„Fuel Dump“beunruhigt viele Unterallgäuer
Dass eine Frachtmaschine über der Region tonnenweise Kerosin abgelassen hat, löst bei vielen Sorge und Verärgerung aus. Experten sehen keine nachweisbaren Gesundheitsrisiken für Mensch und Natur
Ettringen/Region Helmut Mader, Geschäftsführer des Bayerischen Bauenverbandes im Landkreis Unterallgäu mit Sitz in Erkheim, erfuhr auch erst aus der Mindelheimer Zeitung davon, dass am Sonntag vor einer Woche ein Frachtflugzeug tonnenweise Kerosin über der Region abgelassen hat. Wie berichtet, musste der Flug von Mailand nach Seoul aus noch unbekannten Gründen abgebrochen werden. Mit dem vollgetankten Flugzeug wäre eine Sicherheitslandung in Frankfurt zu gefährlich gewesen, weshalb sich der Pilot gezwungen sah, insgesamt 50 Tonnen Kerosin über der Region Allgäu/Schwaben zwischen Landsberg/Ettringen, Krumbach, Ulm und Memmingen abzulassen.
Helmut Mader vom Bauernverband ging es dabei offenbar wie vielen Unterallgäuern: „Ich mache mir leichte Sorgen, bin aber auch ein totaler Laie auf diesem Gebiet“. Er habe in den landwirtschaftlichen Fachzeitungen aber noch nie etwas gelesen, dass das ein Problem darstellt oder Rückstände in den Futtermitteln bleiben, so Mader.
Einige MZ-Leser hatten den Jumbo-Jet sogar mit eigenen Augen gesehen und posteten Fotos auf der Internet-Seite unserer Zeitung. Als sie jetzt von dem sogenannten „Fuel Dump“erfuhren, reagierten viele mit einer Mischung aus Sorge und auch Wut.
Vor allem die Angst vor möglichen Gesundheitsrisiken treibt die Menschen um: „Da baut man sein eigenes Gemüse im Garten an und dann das“, ärgerte sich eine MZLeserin. „Sauerei! Die machen uns alle krank“, wetterte eine andere.
Was war passiert? Eine Boeing 747 Typ 48 EF (SCD) mit der Registrierung HL 7420 – war um 14.58 Uhr in Mailand gestartet. Ziel war die südkoreanische Hauptstadt Seoul. Über dem Großraum Schwaben dreht das Flugzeug plötzlich ab, zog einige Runden über dem Verbreitungsgebiet unserer Zeitung zwischen Landsberg/Ettringen/Krumbach/Memmingen bis nach Ulm und wieder zurück. Gründe können ein technischer Defekt oder ein medizinischer Notfall an Bord sein.
Zwei Stunden und 16 Minuten dauerte der Flug, ehe das Frachtflugzeug dann in Frankfurt landete. Dies geht alles aus den Aufzeichnungen auf der Internetseite www.flightradar24.com hervor. Über die genauen Ursachen hat die Fluggesellschaft Asiana Cargo mit Hauptsitz in Korea auf Anfrage unserer Zeitung noch immer keine Angaben gemacht. Eine bis gestern zugesagt Stellungnahme der Airline blieb trotz Nachfrage bislang aus.
müsse aber schon ein „gravierendes Problem vorliegen“, wenn sich der Pilot zu so einer drastischen Maßnahme wie einem „Fuel Dump“entschließe, so ein Unternehmenssprecher.
Wie schädlich ist der Treibstoffschnellablass für Umwelt und Gesundheit aber wirklich? Darüber gibt es nur wenige Expertenmeinungen. Weder vom Bayerischen Umweltministerium noch vom Bund Naturschutz war gestern eine Stellungnahme zu bekommen. Das Umweltinstitut München, ein unabhängiger Verein, arbeitet nicht an diesem Thema und konnte daher auch keine Einschätzung abgeben.
Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“berichtete im September 2017 über einen ähnlichen Treibstoffschnellablass nahe Frankfurt. Im Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Flughafens Schönefeld wurde demnach aufgeführt, was mit dem abgelassenen Kerosin passiert. Darin heißt es: „Beim Treibstoffschnellablass wird das Kerosin mit Hochleistungspumpen in kleinste Tröpfchen verwirbelt und von den Turbulenzen hinter dem Flugzeug zu einem feinen Nebel verteilt.“
Zwischen 2010 und 2016 wurden laut „Spiegel“über Deutschland insgesamt rund 3590 Tonnen Kerosin abgelassen. Dokumentiert wurden in dem Zeitraum 121 Fälle. Das gehe aus einer Antwort der Bundesregierung aus dem Jahr 2016 auf eine Anfrage der Grünen hervor. Hauptsächlich betroffen waren demnach Bayern, Baden-Württemberg sowie Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen.
Der größte Teil des Nebels sinke jedoch nicht zu Boden, sondern verdunste in den höheren Luftschichten, heißt es in dem Spiegel-Artikel weiter. Er verbleibe in der Atmosphäre, bis er durch die Strahlungsenergie der Sonne in Wasser und Kohlendioxid umgewandelt werde. Rechnerisch erreichten etwa acht Prozent der abgelassenen Treibstoffmenge den Boden. Daraus ergebe sich eine theoretische Bodenbelastung von 0,02 Gramm Kerosin pro Quadratmeter.
Der TÜV Rheinland komme zu dem Ergebnis, dass eine Summenkonzentration von maximal 0,2 Milligramm pro Kubikmeter in der Luft entstehe. Dies führe zu einer vernachlässigbaren Kontamination des Bodens, heißt es in der Antwort der Bundesregierung weiter. Diese grundsätzlichen Annahmen würden durch eine Studie des National Research Council, Kanada bestätigt.
Derzeit gebe es keine Erkenntnisse über mögliche Schäden durch diese Notfallmaßnahme. Grundsätzlich, heißt es in der Antwort der Bundesregierung weiter, könnten Verunreinigungen von Grund- und Oberflächenwasser durch Flugturbinenkraftstoff erhebliche Auswirkungen auf die Trinkwassergewinnung, den chemischen Zustand dieser Gewässer oder den ökologischen Zustand der Oberflächengewässer haben.
Dies gelte, sofern relevante Mengen in das Grundwasser gelangten. Zudem gilt das im Kerosin enthaltene Benzol als krebserregend. Allerdings würden die erforderlichen Konzentrationen durch das Ablassen von Flugbenzin bei Weitem nicht erreicht, heißt es im „Spiegel“dazu.
Auf Anfrage unserer Zeitung gab sich Christian Hoppe, Pressesprecher der Deutschen Flugsicherung (DFS) mit Sitz in Langen (Hessen), zurückhaltend: „Die Beurteilung, ob eine mögliche BelastungssituatiEs on, eine gesundheitliche Gefährdung der Bevölkerung entsteht oder etwaige schädliche Umwelteinwirkungen gegeben sind, liegen nicht im Zuständigkeitsbereich der DFS“. Auf politischer Ebene gebe es Bestrebungen, dass es 2018 ein Gutachten zum Thema „Umweltrisiken von Kerosinablässen“geben soll, so Hoppe. Das Umweltbundesamt (UBA) sei beauftragt, ein Gutachten erstellen zu lassen.
Fest stehe allerdings, dass Fälle von „Fuel Dump“angesichts einer steigenden Zahl von Flügen in Deutschland „sehr selten“vorkommen, so Hoppe. Im Zeitraum von 2010 bis 2016 wurden laut DFS im Schnitt jährlich 22 Fälle von Treibstoffschnellablässen im deutschen Luftraum registriert.
2017 ließen laut DFS Zivilflugzeuge über Deutschland in 20 Fällen insgesamt 490 Tonnen Treibstoff in der Luft ab, militärische Flugzeuge in fünf Fällen 89,5 Tonnen. Im Luftraum über Bayern gab es 2017 insgesamt sechs Fälle, die gemeldete Treibstoffmenge lag bei 34,3 Tonnen. Im ersten Halbjahr 2018 wurden elf Vorfälle deutschlandweit registriert, davon zwei in Bayern mit einer gemeldeten Kerosinmenge von etwa 71 Tonnen.
Beim Treibstoffschnellablass müssen die Vorgaben der ICAO (internationale Zivilluftfahrtorganisation) eingehalten werden, die zum Beispiel eine Mindesthöhe (6000 Fuß über Grund = rund 1800 Meter) vorschreiben. In der Praxis ist die Flughöhe beim Fuel Dump sehr viel höher, im Schnitt bei ungefähr 18 000 Fuß, das sind rund 6000 Meter. Bei diesen Höhen sei laut Hoppe „sichergestellt, dass der abgelassene Treibstoff nur in mikroskopisch kleinen Tröpfchen auf die Erdoberfläche“treffe.
Technische Ursache oder ein medizinischer Notfall?