Foto:Petter Arvidson, Witters ?? England Trainer Gareth Southgate hat mit seiner Mannschaft eine Euphorie Welle losgetrete­n. Nach Jahren der schmachvol­len Auftritte legen die Three Lions einen begeis ternden Auftritt nach dem anderen hin.
Foto:Petter Arvidson, Witters England Trainer Gareth Southgate hat mit seiner Mannschaft eine Euphorie Welle losgetrete­n. Nach Jahren der schmachvol­len Auftritte legen die Three Lions einen begeis ternden Auftritt nach dem anderen hin.

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