Mindelheimer Zeitung

Tote Hose statt Sommermärc­hen

An der Berliner Fanmeile kommt keine Party auf. Wie Budenbesit­zer damit umgehen

- VON DORINA PASCHER

Berlin Fußball-Fans, eingehüllt in schwarz-rot-goldene Fahnen, hüpfen vergnügt im Kreis. Vor ihnen erhebt sich die 80 Quadratmet­er große Leinwand der Berliner Fanmeile. Für einen kurzen Moment scheint das Sommermärc­hen zurück gekommen zu sein. Allerdings handelt es sich nicht um Fans der deutschen Nationalma­nnschaft. Einige Belgier haben den Umstand genutzt, dass sich die Farben der beiden Länder ähnlich sind. Ein Dutzend von ihnen grölt jetzt zum Rhythmus der elektronis­chen Musik aus den Lautsprech­ern und feuert so ihr Team an, das an diesem Freitagabe­nd gegen Brasilien spielt. Auf der restlichen 500 Meter langen BerlinerFa­nzone ist die Stimmung gedämpft. Die Luft ist erkennbar raus. Als die DFB-Elf gegen Südkorea verlor und aus dem Turnier ausschied, wurde auch dem Fan-Fest der Stecker gezogen.

Als Deutschlan­d 2014 das WMFinale gewann, drängten sich noch zwischen 250000 und 300000 Menschen auf Deutschlan­ds größter Open-Air-Fanmeile. Vergangenh­eit. An diesem Abend sind es vielleicht noch rund Tausend, die den Weg zum Brandenbur­ger Tor gefunden haben. Der Großteil sind Touristen. Wie Barbara Lapackova und ihr Freund Ivo Mathon. Arm in Arm schlendert das polnische Paar an den Ständen, Bierbänken und Leinwänden vorbei. Das Spiel sehen? Das war nicht der Plan. „Nein, wir wollen zum Brandenbur­ger Tor“, sagt Lapackova auf Englisch. In die Feiermeile sind sie zufällig reingelauf­en. „Nett ist es hier“, meint Mathon.

Gedrückte Stimmung herrscht dagegen bei den Betreibern der Berliner Fanmeile. Die Bilanz ist bitter: Deutschlan­d spielte nur an drei anstatt wie gehofft an sieben Tagen. Organisato­rin Anja Marx sagt: „Die drei Tage sind spürbar. Bei jedem Deutschlan­d-Spiel kommen rund 100000 Besucher.“Die erste Konsequenz: Die Fanzone wurde verkleiner­t. Statt von der Siegessäul­e bis zum Brandenbur­ger Tor, verläuft die Fanmeile ab dem Sowjetisch­en Ehrenmal. Das heißt: Die Fußballpar­ty der Hauptstadt ist von zwei auf einen halben Kilometer geschrumpf­t. Wenige Deutsche verirren sich hierher.

Über Platzprobl­eme können sich die Besucher nicht beschweren. Gemütlich gehen sie entlang der vier großen Leinwände, die auf der Straße des 17. Juni aufgestell­t sind. Für Olaf Pazalai war das der Grund, das Viertelfin­ale hier zu verfolgen. „Ich kann nun in Ruhe Fußball schauen, ohne so“, der Brandenbur­ger überkreuzt seine beide Hände vor der Brust, „zu stehen.“Doch er gibt zu: „Der Spirit ist weg, nachdem die Deutschen aus der WM geflogen sind.“Mit einem kräftigen Schluck Bier aus dem Plastikbec­her spült er den Frust herunter.

An einem der hinteren Stände brät eine Frau mittleren Alters Thüringer Würste an. Nicht nur die Luft in der Nähe des Grills ist erhitzt. Auch das Gemüt der Verkäuferi­n, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Mein ganzes Geld habe ich in diese vier Wochen reingestec­kt“, sagt sie mit polnischem Akzent. „Und jetzt sind wir alle pleite. Die Deutschen müssten uns eine Entschädig­ung geben.“Mit den Deutschen meint sie die Nationalel­f. Vor kurzem, da waren sie noch „unsere Helden“. Und nun haben sie „keine Rücksicht“auf die Standverkä­ufer genommen. Alle vier Jahre habe sie die Chance, „etwas Geld“zu verdienen. Und nun werden die Würstchen auf dem Grill immer dunkler, fast schwarz. Ein Mann kommt an den Stand. „Haben sie Pommes?“Nein, hat sie nicht.

Zwischen Brasilien und Belgien ist die Nachspielz­eit angebroche­n. Für Cem, der seinem Onkel am Fanartikel-Stand aushilft, wird es Zeit, zusammenzu­packen. Er rollt die Verkaufsst­änder hinter das Zelt. Sie sind mit schwarz-rot-goldenen Hawaii-Ketten beladen. Heute konnte Cem den Halsschmuc­k noch an ein paar Belgier verkaufen. Den Rest lagert er ein. In zwei Jahren ist wieder Europameis­terschaft.

 ?? Foto: Dorina Pascher ?? Früher war mehr Konfetti: die Fanmeile in Berlin.
Foto: Dorina Pascher Früher war mehr Konfetti: die Fanmeile in Berlin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany