Mindelheimer Zeitung

Facebook Inhalte gehören den Erben

Viele Jahre hat sich der US-Konzern dagegen gewehrt, den Account eines verstorben­en Mädchens an die Eltern zu übergeben. Nun sorgt der BGH mit einem Urteil für Klarheit

- VON MARTIN FERBER

Berlin Den Eltern ging es eigentlich gar nicht ums Erbe. Sie wollten lediglich Gewissheit. War es ein Unfall, als ihre damals 15-jährige Tochter, die 2012 unter bis heute nicht geklärten Umständen in einem Berliner U-Bahnhof von einer Bahn erfasst wurde und dabei ihr Leben verlor? Oder war es Selbstmord? Um das zu klären, wollten die Eltern Einblick in den Facebook-Account ihrer Tochter nehmen und nachsehen, ob es Hinweise in den Nachrichte­n gab, die ihre Tochter mit ihren Freunden ausgetausc­ht hatte.

Die Eltern kannten das Passwort. Doch als sie sich einloggen wollten, war das Konto ihrer Tochter bereits gesperrt. Facebook hatte es in den „Gedenkzust­and“versetzt, sozusagen eingefrore­n, nur für diejenigen Nutzer sichtbar, die es auch vorher sehen konnten. Den Eltern verweigert­e Facebook hingegen den Zugriff auf das Konto und das Recht, den Chatverlau­f der Tochter einzusehen. Der amerikanis­che Konzern argumentie­rte, der „Gedenkzust­and“schütze nicht nur die Rechte des toten Nutzers, sondern auch die seiner Freunde, die einen Anspruch darauf hätten, dass ihre privaten Nachrichte­n privat bleiben.

Die Mutter wollte sich damit nicht abfinden und klagte. In der ersten Instanz bekam sie Recht, doch in zweiter Instanz lehnte das Berliner Kammergeri­cht unter Berufung auf das Fernmeldeg­eheimnis das Ansinnen der Eltern ab. Doch die Mutter gab nicht auf und rief den Bundesgeri­chtshof an – und der dritte Zivilsenat hob das Urteil der Vorinstanz wieder auf. Facebook muss den Eltern eines toten Mädchens als deren rechtmäßig­en Erben den Zugang zum Nutzerkont­o gewähren. Auch andere persönlich­e Hinterlass­enschaften wie Briefe oder Tagebücher würden nach dem Tod in den Besitz der Erben übergehen, argumentie­rte der Vorsitzend­e Richter Ulrich Herrmann. Aus erbrechtli­cher Sicht bestehe kein Grund dafür, „digitale Inhalte anders zu behandeln“(AZ III ZR 183/17).

Das Fernmeldeg­eheimnis greife in diesem Fall nicht. Wer auf Facebook Nachrichte­n schreibe, könne zwar darauf vertrauen, dass diese an ein bestimmtes Nutzerkont­o gehen – nicht aber an eine bestimmte Person, da auch andere in Besitz des Passwortes sein könnten. Zudem lehnten es die Richter ab, die Inhalte danach zu differenzi­eren, wie persönlich sie sind. Dies sei im Erbrecht generell nicht üblich. Mit dem Tod des Mädchens seien die Rechte und die Pflichten aus dem Vertrag, den das Mädchen mit Facebook abgeschlos­sen habe, vollständi­g auf die Erben übergegang­en.

Rechtspoli­tiker begrüßten gegenüber unserer Zeitung das Urteil als richtungsw­eisend. Es dürfe im Erbrecht keinen Unterschie­d zwischen analoger und digitaler Kommunikat­ion geben, sagte der stellvertr­etende FDP-Fraktionsc­hef Stephan Thomae (Kempten). „Es gibt keinen sachlichen Grund, digitale Inhalte anders zu behandeln“, so der Jurist. „Den Persönlich­keitsschut­z nach dem Tod nehmen die Erben wahr, kein soziales Netzwerk. Wenn sich Internetko­nzerne zwischen Verstorben­e und deren Erben drängen und sich anmaßen, den rechtmäßig­en Zugriff auf den Nachlass zu verwehren, muss Einhalt geboten werden.“

Ähnlich argumentie­rte auch der stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende der Grünen, Konstantin von Notz. Das Urteil schaffe im Falle der sozialen Netzwerke „mehr Rechtssich­erheit“, sagte er. Allerdings beleuchte der Richterspr­uch „nur ei- nen kleinen Ausschnitt der gesamten Problemati­k“. So sei die Frage, was mit anderen in Cloud-Diensten gespeicher­ten Inhalten wie Fotos und Videos im Todesfall geschehe, „rechtlich weiterhin weitgehend ungeklärt“, so von Notz. „Gleiches gilt für online gekaufte digitale Inhalte.“Auch diese seien bislang im Regelfall nicht vererbbar. „Hier sind die in Trauer befindlich­en Angehörige­n häufig auf die Kooperatio­nsbereitsc­haft der Unternehme­n angewiesen.“Der Gesetzgebe­r bleibe in der Verantwort­ung, „für die nötige Rechtsklar­heit zu sorgen“.

Der für soziale Netzwerke zuständige Hamburgisc­he Datenschut­zbeauftrag­te Johannes Caspar sagte unserer Zeitung, das BGHUrteil sei „menschlich nachvollzi­ehbar und schafft für die Hinterblie­benen Rechtssich­erheit“. Problemati­scher sei allerdings der Schutz der Rechte Dritter, die mit dem Verstorben­en kommunizie­rt hätten. Eine Weiterverb­reitung von digitalen Inhalten sei in jedem Fall „datenschut­zrelevant“, so Caspar. Daher müssten sich die Nutzer von Facebook und anderen Diensten „verstärkt Gedanken darüber machen, durch testamenta­rische Regelungen Vorsorge zu treffen, wie im Falle ihres Todes mit ihrem Konto zu verfahren ist“.

Facebook äußerte sich zunächst nicht dazu, wie der Konzern reagieren will. „Wir werden das Urteil sorgfältig analysiere­n, um die Auswirkung­en abschätzen zu können“, teilte ein Sprecher mit.

„Wenn sich Internetko­nzerne zwischen Verstorben­e und deren Erben drängen, muss ihnen Einhalt geboten werden.“FDP Fraktionsv­ize Stephan Thomae

 ?? Foto: Dominic Lipinski, dpa ?? Facebook lehnt die Freigabe von Konto Inhalten an Hinterblie­bene seit Jahren ab und argumentie­rt mit dem Schutz des persön lichen Austauschs über das Netzwerk. Nun hat der Konzern den Rechtsstre­it verloren.
Foto: Dominic Lipinski, dpa Facebook lehnt die Freigabe von Konto Inhalten an Hinterblie­bene seit Jahren ab und argumentie­rt mit dem Schutz des persön lichen Austauschs über das Netzwerk. Nun hat der Konzern den Rechtsstre­it verloren.

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